Süddeutsche Zeitung

Schuldenkrise:Griechenlands Kurs gefährdet Europa

  • Statt der Diskussion um einen Schuldenschnitt ist jetzt viel wichtiger, wie es mit den Reformen in Griechenland weitergeht.
  • Was heißt es, wenn die Regierung in Athen den mühsam eingeschlagenen Weg verlässt - nicht nur für Griechenland, sondern für ganz Europa?
  • Denn auch in Italien, Spanien und Portugal gibt es viele, die gegen einen Sparkurs sind. Und in letzteren beiden Ländern wird noch dieses Jahr gewählt.

Kommentar von Alexander Hagelüken

Die ersten Tage liebte es der krawattenlose Ressortchef scharf. Einen radikalen Schuldenerlass forderte Athens neuer Finanzminister Yanis Varoufakis. Zugleich erklärte der Mann mit den Motorradstiefeln die Zusammenarbeit mit der Troika für beendet. Einen Absturz der Finanzmärkte später sind auf einmal mildere Töne zu hören.

Statt eines Schuldenschnitts präsentiert Varoufakis moderatere, wenn auch teils fragwürdige Vorschläge, wie die Gläubiger dem hoch verschuldeten Staat entgegenkommen sollen. Außerdem behauptet er, sein Land werde, Zinszahlungen ausgeklammert, "nie mehr ein Defizit" vorlegen. Wer die lange Geschichte der griechischen Etatlöcher inklusive der Zeiten mit manipulierten Angaben kennt, muss das für eine erstaunliche Ankündigung halten.

Ist das schon ein Hoffnungszeichen, dass die neue Regierung Europa doch nicht ans Äußerste führt? Es ist zumindest ein Zeichen für Realismus. Denn einem radikalen Schuldenschnitt könnten die Euro-Partner nicht so einfach zustimmen - nicht nur, weil es schon der zweite wäre, sondern weil ihre Bürger viel Geld verlören - und die Wirkung auf die anderen Krisenländer schwierig ist, die ihre Kredite zurückzahlen.

Schlägt die Regierung den richtigen Kurs ein?

Ein Schuldenschnitt bringt den Griechen aktuell auch sehr wenig: Die Gläubiger haben die Rückzahlung schon weit nach hinten und Zinsen weit nach unten geschoben, sodass ein Erlass der Kassenlage kurzfristig kaum hilft. Viel drängender ist der aktuelle Finanzbedarf - und am Mittwoch erlebte die Regierung beim Versuch, sich am Kapitalmarkt frisches Geld zu leihen, so wenig Interesse wie seit 2006 nicht mehr.

Schwieriger ist die Frage, ob die milderen Töne ein Zeichen dafür sind, dass die Regierung insgesamt den richtigen Kurs einschlägt. Die Auseinandersetzung um die Schulden und die Frage, ob die Troika oder ein anderes Gremium die Reformen in dem Land kontrolliert, hat zuletzt die entscheidende Frage überlagert: Wie es mit diesen Reformen überhaupt weitergeht. Dieses Thema aber ist zentral, und zwar nicht nur für das Land selbst, sondern auch für den Rest Europas. Die Euro-Krise hat gezeigt, wie unterschiedlich sich die Länder der Währungsunion seit ihrem Start 1999 entwickelten.

Die Krisenstaaten verschuldeten sich dank der günstigen Euro-Zinsen zu hoch und büßten so rasant an wettbewerbsfähigen Produkten ein, dass sich ihr gepumptes Wohlstandsniveau nicht mehr halten ließ. Reformen für wirtschaftliches Wachstum und mehr Exporte sind der einzige Ausweg aus dieser Sackgasse, wie die Erfolge Irlands oder Spaniens zeigen. Unter dem Druck der Partner haben alle Krisenstaaten diese Richtung unter großen Opfern eingeschlagen. Doch was ist nun, wenn Griechenland diesen mühsamen Weg verlässt? In Italien, Spanien oder Portugal gibt es viele, die eine Rückkehr zum Bequemeren wünschen. Und in letzteren beiden Ländern wird dieses Jahr gewählt.

Die Griechen haben die meisten ihrer Probleme selbst verursacht

Was der griechische Premier Alexis Tsipras und seine Minister so alles an Ideen ventilieren, stimmt skeptisch: Ob Ausweitung des Streikrechts, Wiedereinstellung von Beamten, Neuauflage der 13. Rentenzahlung oder Stopp von Privatisierungen. Die neue Regierung hat Sympathien dafür verdient, dass sie sich um die Armen kümmert, die unter dem Sparkurs am stärksten gelitten haben. Es lässt sich auch überlegen, was Europa zur Ankurbelung der Konjunktur tun kann. Das ist aber nicht zu verwechseln mit einer Rückkehr zu einer dysfunktionalen Wirtschaftsstruktur mit Monopolen, ineffizienten Staatsbetrieben und einem Beamtenanteil, der doppelt so hoch war wie in anderen EU-Staaten.

Oft wurde zuletzt erwähnt, dass die Löhne der Griechen in der Krise stark sanken. Zur Wahrheit gehört auch, dass die Lohnkosten in den ersten zehn Euro-Jahren um fast 20 Prozent stiegen, während sie in Deutschland abnahmen. Anders als Tsipras' Populismus suggeriert, haben die Griechen die meisten ihrer Probleme selber verursacht. Die Folgen der Krise wären auch milder ausgefallen, wenn die politische Elite bei den Reichen ernsthaft Steuern eingezogen hätte. In diesem Punkt wenigstens lässt der Regierungswechsel hoffen. Tsipras kommt nicht aus der politischen Elite, die das Land jahrzehntelang in Günstlingswirtschaft gefangen hielt. Vielleicht meinte er es daher wirklich ernster als seine Vorgänger, als er am Mittwoch versprach, Steuerhinterziehung und Korruption zu bekämpfen.

Insgesamt allerdings klingt es mehr nach Rückwärts als nach Vorwärts, was der neue Premier vorschlägt. Sein Amtsantritt birgt daher mehr Gefahren als Chancen. Es sind Gefahren, die ganz Europa betreffen.

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SZ vom 05.02.2015/ratz
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