Süddeutsche Zeitung

Schuldenkrise:Griechenland befürchtet Unruhen

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Von Mike Szymanski, Athen

Es waren keine erbaulichen Worte, die Vize-Innenminister Giannis Panousis für die neuen Elite-Polizisten zum Start ihres Berufsleben in Athen parat hatte: "Haltet zusammen in diesen schweren Zeiten", sagte er den 21 jungen Beamten am Ende ihrer zweimonatigen Zusatzausbildung. Nun sei es ihre Aufgabe, die Verfassung, überhaupt das Land an vorderster Front zu schützen. Griechenland sei in Gefahr.

Panousis fürchtet tatsächlich Unruhen, sollte sich die Krise weiter verschärfen - so wie sie es bisher getan hat mit jedem Tag, an dem die Banken geschlossen bleiben und in Brüssel eine Lösung der Schuldenkrise auf sich warten lässt. Im Ausland sieht man auch schon düstere Tage auf das Land zukommen. Die französische Zentralbank warnt mittlerweile vor "Aufruhr" und "Chaos".

Hungernde Flüchtlinge auf der Urlaubsinsel Kos

Bislang haben die Griechen die Krise mit bemerkenswerter Geduld und Leidensfähigkeit ertragen. Das täuscht aber darüber hinweg, dass die Lage überall prekär wird. Die Behörden befürchten Aufstände in den Flüchtlingsunterkünften auf den griechischen Inseln in der Ägäis.

Fast täglich erreichen Menschen aus Afghanistan oder Syrien nach einer lebensgefährlichen Reise die Strände von Kos, Samos und anderen Inseln. Nun hatte eine Firma, die für weit mehr als 1000 Flüchtlinge Essen ins Aufnahmelager auf der Insel Samos liefert, ihre Dienste eingestellt. Sie war, so berichten es griechische Medien, seit vergangenem September nicht mehr bezahlt worden. Auf die Schnelle machten die Behörden 40 000 Euro locker, damit die Situation nicht weiter eskaliert. "Es könnte zu Revolten kommen", warnte die griechische Vize-Ministerin für Migrationspolitik, Tasia Christodoulopoulou. Der Geschäftsführer der deutschen Organisation Pro Asyl, Günter Burkhardt, berichtet bereits von "hungernden Flüchtlingen" auf Kos.

Zahl der Buchungen eingebrochen

Im größten Krankenhaus Athens, dem Evangelismos, sparen Ärzte und Schwestern an Verbandsmaterial. "Im Moment kommen wir zurecht. Aber das kann sich jederzeit ändern", sagt ein Chirurg. Die Mediziner dort arbeiten seit Monaten am körperlichen und seelischen Limit. Die Hilfsorganisation SOS Kinderdörfer berichtet unterdessen von Tausenden Familien aus Griechenland, die anfragen, ob sie ihre Kinder in einem der Kinderdörfer in Obhut geben könnten. Das Deutsche Rote Kreuz rüstet sich für humanitäre Nothilfe in Griechenland. "Das gilt für den Fall, dass sich die Lage weiter verschlimmern sollte", sagt DRK-Sprecher Dieter Schütz.

Abgesehen vom Tourismus steht die griechische Wirtschaft vor dem Kollaps. Zwar leiden auch Hotels und Gastronomen unter den Kapitalverkehrskontrollen. Auf Last-Minute-Reisen nach Griechenland verzichten die Leute wegen der angespannten Lage zusehends. Normalerweise machen die Kurzentschlossenen 20 Prozent des Geschäfts aus. Die Zahl dieser Buchungen ist eingebrochen.

Steuern kann keiner mehr zahlen

George Pagoulatos, Professor für EU-Politik an der Wirtschaftsuniversität Athen und Berater früherer Regierungen, sagte der Süddeutschen Zeitung: "Die Wirtschaft ist mit Ausnahme des Tourismus wie gelähmt." Firmen hätten bereits damit begonnen, ihre Mitarbeiter in den Zwangsurlaub zu schicken oder zu entlassen. Wer seine Lieferanten nicht bar bezahlen kann, bekommt Probleme. Die Krise schlägt jetzt auch auf die für das Land so wichtige Olivenöl-Produktion durch. Seitdem die Sorge vor kollabierenden Banken immer größer geworden sei, wollten selbst die Olivenbauern nur noch Cash sehen, berichtet der Vertreter einer großen Öl-Firma der griechischen Zeitung Kathimerini. Ansonsten bleibe das Öl eben in den Tanks.

Steuern zahlt in diesen Tagen ohnehin so gut wie niemand mehr. Die Stromrechnungen bleibt bei vielen Bürgern liegen, mittlerweile bekommt der staatliche Energieversorger selbst Probleme, seine Rechnungen zu bezahlen.

Nach Ansicht von Wirtschaftsprofessor Pagoulatos wäre der Grexit eine Katastrophe vor allem für Griechenland. Die Wirtschaft werde sich davon kaum erholen können. "Tausende Firmen würden kaputt gehen." Auch eine Rückkehr zur Drachme würde die Probleme nicht lösen. Gerade weil es dem Land im Moment so schlecht gehe, werde Griechenland noch größere Sparanstrengungen unternehmen müssen. Davon ist er überzeugt. So denken bekanntlich nicht alle.

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SZ vom 09.07.2015
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