Süddeutsche Zeitung

Schuldenkrise in Europa:Club der elitären Zweitwährungs-Länder

Die Wahlergebnisse aus Frankreich und dem schwer gezeichneten Griechenland geben den Kritikern der EU-Rettungspolitik mächtig Auftrieb. Gegenvorschläge gibt es von ihnen viele: Von Zweitwährung bis Zwangsaustritt ist alles dabei. Nur sind die Euro-Skeptiker mit sich weit weniger kritisch als mit Bundeskanzlerin Merkel.

Claus Hulverscheidt

Wie hatte man nur so naiv sein können? War doch klar! Dass Griechenland ein Fass ohne Boden ist. Dass Angela Merkels Rettungsschirmpolitik nur scheitern kann. Dass Frankreich in Wahrheit gar nicht sparen will. Wann, wenn nicht jetzt, schallte es diese Woche gleich mehrfach durch Berlin, zieht die Bundeskanzlerin endlich die Reißleine und vollzieht einen radikalen Kurswechsel?

Die Wahlentscheidungen der Franzosen und der Griechen vom letzten Wochenende, die so gar nicht zum deutschen Credo finanzpolitischer Solidität passen wollen, haben den Euro-Skeptikern hierzulande mächtig Auftrieb gegeben. Beinahe im Tagesrhythmus wurden in der Bundeshauptstadt Symposien und Pressekonferenzen abgehalten, bei denen Politiker, Professoren und Prominente ihren Widerwillen gegen den Kurs der Bundesregierung im Kampf gegen die Euro-Schuldenkrise zu Protokoll gaben. Manche zeichneten wahre Untergangsszenarien, andere entwickelten Visionen und wieder andere nutzten einfach die Gelegenheit, sich mit einer steilen These ein wenig wichtigmachen zu können.

Letzteres zumindest hat Georg Milbradt nicht mehr nötig. Schon beim CDU-Parteitag vor einem halben Jahr in Leipzig hielt der frühere sächsische Ministerpräsident eine flammende Rede, in der er vor einem Finanzkollaps in Deutschland warnte. Zu seinem Erstaunen ignorierten ihn die Delegierten jedoch oder verließen gar den Saal. Wer geglaubt hatte, es gebe eine schweigende Mehrheit in der CDU, die die Politik der Parteivorsitzenden Merkel eigentlich ablehnt und nur darauf wartet, dass endlich jemand ihre Bedenken ausspricht, sah sich getäuscht.

In dieser Woche nun sitzt Milbradt in einem kleinen Veranstaltungsraum in Berlin-Mitte und warnt erneut vor dem Niedergang des Landes. Geladen hat eine Initiative namens "Bündnis Bürgerwille", zu dessen Gründern der 67-Jährige zählt. "Die bisherige Rettungsschirmpolitik war ein Fehlschlag", schimpft er, die Krise sei nicht etwa eingedämmt worden, sondern habe sich im Gegenteil weiter verschlimmert. Das zeigten die Konjunktur- und Arbeitsmarktdaten in vielen Ländern, die von den "Illusionspolitikern der EU" totgeschwiegen würden. Jeder wisse, so Milbradt, dass es in Griechenland schon bald zu einem weiteren großen Schuldenerlass kommen müsse, der dann erstmals voll auf den Bundeshaushalt durchschlagen werde.

Wie viel die Krise Deutschland am Ende kosten wird, hat nach eigenem Bekunden der Ökonom Charles Blankart von der Berliner Humboldt-Universität errechnet. Er zählt einfach sämtliche Bürgschaftsverpflichtungen der Bundesregierung für die Euro-Rettungsschirme, die Europäische Zentralbank und den Internationalen Währungsfonds zusammen und kommt so auf die gigantische Summe von 1,15 Billionen Euro.

Wie die Euro-Länder aber stattdessen mit ihren Problemfällen Griechenland, Portugal, Irland, Spanien und Italien umgehen sollten, darauf hat auch Milbradt keine rechte Antwort - Blankart in seinem leicht wirren Vortrag schon gar nicht.

Anders Markus Kerber und Derk-Jan Eppink von der Initiative "Europolis", zu deren Symposium einige Tage später immerhin 150 Zuhörer erschienen sind. Der Wirtschaftsrechtler von der Technischen Universität Berlin und der niederländische Europaabgeordnete haben einen "Plan B" entworfen, der eine Aufspaltung der Währungsunion in A- und B-Länder vorsieht: Zwar bleibt der Euro in allen 17 Mitgliedsstaaten erhalten, die solide wirtschaftenden Länder Deutschland, Niederlande, Österreich, Finnland und Luxemburg führen jedoch parallel eine Zweitwährung ein - die "Guldenmark".

Damit diese nicht allzu sehr aufwertet und die betroffenen Exportfirmen stranguliert, soll die Elite-Gemeinschaft um ein einziges schwarzes Schaf aus dem Kreis der B-Länder erweitert werden. In Frage kommen dafür Frankreich, Italien und Spanien, wobei sich die Franzosen nach Kerbers Dafürhalten durch ihr notorisch großspuriges Auftreten in Europa, die Italiener durch zu hohe Schulden und die Spanier durch einen Mangel an Wettbewerbskraft disqualifizieren.

Dass Kerbers Konzept zahlreiche Widersprüche enthält, dass es den seit 60 Jahren laufenden deutsch-französischen EU-Motor über Nacht zertrümmern würde, stört die geladenen Gäste nicht. Überhaupt gehen die Euro-Skeptiker mit sich selbst weit weniger kritisch um als mit Merkel.

So muss Milbradt nicht weiter erklären, warum er einerseits sagt, dass Strukturreformen erst nach zehn Jahren wirken, er andererseits Griechenland aber schon nach zwei Jahren abschreibt. Und Blankart räumt zwar ein, dass er eine Addition von Äpfel, Birnen, Tomaten und Bananen, wie er sie im Bemühen um eine möglichst hohe Horrorzahl vorgenommen hat, einem einfachen Ökonomie-Studenten niemals durchgehen lassen würde.

Dann aber grinst der Professor und fährt unbeirrt fort. So einfach lässt sich ein Überzeugungstäter eine gelungene Woche nicht madig machen.

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Quelle:
SZ vom 12.05.2012/mane
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