Süddeutsche Zeitung

Schuldenkrise:Neue Milliarden für Griechenlands ewige Lücke

Notfall in Athen: Die Troika der Geldgeber ist unzufrieden. In ihren ersten Inspektionen haben EU, IWF und EZB festgestellt, dass die versprochenen Reformen noch nicht umgesetzt sind. EU-Kommissar Rehn verkündet, dass weitere Milliarden her müssen. Und ein Top-Banker bevorzugt sogar die Pleite des Landes.

Karl-Heinz Büschemann und Hans-Jürgen Jakobs

Es ist wie immer seit dem Frühjahr 2010. Griechenland steht vor der Pleite, braucht Geld, bekommt Geld in Aussicht gestellt - und dann tauchen unerwartete Mängel auf. Auch jetzt weilen bei dieser Déjà-vu-Rettung die Experten des Dreibunds von der EU, des Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Europäischen Zentralbank (EZB) in Athen. Nach ersten Inspektionen stellen sie erneut Verspätungen bei den versprochenen Reformen fest. Sie fordern weitere harte Sparmaßnahmen und eine beschleunigte Verschlankung des griechischen Staates.

Das Drama um den hoch verschuldeten, manche sagen überschuldeten Staat, nimmt an Schärfe zu. Wieder stehen eine Pleite zur Diskussion oder verstärkte Milliardenhilfen - um am Leben zu halten, was offenbar von alleine nicht leben kann. Der Donnerstag jedenfalls war der Tag der Offenbarungen - dass es so nicht weitergehen kann. Dass Gravierendes passieren muss, damit die Schuldenlast des Euro-Staats wirklich bis 2020 auf 120 Prozent des Bruttoinlandsprodukts sinkt - von derzeit gut 160 Prozent.

EU-Währungskommissar Olli Rehn enthüllte, der derzeit verhandelte Forderungsverzicht der privaten Gläubiger werde nicht ausreichen. Die Euro-Staaten und EU-Institutionen müssten einspringen. Eine neue Zusatzlast also, wieder neue Milliarden, die es zu organisieren gilt. "Es wird wahrscheinlich einen höheren Bedarf an öffentlicher Finanzierung geben, aber nichts Dramatisches", glaubt Rehn. Die Einigung auf das weitere Rettungspaket - vorgesehen waren 130 Milliarden Euro - stehe kurz bevor.

Die Botschaft: Wir füllen die Lücke, die bei den Gesprächen der privaten Gläubiger mit Griechenland über einen Schuldenschnitt bleibt. Der Chefunterhändler des Internationalen Bankenverbandes IIF, Charles Dallara, bereitete sich auf die Konfrontation am Donnerstagabend mit dem griechischen Ministerpräsidenten Lukas Papadimos vor. Es geht um rund 100 Milliarden Euro, auf die Gläubiger verzichten sollen. Die Banken und andere Investoren wollen mindestens vier Prozent für neue Anleihen - IWF, Griechenland und wichtige EU-Staaten dagegen maximal 3,5 Prozent. Zeitungen wollen erfahren haben, dass mit 3,75 Prozent ein Kompromiss gefunden werde.

Premier Papadimos hatte sich vor dem Dallara-Termin mit den für die Spar- und Reformpolitik zuständigen Ministern getroffen. Das 13. und 14. Monatsgehalt im privaten Sektor sollen abgeschafft werden, Tarifverträge nicht mehr gelten, Arbeitszeiten liberalisiert werden. Zudem sollen Zusatzrenten gekürzt und Staatsbedienstete entlassen werden. Das Ziel: Griechenlands Wirtschaft wettbewerbsfähiger zu machen. Die Troika will bleiben, bis alle neuen Maßnahmen beschlossen sind.

Es ist ungeheurer Druck im Kessel. Das zeigen Reaktionen an allen Orten.

In Berlin meldete sich Volker Kauder, Chef der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Er drohte den Hellenen mit Zahlungsstopp. "Griechenland ist ein riesengroßes Problem", sagte er Spiegel Online. Geld gebe es nur, wenn das Land straff geführt werde. Notfalls müsse ein Staatskommissar eingesetzt werden. "Wir können", so Kauder, "nicht immer nur Geld geben, ohne dass sich etwas ändert." Deutsche Beamte könnten ja beim Aufbau einer funktionierenden Finanzverwaltung helfen.

Notfalls muss ein Kommissar nach dem Rechten sehen

"Die Unsicherheit muss ein Ende haben", donnert der britische Premier David Cameron - und meint die Lösung des Griechenland-Problems: "Das ist die Aufgabe für 2012." Man könne nicht warten, bis solche Länder ihre Strukturprobleme gelöst hätten, das dauere fünf Jahre: "Wir brauchen kurzfristige Schritte." Und Spaniens Ministerpräsident Mariano Rajoy bringt in der Hellas-Frage eine Aufstockung des dauerhaften Euro-Rettungsfonds ESM ins Spiel: "Wahrscheinlich gilt: Je größer er ist, desto geringer wird er wohl in Anspruch genommen werden müssen."

Auch nach einem Schuldenerlass ergeben sich viele Probleme. Da ist die EZB, die Griechenland-Anleihen im Wert von mehr als 40 Milliarden Euro besitzt und auf nichts verzichtet, also Abschreibungen meidet. Da ist die Unsicherheit, wie viele Investoren sich tatsächlich an einer Umschuldung beteiligen würden. Commerzbank-Vorstand Markus Beumer fordert in dieser Lage eine Beteiligung auch der öffentlichen Schuldner am Schuldenschnitt: "Wenn die öffentlichen Haushalte nicht mitmachen, macht auch ein Schuldenschnitt von 70 Prozent keinen Sinn." Auch das Undenkbare denkt der Manager des Geldinstituts, an dem der Staat mit 25 Prozent beteiligt ist - die Insolvenz Griechenlands, den totalen Zahlungsausfall, den "Default". Beumer sagt, eine saubere Default-Struktur wäre für Griechenland die sinnvollere Lösung. Ein sauberer Schnitt. Das sei besser als die Unsicherheit nach einer unterschiedlichen Behandlung von öffentlichen und privaten Schuldnern.

Die Märkte haben schon ihr Urteil gefällt. Die Kurse für griechische Anleihen sackten ab, die Rendite zog auf den Rekordwert von fast 38 Prozent an. Das ist der Risikoaufschlag, den der Staat quasi an Anleger zahlt, die todesmutig zehn Jahre laufende Griechen-Papiere erwerben. Auch die Griechen haben das Vertrauen in die Regierung des parteilosen Finanzexperten Papadimos verloren - nach einer Umfrage sind 92 Prozent der Befragten unzufrieden mit ihr.

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SZ vom 27.01.2012/gie
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