Süddeutsche Zeitung

Schuldenkrise in Griechenland:Warum der Schuldenschnitt Athen kaum hilft

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Zwar fallen in Griechenland alte Schulden weg, doch das Land häuft gleich neue Verbindlichkeiten an. Die Schuldenquote sinkt trotz Gläubigerverzicht kaum, zeigt eine vertrauliche Analyse der EU, der EZB und des IWF. Auch die Troika ist sich nicht sicher, ob das Land es schafft, seinen Schuldenberg abzutragen. Klar ist nur: Das Spardiktat lässt die Griechen immer weiter in die Krise rutschen.

Cerstin Gammelin und Catherine Hoffmann

Der Schuldenschnitt ist durch, das zweite Rettungspaket für Griechenland beschlossen. In einem gewaltigen Kraftakt strichen die Investoren mehr als die Hälfte ihrer Forderungen an Athen, unwillige Anleger wurden zum Verzicht gezwungen. Griechenland ist damit 107 Milliarden Euro seiner Schulden los. Zugleich bekommt die Regierung zusätzliche Kredite über 130 Milliarden Euro. Die Ratingagentur Fitch stufte Athen herauf. Ist damit endlich die Hängepartie beendet? Weit gefehlt.

Die griechische Gesamtverschuldung wird durch den erfolgreichen Schuldenerlass kaum sinken. Dies geht aus der jüngsten Analyse der Troika hervor. Das vertrauliche Papier von EU-Kommission, Europäischer Zentralbank (EZB) und Internationalem Währungsfonds (IWF) kommt zu dem Schluss, dass die Verschuldung Griechenlands durch die Aktion in diesem Jahr gerade einmal um 5,6 Prozentpunkte zurückgehen wird - auf 159,7 Prozent der Wirtschaftsleistung.

Im kommenden Jahr soll die Schuldenquote wegen der schweren Rezession sogar auf 164 Prozent steigen. Bis 2020 werde der Schuldenstand aber auf 116,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts zurückgehen - im besten Falle. In einem pessimistischen Szenario könnte der Schuldenstand bis 2020 aber wieder auf 145,7 Prozent ansteigen.

Wie kommt es, dass Griechenland trotz des beherzten Forderungsverzichts der Banken, Versicherungen und anderer Privatanleger nicht runterkommt von seinem Schuldenberg? Die Antwort ist einfach: Zwar fallen alte Schulden weg, neue werden aber obendrauf gepackt. Unter dem Strich haben die griechische Bürger also wenig gewonnen.

Banken in Athen sind gefährdet

Von dem Haircut sind auch griechische Banken betroffen, die wie alle anderen privaten Gläubiger auch auf 53,5 Prozent ihrer nominellen Forderungen verzichten müssen. Der Schnitt stellt die Institute vor existenzielle Probleme, da sie viele Milliarden Euro in griechische Staatsanleihen investiert haben. Ohne Hilfe können sie die Abschreibungen nicht wegstecken. Jörg Krämer, Chefvolkswirt der Commerzbank, schätzt, dass allein 48 Milliarden Euro nötig sind, um die Institute mit ausreichend Kapital zu versorgen. Der griechische Staat leiht sich das Geld beim Rettungsfonds EFSF und reicht es seinen Geldhäusern weiter.

Doch das war noch nicht alles. Damit sich die griechischen Banken weiter bei der EZB Geld leihen können, braucht es weitere 35 Milliarden Euro vom Rettungsfonds. Denn die EZB verlangt für ihre Liquiditätshilfen Sicherheiten; griechische Staatsanleihen kommen als Pfand aber nicht mehr in Frage, seit sie von den Ratingagenturen mit dem Makel "Selective Default" versehen werden, weil der Zwangstausch als teilweiser Zahlungsausfall gewertet wird. Der EFSF gibt der EZB also 35 Milliarden Euro Garantien, damit sie die griechischen Banken weiter mit Geld versorgt und am Leben hält. Dabei handelt es sich um ein Pfand, das an den Rettungsfonds zurückfällt, wenn Griechenland nicht pleite geht. Das Pfand und die direkten Kapitalhilfen für Athens Banken summieren sich allein schon auf 83 Milliarden Euro.

Rechnet man noch hinzu, dass die Regierung von Ministerpräsident Lukas Papadimos in diesem Jahr mehr Geld braucht, um ihr Haushaltsdefizit zu finanzieren, weil wegen des Konjunktureinbruchs die Steuereinnahmen wegbrechen, wird klar: Von den gut 100 Milliarden Euro Haircut bleibt am Ende kaum was übrig. Wen wundert es, dass über ein drittes Rettungspaket spekuliert wird?

"Griechenland hat mit dem heutigen Tag eine klare Chance, es zu schaffen. Wir sind noch nicht über den Berg, aber auf einem guten Weg", sagte Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble nach dem Zwangsumtausch am vergangenen Freitag. Die Experten der Troika sehen die Lage kritischer. In ihrer Analyse zur Schuldentragfähigkeit Athens, warnen sie: "Es gibt jedoch erhebliche Risiken, dass der Rückgang der Verschuldung durch Schocks unterbrochen oder sogar umgekehrt wird." Die Buchhalter der Troika wissen: Die Rettungspolitik ist ein fragiles Konstrukt, das leicht erschüttert werden kann, wenn das Wirtschaftswachstum die hohen Erwartungen nicht erfüllt oder der Staatshaushalt nicht so schnell und gründlich saniert wird, wie angenommen - etwa weil die hohen Privatisierungserlöse (45 Milliarden Euro bis 2020) ausbleiben. Dann werde die "Schuldentragfähigkeit in Frage gestellt".

Wie wackelig die Kalkulationen für das Jahr 2020 sind, zeigt ein Rechenexempel der Troika: Würden sich Wirtschaftswachstum, Zinsen und Haushaltssaldo (ohne Schuldendienst) in Zukunft so entwickeln wie in der Vergangenheit, würde Griechenland in acht Jahren bei einer Schuldenquote von rund 190 Prozent enden. Um auf die geplanten 116,5 Prozent zu kommen, muss die griechische Wirtschaft vor allem eines: kräftig wachsen. In der Vergangenheit haben sich die Prognose der Experten allerdings regelmäßig als zu rosig erwiesen. Im Moment jedenfalls lässt das Spardiktat das Land immer tiefer in die Krise rutschen.

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SZ vom 14.03.2012
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