Man hätte es sich denken können. Auch die Euro-Krise wird zum Anlass genommen, um wieder einmal den angeblich ausufernden Sozialstaat als Wurzel allen Übels darzustellen. Mit besorgten Worten wird mit dem Hinweis auf Griechenland in allerlei Kommentaren behauptet, dass auch die Staatsverschuldung in Deutschland viel zu hoch sei.
Staatliche Sozialleistungen wie Hartz IV, Ausbildungsförderung, Hilfe zur Pflege für Pflegebedürftige oder Kindergeld sind immer wieder in der Debatte als Grund für die hohe Staatsverschuldung, dabei machen sie nur etwa ein Viertel der Schulden aus.
(Foto: dpa)Bei näherem Hinsehen zeigt sich aber, dass die Staatsausgaben in Deutschland keineswegs durch einen ausufernden Sozialstaat und staatliche Bürokratie in die heutige Höhe getrieben wurden. Vielmehr kostet die deutsche Einheit uns noch immer viel Geld, und aus der begründeten Furcht heraus, dass das Finanzsystem kollabieren könnte, wurden Verluste der Banken in großem Maßstab sozialisiert. Diese Art von Sozialismus hat mit Sozialstaat aber offenkundig wenig zu tun.
Gegenwärtig macht die gesamte Staatsverschuldung der Bundesrepublik einen Betrag aus, der etwa achtzig Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung entspricht. Das ist ein enormer Betrag. Aber es gilt auch: Solange wir die Zinsen für die Staatsschuld aufbringen können, und solange Vertrauen in unsere Zahlungsfähigkeit besteht, kann man mit solch einer Belastung leben.
Japan hat sogar eine Verschuldung von 200 Prozent - aber keine Probleme, Kredite zu bekommen, weil niemand an der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit Japans zweifelt. Bei Griechenland und anderen südeuropäischen Staaten sieht das anders aus; das kann aber kein Grund sein, bei uns Sozialleistungen zu kürzen.
Völlig außer Acht bleibt ein weiterer Aspekt: Würde die Staatsschuld drastisch reduziert, wüssten viele Anleger gar nicht, wohin mit ihrem Geld. Man sollte bedenken, wer von den Staatsschulden denn überhaupt profitiert: Das sind diejenigen in den nachwachsenden Generationen, deren Eltern ein Vermögen haben, Zinsen aus Staatsanleihen bekommen und dies alles an ihre Nachkommen vererben. Insofern werden bei Kürzungen nur die vermögenslosen Schichten der künftigen Generationen wirklich belastet.
Die Diskussion über Generationengerechtigkeit muss auch die vererbten Ungleichheiten in den Blick nehmen.
Billiger als gegenwärtig geht es nicht
Es ist nur schwer zu verstehen, wenn jetzt in Kommentaren zur "Staatsquote" auf die vermeintlich goldenen Zeiten des 19. Jahrhunderts verwiesen wird, als diese Quote nur etwa zehn Prozent der Wirtschaftsleistung ausmachte. Damals war weder eine so aufwendige Infrastruktur wie heute nötig, noch gab es so hohe Anforderungen an die Qualifikation der Arbeitskräfte, also an ein breit ausgebautes Schul- und Ausbildungssystem. Ein öffentliches Gesundheitssystem existierte ebenfalls nicht.
Und für die Alten musste auch schon früher die nachwachsende Generation sorgen - innerhalb der Familie. Heute ist dies in der Rentenversicherung organisiert, wodurch die Staatsquote erhöht wurde. Man kann gewiss darüber streiten, ob die staatliche "Produktion" von Infrastruktur, Schulen und Hochschulen sowie sozialer Sicherung heute optimal geregelt ist. Fest steht aber: Viel billiger als gegenwärtig ist das alles nicht zu haben. Die Kosten bei der privaten Krankenversicherung und bei vielen Privatisierungen - etwa der Altersvorsorge - zeigen dies ziemlich deutlich.