Schuldenkrise:Europas Springteufel

Ein radikaler Schlussstrich kann Europas Schuldenkrise nicht lösen. Zwar ist Griechenland ohne teilweisen Schuldenerlass nicht zu retten. Noch ist es dafür aber zu früh - die Konsequenzen einer Staatspleite wären verheerend. Europa muss Zeit gewinnen und Panik vermeiden. Dafür braucht es eine straffe politische Führung. Doch genau die fehlt.

Stefan Kornelius

In diesen tumulthaften Wochen der Rettung - oder gar Vernichtung - des Euro steigt das Bedürfnis, das Problem mit einem Schlag aus der Welt zu schaffen. Die Advokaten dieser Schlussstrich-Politik bedienen einen populären Instinkt, sie werden von immer mehr Menschen (gerade in Deutschland) unterstützt, denen die Krise zu kompliziert wird und bei denen das Gefühl wächst, sie würden im europäischen Währungsgeschäft über den Tisch gezogen.

Schuldenkrise: Protest-Masken auf dem Syntagma-Platz in Athen. Europa muss in der Schuldenkrise Panikreaktionen vermeiden

Protest-Masken auf dem Syntagma-Platz in Athen. Europa muss in der Schuldenkrise Panikreaktionen vermeiden

(Foto: AFP)

Wie Springteufelchen federn die Problemländer empor, obwohl man sie gerade erst in ihre Rettungskisten gezwängt hatte: Italien, Irland, Portugal, vielleicht wieder Spanien. Und über allem hängt der Oberteufel Griechenland, mit dem einen Pakt zu schließen unmöglich ist. Das Land hat so viele Schulden angesammelt, dass selbst ein ökonomisches Wunder und der demutsvolle Verzicht aller griechischen Beamten auf Zuschläge fürs Händewaschen nicht ausreichen würden, eine funktionierende Volkswirtschaft auf die Füße zu stellen.

Wer diese Wut schürt und eine Schlussstrich-Politik betreibt, der behauptet also, mit einem griechischen Staatsbankrott oder einer Teilentschuldung wäre man alle Sorgen los. Die besonders Radikalen meinen gar, man solle diese Länder aus der Euro-Zone werfen. Damit würden sich die Probleme schon lösen.

Das Gegenteil ist der Fall. Wer Griechenland jetzt in den Bankrott treibt, der löst eine nicht zu beherrschende Kettenreaktion aus. Ähnlich einer Kernschmelze lässt sich der Prozess dann nicht mehr aufhalten. Banken würden kollabieren, andere Länder in Europa von dem Bankrott-Bazillus angegriffen. Und wer jetzt ein Euro-Mitglied opfert, der gibt gleich die nächsten zum Abschuss preis. Am Ende dieser Verhängniskette steht die EU insgesamt zur Disposition.

Die bisher propagierte Alternative ist aber ebenso unrealistisch: Griechenland wird auf Dauer durchgefüttert, ein Rettungspaket löst das nächste ab, und der Schutzschirm wird nebenbei so weit ausgedehnt, dass etwa Italien mit seinem Schuldenberg darunter Platz findet. Von dieser Idee haben die Finanzminister am Montag Abschied genommen. Ein Schutzschild für Italien ist schlicht in der nötigen Größe nicht zu finanzieren. Und ein Dauerabonnement auf griechische Care-Pakete wird kein politisch Verantwortlicher in Europa durchsetzen können. Das zweite Unterstützungspaket für Griechenland mag noch mit Druck und Nötigung die Parlamente passieren. Danach aber greift, siehe oben, das zentrale Argument: Die griechische Volkswirtschaft wird ihre Schulden aus eigener Kraft nicht begleichen können.

Zu früh für den Schuldenschnitt

Griechenland wird man also irgendwann seine Schulden zumindest teilweise erlassen müssen. Die wichtigste Frage ist, wann dafür der richtige Zeitpunkt gekommen ist. Die Nervosität um Italien und nun Irland zeigt: nicht jetzt. Wer den europäischen Buschbrand verhindern will, der darf jetzt kein Feuer legen, sondern muss den Brand kontrollieren. Dazu müssen Feuerschneisen gezogen und Löschtrupps aufgestellt werden. Dazu muss - konkret gesagt - Gewissheit herrschen, dass die Pläne zum Schutz Italiens, Portugals, Spaniens und Irlands eine positive Wirkung entfaltet haben. Italiens Sparhaushalt muss also stehen, Portugals Sparpaket muss wirken, Irlands Wirtschaft muss wachsen. All dies wird man in vielleicht einem halben Jahr beurteilen können. Dann ist die Gefahr geringer, ein Großfeuer zu entfachen.

Es geht also um Zeitgewinn, und es geht um die Begrenzung von Panik. Es geht darum, das zweite griechische Hilfspaket im September möglichst geräuscharm zu verabschieden und damit Zeit zu kaufen, ehe die große Operation Schuldenschnitt tatsächlich kommen wird. Dass sie unvermeidlich ist, wird sich bis dahin auch bei der Europäischen Zentralbank herumgesprochen haben, die ihre Unabhängigkeit längst verkauft hat.

Für diese kritische Phase bis dahin braucht es also starke Nerven, möglichst wenig populistische Trittbrettfahrer und eine straffe politische Führung. An all dem fehlt es aber. Die Märkte reagieren panisch, siehe Ratingagenturen. Und die Politik ist ein schlechtes Vorbild - siehe Finanzminister vom Montag. Unverständlich ist, dass die Euro-Zone in ihrer schlimmsten Krise nach wie vor geführt wird wie die Kasse vom Sportverein.

Wo also sind die Emissäre, die den Händlern in den Finanzhäusern und den Analysten aus den Rating-Häusern die politische Dimension erklären und die Entschlossenheit vermitteln? Wo ist die Taskforce, die in Brüssel die Tagesarbeit in der Krise übernimmt und damit den Druck von den Finanzministern nimmt? Wo ist die Bretton-Woods-Idee, die Klausur der wichtigsten Staatssekretäre und Strippenzieher aus den Notenbanken, die jetzt den Spielplan für die nächsten sechs Monate verhandeln?

Die Krise hat sich so eingebrannt, dass jetzt nur noch die Konzentration auf das Wesentliche hilft: Der Euro muss gerettet werden. Ob mit oder ohne Beteiligung der privaten Gläubiger ist irrelevant - später wird man gerechte Regeln einführen müssen. Nun geht es um den Erhalt der Währung. Dafür wird Deutschland viel Geld zahlen müssen. Aber jede Alternative ist kostspieliger - finanziell allemal, aber auch politisch.

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