Schuldenkrise in Griechenland:An den Menschen vorbei

Schuldenkrise in Griechenland: Demonstrant vor dem Finanzministerium in Athen

Demonstrant vor dem Finanzministerium in Athen

(Foto: AFP)

Die Globalisierungskritiker von Attac erheben schwere Vorwürfe gegen Bundeskanzlerin Merkel und deren EU-Amtskollegen. Das Geld der Griechenland-Rettung floss überwiegend an Banken und Kapitalanleger, statt an die griechischen Bürger. Eine Frage lässt der Bericht allerdings offen.

Von Claus Hulverscheidt, Berlin

Von Angela Merkel weiß man, dass das Gefühlige, das Pathetische, ihre Sache nicht so ist. Oft unterscheiden sich ihre Reden zum Tag der deutschen Einheit im Ton kaum von einer Ansprache beim Steuerberatertag, und wie es um ihre Gemütslage bestellt ist, behält sie für gewöhnlich auch für sich. Umso erstaunter horchten viele auf, als Merkel im vergangenen Sommer mit Blick auf den europäischen Dauerpatienten Griechenland plötzlich zu Protokoll gab, dass ihr angesichts der heftigen sozialen Einschnitte, der Rentenkürzungen und Entlassungen, "schon das Herz blutet". Schau an, mag sich mancher gedacht haben: doch nicht so ein Eisklotz, unsere Bundeskanzlerin.

Alles nur Fassade! Das jedenfalls glauben die Globalisierungskritiker von Attac, die in mühevoller Kleinarbeit Daten und Fakten über den Umgang Merkels und ihrer EU-Amtskollegen mit den Griechen zusammengetragen haben. Ergebnis: Von den 207 Milliarden Euro an Hilfskrediten, die die Euro-Partner und der Internationale Währungsfonds (IWF) bisher nach Athen überwiesen haben, kamen fast 160 Milliarden nicht den griechischen Bürgern zugute, sondern den Banken und Kapitalanlegern im In- und Ausland.

"Das Ziel der politischen Eliten ist nicht die Rettung der griechischen Bevölkerung, sondern die des Finanzsektors", sagt Lisa Mittendrein von Attac Österreich, die die Recherche mit initiiert hat.

Die einzelnen Bäume, aber nicht den Wald gesehen

Es ist nicht so, dass man nicht gewusst hätte, wohin die Rettungsmilliarden geflossen sind. Auch der Attac-Bericht, der der Süddeutschen Zeitung vorliegt, speist sich aus öffentlichen oder leicht zugänglichen nicht-öffentlichen Quellen.

Doch oft ist es ja bekanntlich so, dass man zwar die einzelnen Bäume, nicht aber den Wald sieht. So auch bei der Unterstützung Griechenlands: So war bekannt, dass von den 207 Milliarden Euro an Hilfen 58 Milliarden für die Aufstockung des Eigenkapitals griechischer Banken, 55 Milliarden für die Rückzahlung auslaufender Staatsanleihen und elf Milliarden für den Rückkauf alter Schulden ausgeben wurden.

Auch wusste man, dass die Staatengemeinschaft den großen Banken, Versicherungen und Investmentfonds der Welt die Beteiligung am Schuldenschnitt des Jahres 2012 mit einem sogenannten "Zuckerstückchen" in Höhe von 35 Milliarden Euro schmackhaft gemacht hatte. Nur aufaddiert - und vor allem kommuniziert - hatte die Zahlen bisher niemand.

Aus gutem Grund, wie man bei Attac glaubt: "Mindestens 77 Prozent der Hilfsgelder lassen sich direkt oder indirekt dem Finanzsektor zuordnen", heißt es in der Zusammenfassung der Rechercheergebnisse. Und Aktivistin Mittendrein ergänzt: "Unsere Regierungen retten Europas Banken und Reiche!" Darunter sei beispielsweise die griechische Milliardärsfamilie Latsis, die große Teile der vom Staat aufgefangenen "Eurobank Ergasias" besitzt. Die Rechnung hingegen habe die griechische Bevölkerung begleichen müssen - in Form "einer brutalen Kürzungspolitik, die die bekannten katastrophalen sozialen Folgen hat".

Eine wichtige Frage bleibt unbeantwortet

Selbst von den knapp 47 Milliarden Euro, die tatsächlich im griechischen Staatshaushalt ankamen, musste Athen dem Bericht zufolge 35 Milliarden umgehend als Zinszahlungen an die Besitzer von Staatsanleihen weiterleiten. Auch habe die Regierung 2010 und 2011 mehr als zehn Milliarden Euro für die Landesverteidigung ausgegeben, weil die Regierungen in Berlin und Paris Druck gemacht hätten, dass keine Aufträge bei deutschen und französischen Rüstungsfirmen storniert werden. Zumindest für den letzten Vorwurf fehlen in dem Bericht allerdings die Belege, vielmehr verlässt sich Attac wie auch im Fall Latsis auf Medienberichte.

Und noch eine wichtige Frage lassen die Globalisierungskritiker unbeantwortet: Was wäre eigentlich passiert, wenn die Staatengemeinschaft der Regierung in Athen 2010 nicht zur Hilfe geeilt wäre? Nach Ansicht fast aller Experten hätte sich Griechenland in einem solchen Fall binnen weniger Wochen für zahlungsunfähig erklären müssen - mit unabsehbaren Folgen für den Zusammenhalt der gesamten Währungsunion und noch dramatischeren Konsequenzen für die Griechen selbst. Der Staat hätte von heute auf morgen die Zahlungen an Beamte, Rentner und öffentliche Einrichtungen - darunter Krankenhäuser, Schulen und Kindergärten - einstellen müssen. Und die Banken wären schlicht kollabiert.

Mittelbar, so argumentiert zum Beispiel die Bundesregierung, seien die Kredite der Euro-Partner und des IWF deshalb sehr wohl den Bürgern Griechenlands zugutegekommen. Mit dem Hilfsprogramm habe man Athen die nötige Zeit verschafft, den Staatshaushalt zu sanieren, den Schuldenabbau einzuleiten und die Wettbewerbsfähigkeit der heimischen Wirtschaft zu steigern, heißt es im Finanzministerium. Auch habe Deutschland maßgeblich mit dafür gesorgt, dass die privaten Gläubiger Griechenlands auf mehr als 50 Prozent ihrer Forderungen verzichtet hätten.

Ähnlich sieht man das in der sogenannten Troika aus EU-Kommission, Internationalem Währungsfonds und Europäischer Zentralbank: Auch die Milliarden für die Banken-Rekapitalisierung nutzen demnach dem einfachen Bürger, weil eine Volkswirtschaft ohne vernünftig ausgestattet Banken nicht funktionsfähig sei. Weder seien die Einlagen der Bürger sicher, noch kämen Unternehmen an dringend notwendige Investitionskredite.

Für die Kritiker von Attac sind das Schutzbehauptungen. "Die weit verbreitete und von europäischen Politikern öffentlich vertretene Position, dass das Geld der sogenannten ,Rettungspakete' den Menschen in Griechenland zugutekommen würde", so Aktivistin Mittendrein, "ist widerlegt!"

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