Süddeutsche Zeitung

Schuldenkrise:Griechenlands Finanzbedarf explodiert

  • Der Finanzbedarf der griechischen Regierung steigt rasant.
  • Nach Berechnungen der Geldgeber braucht Athen inzwischen 100 Milliarden Euro, um bis 2018 finanzielle Verpflichtungen zu bedienen.

Von Cerstin Gammelin, Alexander MühlauerDaniel Brössler, Leo Klimm, Brüssel/Athen

Bevor die Verhandlungen über ein drittes griechisches Kreditprogramm überhaupt begonnen haben, wird die finanzielle Not des Landes unablässig größer. Am Mittwoch verlautete in Brüssel, die griechischen Kreditgeber rechneten nun mit 100 Milliarden Euro, die das Land braucht, um bis 2018 finanzielle Verpflichtungen zu bedienen.

Am Montag hatten die Staats- und Regierungschefs der Euro-Zone den Finanzbedarf mit 86 Milliarden Euro angegeben. Vor einer Woche hatte Athen um 50 Milliarden Euro Hilfe gebeten, vor zwei Wochen waren es 29 Milliarden Euro gewesen. Nun ergibt sich aus neuen Schätzungen der Geldgeber, dass selbst die beim Gipfel am Wochenende genannte Zahlen nicht zu halten sein dürften. Der Internationale Währungsfonds (IWF) begründete den explodierenden Finanzbedarf in einer Schuldenanalyse vor allem mit den dramatischen wirtschaftlichen und finanziellen Auswirkungen der Bankenschließungen vor zwei Wochen. Täglich gehen Betriebe pleite, der Geschäftsverkehr liegt brach, Touristen bleiben fern. Der IWF forderte erneut Schuldenerleichterungen, um der Wirtschaft auf die Beine zu helfen. Diese müssten "viel weiter gehen, als Europa bislang vorgesehen hat".

In Athen begann am Abend die Parlamentsdebatte zur Umsetzung der ersten Reformgesetze, während es auf dem Platz davor zu Ausschreitungen kam. Ministerpräsident Alexis Tsipras soll den Abgeordneten seiner Partei zuvor mit Rücktritt gedroht haben, sollten sie gegen das Sparprogramm stimmen. Gegen Mitternacht ergriff er gegen seine Ankündung das Wort im Parlament und sagte, zwar glaube er nicht an die meisten der Maßnahmen, aber es gebe die Pflicht sie umzusetzen. Trotz Abweichlern galt eine Mehrheit als sicher, die Opposition wollte mehrheitlich für die Gesetze stimmen. Die Abstimmung wurde nach 24 Uhr erwartet.

Die Verabschiedung der Gesetze ist Voraussetzung für die Gespräche über das dritte Hilfspaket. Tsipras muss mit vielen Abweichlern rechnen. Mindestens 32 Abgeordnete des regierenden Linksbündnisses wollten das Abkommen boykottieren. Parlamentspräsidentin Zoe Konstantopoulou, Gegnerin der Sparpolitik, forderte die Abgeordneten auf, mit Nein zu stimmen. Vize-Finanzministerin Nadja Valavani trat zurück.

Tsipras selbst bestärkte die Kritiker indirekt. Er hatte am Dienstag im griechischen Fernsehen erklärt, die durchgesetzten Forderungen seien irrational. Doch bei den Verhandlungen sei nichts Besseres zu erreichen gewesen. Tsipras' Äußerungen stießen in Brüssel auf Befremden. Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker sagte, er sei nicht glücklich über das Interview.

Am Mittwoch wurde bekannt, dass Mitglieder der Regierung sich der Geldvorräte der griechischen Zentralbank bemächtigen wollten, um Renten zu bezahlen. Der Plan wurde im engsten Kreis besprochen, aber verworfen, enthüllte Energieminister Panagiotis Lafazanis. Eine Mehrheit um Tsipras sei dagegen gewesen. Zu den Befürwortern zählte offenbar Ex-Finanzminister Yanis Varoufakis. Frankreichs Parlament billigte das Rettungspaket. Premier Manuel Valls versprach Athen, die griechischen Schulden zu "restrukturieren".

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SZ vom 16.07.2015
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