Schuldenkrise in Europa:Italien ist nicht Spanien ist nicht Griechenland

Die Wirtschaft bricht ein, die Schulden sind hoch: Seit Spanien Schutz unter dem Rettungsschirm gesucht hat, wird emsig über Italien diskutiert. Noch vor wenigen Wochen hatte die EU-Kommission große Hoffnungen für das Land, doch nun erlahmt der Reformeifer der Regierung und die Schwarzarbeit floriert. Die Finanzmärkte nehmen das Land wieder ins Visier. Zu Recht?

Bastian Brinkmann

Als Mario Monti Ende 2011 in Rom die Regierung übernahm, atmeten Europa und die Finanzmärkte gleichermaßen auf. Die Berlusconi-Jahre waren vorüber. Endlich wieder Politik in Italien. Und jetzt? Ist in Italien inzwischen alles tutto bene?

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Ciao, Italia: Zwei Männer diskutieren in Neapel über die Zukunft ihres Landes.

(Foto: Getty Images)

Unter Berlusconi waren die Zinsen für italienische Staatsanleihen drastisch gestiegen. Papiere mit zehnjähriger Laufzeit rentierten damals mit mehr als sieben Prozent - das Land musste also für Kredite viel Geld zahlen. Zum Vergleich: In den Jahren seit der Euro-Einführung bis zum Ausbruch der Finanzkrise lag die Rendite für italienische Staatspapiere kaum höher als die für das sehr sicher geltende Deutschland.

Italiens neuer Chef Monti will den Staat in den Kreis der soliden Euro-Länder zurückführen. Eine enorme Herausforderung. Was Italien unter dem Reformverweigerer Silvio Berlusconi erlebte, war nicht das Versagen, sondern die totale Aufgabe der Wirtschaftspolitik. Hinter den Italienern liegt ein verlorenes Jahrzehnt. 2012 fällt der Wohlstand der Bürger auf das Niveau von 1999 zurück. Seit 1997 büßte das Land ein Drittel seiner Produktivität und damit Wettbewerbsfähigkeit ein. Italiens Marktwirtschaft ist eher eine Murkswirtschaft. Im jüngsten Ranking für wirtschaftliche Freiheit der amerikanischen Heritage-Stiftung belegt Italien Platz 92 - zwischen Aserbaidschan und Honduras.

Monti, ein Wirtschaftsprofessor aus Mailand, stieß in den ersten 100 Tagen seiner Amtszeit Blitzreformen an. Er drückte Kürzungen, Steuererhöhungen, eine Rentenreform, den Kampf gegen Steuersünder, Liberalisierungen und Entbürokratisierungen durch. Die Finanzwelt sah wohlwollend zu, die Renditen sanken. Auch von den Ratingagenturen kam Lob. "Wir sind überrascht über das, was Italien in den vergangenen Monaten geleistet hat", gestand Jean-Michel Six, Chef-Ökonom für Europa bei Standard & Poor's.

Reformen lahmen wieder

Doch seit ein paar Wochen fangen die Finanzmärkte wieder an zu zweifeln. Denn der Reform-Eifer der Regierung Monti erlahmt. Der Arbeitsmarkt gilt immer noch als verkrustet und lähmend, auch weil die Gewerkschaften alte Privilegien verteidigen - auch zulasten der Arbeitnehmer, die nicht in einer Gewerkschaft organisiert sind. Die Schwarzarbeit, bei der der Staat leer ausgeht, macht noch immer bis zu einem Fünftel der Wirtschaftsleistung aus.

Erst am Freitag hat das Kabinett es nicht geschafft, ein heiß erwartetes Wachstumsprogramm zu verabschieden. Der Finanzminister hatte Zweifel an der Kalkulation. Bis Ende nächster Woche soll das Paket eigentlich stehen. Einen neuen Termin für die nächste Kabinettssitzung gibt es aber noch nicht.

Die Renditen in Italien steigen wieder auf ungemütliche Höhen, mehr als sechs Prozent für zehnjährige Anleihen. Italien braucht dringend Wachstum, doch die Wirtschaft schrumpft. In den ersten drei Monaten des Jahres ging die Wirtschaftsleistung um 0,8 Prozent zurück und verliert damit das dritte Quartal in Folge. Und der Abstieg beschleunigt sich: Der jüngste Einbruch ist so drastisch wie seit drei Jahren nicht mehr. Im ersten Quartal 2009 hatte das Minus bei 3,5 Prozent gelegen.

Für das gesamte Jahr rechnet das italienische Statistikamt mit einem Rückgang von 1,3 Prozent. Die Rezession könnte die schönen Sparpläne von Monti zunichtemachen. Die Nachrichtenagentur Reuters zeigt in einer interaktiven Grafik: Bleibt das Wachstum aus, wachsen Italien die Schulden über den Kopf. Kommt dazu noch der Druck von den Finanzmärkten, wird die Situation schlimmer.

Nehmen die Finanzmärkte Italien zu Recht wieder unter Beschuss?

Noch im Mai hatte auch die EU-Kommission große Hoffnungen. Ihr Haushaltsplan für Italien sah vor, dass die Regierung in Rom dieses Jahr sogar einen ordentlichen Überschuss erwirtschaften könnte. Die Rede war von 3,6 Prozent des Bruttoinlandprodukts (BIP), also der gesamten Wirtschaftsleistung. Italien hätte demnach damit beginnen können, den enormen Schuldenberg abzutragen, der im Verhältnis zum BIP bei 120 Prozent liegt. Unter den Industrienationen sind nur Griechenland und Japan höher verschuldet.

Carabinieri's police officers stand in front of the Bank of Italy's headquarters during a demonstration against the government in Milan

Carabinieri vor der Tür der Zentralbank in Rom: Proteste gegen die Regierung im März.

(Foto: REUTERS)

Doch seit klar ist, dass Spanien unter den Rettungsschirm geht, brandet auch die Diskussion um Italien wieder auf. So hat etwa Österreichs Finanzministerin Maria Fekter nicht ausgeschlossen, dass auch Italien internationale Hilfe aus den Rettungsfonds benötigen wird. "Es kann sein, dass es auch da zu Hilfsunterstützungen kommen kann", sagte Fekter im österreichischen Fernsehen - sehr zum Ärger von Monti. "Ich halte es für völlig unangebracht, dass sich eine Finanzministerin aus der EU so zur Lage in einem anderen Mitgliedsland äußert, wie sie es getan hat", sagte Italiens Regierungschef. "Ich halte mich jetzt lieber zurück, meinerseits die Worte der Ministerin zu kommentieren."

Enorme Belastung

Die italienische Wirtschaft ist rund ein Drittel größer als die spanische. Bräuchte auch Rom EU-Hilfen, wäre die Belastung für den Rettungsschirm enorm. Doch in Spanien ist die Lage schlimmer als in Italien. Die Immobilienblase ist geplatzt, der Bankensektor liegt am Boden, das Haushaltsdefizit ist riesig. Im vergangenen Jahr gab die Regierung in Madrid deutlich mehr Geld aus, als sie eigentlich zur Verfügung hatte: 8,9 Prozent des BIP. In Rom lag dieser Wert nur bei 1,7 Prozent. "Dass Italien in einer ähnlichen Situation steckt wie Spaien, Irland, Portugal oder gar Griechenland, ist ein populärer Mythos", schlussfolgert Marc Ostwald, Analyst bei Monument Securities.

Der Chef-Volkswirt der Commerzbank, Jörg Krämer, hat die Situationen von Italien und Spanien verglichen. Der Regierung in Rom attestiert er, noch nicht alle Möglichkeiten ausgeschöpft zu haben. Italien sei ein reiches Land, das Finanzvermögen seiner Bürger betrage 175 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, in Deutschland seien es nur 125 Prozent, sagte er dem Handelsblatt. "Eine einmalige maßvolle Vermögensteuer würde ausreichen, um die italienischen Staatsschulden unter die kritische Schwelle von 100 Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu drücken", sagt Krämer.

Andere Ökonomen schlagen vor, dass Italien seine enorme Schuldenlast durch Verhandlungen mit den Gläubigern drücken könnte - etwa mit folgendem Deal: Wer auf Zinsen verzichtet, bekommt die Garantie, bei einem eventuellen Zahlungsausfall trotzdem bedient zu werden. Weniger Risiko, weniger Rendite - und weniger Schulden für Italien.

Reformen am Arbeitsmarkt, eine mögliche Reichensteuer, zunehmender Druck von den Finanzmärkten - Regierungschef Monti steht weiter vor einem schwierigen Jahr. Wachstum lässt sich zudem nicht per Dekret einführen, sondern braucht Zeit.

Am Donnerstag will sich Italien neues Geld von den Finanzmärkten holen. Sind die Zinsen hoch, könnte dies die Abwärtsspirale in Gang bringen.

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