Süddeutsche Zeitung

Schuldenkrise in den USA:Die Wall Street denkt das Undenkbare

Ach, die richten das schon: Lange haben die Finanzmärkte eher lässig auf die politischen Auseinandersetzungen um die Schuldengrenze geblickt. Doch mittlerweile stellen sie sich auf einen Zahlungsausfall der USA ein. Und die jüngsten amerikanischen Wirtschaftszahlen verschärfen die Lage.

Nikolaus Piper

Bisher haben sich die Spekulanten zurückgehalten - doch nun beginnen sie das Undenkbare zu denken: Dass die Vereinigten Staaten erstmals in ihrer Geschichte nicht mehr in der Lage sein könnten, ihre Rechnungen zu bezahlen.

Nachdem der republikanische Sprecher des Repräsentantenhauses, John Boehner, die Abstimmung über seinen Sparplan wegen einer konservativen Rebellion in den eigenen Reihen hatte abbrechen müssen, galt es am Freitag als unwahrscheinlich, dass der Kongress noch vor dem kommenden Dienstag, 2. August, die Schuldengrenze von derzeit 14,3 Billionen Dollar erhöht. Ohne diesen Schritt geht der Regierung von Präsident Barack Obama an diesem Tag das Geld aus. Die Ratingagenturen dürften die Kreditwürdigkeit der USA dann von AAA auf AA herabsetzen.

Am stärksten wirkt sich das Desaster auf den kurzfristigen Geldmarkt auf. Geldfonds sind dazu übergegangen, Kredite nur noch über Nacht an Banken zu verleihen, auch wenn sie dafür auf Zinsen verzichten müssen. Es ist eine Flucht in die Sicherheit.

Anleger haben allein in dieser Woche neun Milliarden Dollar aus Geldmarktfonds abgezogen, berichten Experten. Das Wall Street Journal meldet, dass auch die Kurse kurzfristiger Staatspapiere ("T-Bills") unter Druck geraten. Die Anspannung auf dem Geldmarkt bedeutet, dass Unternehmen weniger kurzfristige Kredite für ihr Normalgeschäft bekommen. Viele Firmen sollen daher hohe Barreserven gebildet haben.

Die großen Banken der Wall Street haben Notpläne vorbereitet, die verhindern sollen, dass es am 2. August zu einer Panik kommt. Zuvor hatten sie einen dringenden Appell an Washington gerichtet, sich doch noch zu einigen. "Die Folgen der Tatenlosigkeit wären gravierend - für unsere Wirtschaft, für unseren ohnehin schwächelnden Arbeitsmarkt, für die Finanzen unserer Firmen und Familien und für Amerikas wirtschaftliche Führungsrolle in der Welt", heißt es in dem Brandbrief.

Unterzeichner haben ihn die Chefs Lloyd Blankfein (Goldman Sachs), Jamie Dimon (JP Morgan) und Josef Ackermann (Deutsche Bank). Der frühere Vizechef der Bank von England, John Gieve, warnte sogar vor Verhältnissen wie nach dem Zusammenbruch von Lehman Brothers 2008. "Wenn man ein so riskantes Spiel spielt, dann kann in letzter Minute immer etwas schief gehen, etwas Praktisches. Und dann läuft einem die Zeit davon", sagte er bei Bloomberg TV. Am Freitag lud das Finanzministerium die Vertreter der 20 größten Banken des Landes ein, um Pläne für den Ernstfall zu besprechen.

Relativ stabil sind bisher noch langfristige Staatspapiere ("Treasurys"). Am Freitag stiegen deren Kurse sogar, die Rendite für eine Anleihe mit zehnjähriger Laufzeit liegt derzeit bei 2,88 Prozent, leicht über der zehnjähriger deutscher Bundesanleihen (2,63 Prozent). Wer sein Geld in US-Staatsanleihen angelegt hat, muss wissen, dass er eigentlich keine Alternative hat. Zwei Drittel aller mit AAA bewerteten Anleihen auf der Welt sind Treasurys. "Es fehlt ein ausreichend großes Auffangbecken, um die Flucht aus dem sicheren Hafen der Treasurys zu ermöglichen", schreibt Bernd Weidensteiner, Analyst bei der Commerzbank.

Umso größer ist der politische Druck. Die chinesischen Staatsmedien griffen die USA heftig wegen ihrer "gefährlich verantwortungslosen" Politik an. "Der hässlichste Aspekt der Geschichte liegt darin, dass viele andere Länder getroffen werden, wenn der Esel und der Elefant (die Symboltiere von Demokraten und Republikanern) miteinander kämpfen." China ist der mit Abstand größte ausländische Gläubiger der amerikanischen Regierung und hält Treasurys im Gegenwert von 1,16 Billionen Dollar.

Der Schuldenstreit hat die Börsen auf der ganzen Welt unter Druck gesetzt. In New York eröffnete der Dow Jones mit einem Minus von 132 Punkten (1,0 Prozent); der Dax verlor zwischenzeitlich 90 Punkte (1,25 Prozent). Der Euro blieb unverändert bei 1,43 Dollar - schließlich nehmen auch die Sorgen um Europas Schuldenkrise wieder zu. Gold stieg auf 1633 Dollar.

Zur schlechten Stimmung haben auch die jüngsten Zahlen aus der US-Wirtschaft beigetragen. Im zweiten Quartal wuchs das Bruttoinlandsprodukt (BIP) nur noch um 1,3 Prozent - und damit deutlich weniger als erwartet. Kein Wunder: Die Verbraucher mussten mehr für Benzin ausgeben und schnitten daher andere Ausgaben zurück. Ein Zahlungsausfall in Washington könnte die Lage vieler Haushalte noch verschlimmern.

Weitgehend unbekannt ist noch, was die Regierung vom 2. August an genau tun wird. Im Finanzministerium liegt dafür ein Notfallplan, der am Wochenende veröffentlicht werden soll. Als sicher gilt, dass die USA ihren Schuldendienst weiter pünktlich bedienen werden, weil anderenfalls die Zinsen erheblich steigen würden. Auch die Renten dürften weiter gezahlt werden. Dagegen könnten Veteranen die ersten sein, die ihr Geld nicht rechtzeitig bekommen.

Sollte alles schief laufen, könnte Präsident Obama einfach am Kongress vorbei die Schulden erhöhen. Dazu heißt es im 14. Verfassungszusatz: "Die Schulden der Vereinigten Staaten dürfen nicht in Frage gestellt werden." Die Anwendung dieses Satzes soll im Weißen Haus diskutiert, letztlich aber als zu riskant verworfen worden sein.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.1126210
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 30.07.2011/aum
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.