Haushaltspolitik:Rollentausch: Wieso die SPD plötzlich in der Koalition die Finanzpolitik bestimmt

Haushaltspolitik: Mit einer riesigen schwarzen Null wurde 2017 Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble verabschiedet. Nun wird über die Frage der Verschuldung wieder diskutiert.

Mit einer riesigen schwarzen Null wurde 2017 Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble verabschiedet. Nun wird über die Frage der Verschuldung wieder diskutiert.

(Foto: Udo Fenchel)

Lange war die SPD in der großen Koalition kaum zu erkennen. Nun ist die Union in der Haushalts- und Finanzpolitik fast unsichtbar - und streitet auch noch über die Schuldenbremse.

Von Cerstin Gammelin, Berlin

In der Haushalts- und Finanzpolitik war die Union nie verdruckst. Wolfgang Schäuble führte das Bundesfinanzministerium bis 2017 mit eindeutigen Vorgaben: schwarze Null und Schuldenbremse. Unionsfraktionschef Ralph Brinkhaus und Chef-Haushaltsexperte Eckhardt Rehberg (alle CDU) machten im Bundestag klare Ansagen. Umso stärker fällt jetzt auf, wie kraftlos die Ansagen geworden sind, dass sie fast hilflos daherkommen. Die Bundesregierung möge einen "Kassensturz" machen, forderte Brinkhaus kürzlich im Bundestag. Und Rehberg forderte die Regierung auf, "endlich maßzuhalten". Das Erstaunliche dabei ist: Sie gehören selbst der Regierungsfraktion an.

Die Ursache des Ärgers sitzt im Finanzministerium, oder sollte man besser sagen, in dem zu einem Neben-Kanzleramt umgebauten Bundesfinanzministerium. Olaf Scholz, Hausherr und Kanzlerkandidat der SPD, drückt der großen Koalition inzwischen eine Haushaltspolitik auf, die zwar das Land einigermaßen durch die Pandemie bringt, aber eine nicht zu übersehende sozialdemokratische Handschrift trägt.

Diese präsentiert der Finanzminister am Mittwoch in der Bundespressekonferenz; die Steuerschätzer der Bundesregierung haben das Aufkommen für Bund, Länder und Gemeinden bis 2025 geschätzt. Die Zahlen sind wichtig, weil sie Bundes- und Landesministern sowie Bürgermeistern den Rahmen für deren Finanzplanung vorgeben. Kann die neue Schule gebaut, die Fahrradstraße erweitert oder das Schwimmbad renoviert werden? Anders als vor der Pandemie sind die Zahlen ernüchternd, das Steueraufkommen steigt allenfalls leicht, der K-Kandidat der SPD ist dennoch zufrieden. "Wir sind auf Kurs und können durchstarten."

Die Bilder von Scholz sind groß in den Nachrichten

Das erinnert an den Parteitag am vergangenen Wochenende, an dem die SPD die Aufholjagd ins Kanzleramt gestartet hat. Und nun zählt Scholz mit dem ihm eigenen Selbstbewusstsein alles das auf, was die Union sich auch gerne zuguteschreiben würde. Dass der deutsche Konjunktureinbruch im europäischen Vergleich einer der geringsten war. Dass das Kurzarbeitergeld Millionen in Jobs gehalten hat. Dass es die größte Steuerentlastung gegeben habe, 83 Milliarden Euro, von der befristeten Mehrwertsteuersenkung über den Verlustrücktrag für Firmen, besseren Abschreibungsbedingungen bis hin zu Kinderfreibeträgen. "Und da ist die fast vollständige Abschaffung des Soli noch gar nicht mitgezählt." Natürlich werde die Koalition die Hilfen verlängern - "100 Milliarden Euro sind schon ausgezahlt". Die Bilder von Scholz sind am Mittwoch in den Nachrichten.

Und die Union? Sieht irgendwie gefangen aus. Es käme ja komisch, würde sie jetzt sagen, nein, wir verlängern die Hilfen nicht. Und, ist es nicht der eigene Gesundheitsminister, der sein Budget regelrecht aufgebläht hat und für Masken bis Pflege mehr Geld ausgibt als die (eigene) Verteidigungsministerin für Gewehre und Panzer? Es bleibt Brinkhaus und Rehberg also kaum ein anderer Weg, als im Ärger über die sozialdemokratisch geprägte Haushaltspolitik ganz allgemein die Regierung anzugehen. Kassensturz. Maßhalten. Man spürt förmlich den Schmerz darüber, dass ihre eigene Kanzlerin bei den Koalitionsverhandlungen das wichtigste Ministerium weggegeben hat an die SPD: das Bundesfinanzministerium, in dem sich die Kompetenzen für den Haushalt, Europa, Wirtschaft und Finanzen bündeln. Und das bis 2017 für Zuverlässigkeit und Glaubwürdigkeit der Union stand: keine neuen Schulden, schwarze Null und Schuldenbremse.

Wenn der CDU-Politiker Friedrich Merz auf Twitter "die unkontrollierte Schuldenpolitik in Europa" anprangert, über die dringend zu diskutieren sei, kann man das auch als Seitenhieb auf Scholz interpretieren. 130 Milliarden Euro Nettoneuverschuldung im vergangenen Jahr, 240 Milliarden Euro in diesem Jahr, mehr als 80 Milliarden Euro im kommenden Jahr - das hätte sich Anfang 2020 niemand vorstellen können. Der Tweet klingt kraftvoll, steht aber pars pro toto für das Problem des engagierten Politik-Rückkehrers: Wo bleibt ein detaillierter, klarer und durchgerechneter alternativer Plan?

Kanzleramtsminister Helge Braun (CDU) hatte das Dilemma wohl vorausgesehen und Ende Januar einen Plan vorgelegt, wie die Schuldenbremse zu retten sein könnte. Man solle sie einige Jahre aussetzen und langsam wieder hochfahren, schlug er vor. Armin Laschet, der neue CDU-Chef, sprach ein Machtwort gegen die Idee. Drei Monate später aber zeigt sich Laschet - inzwischen K-Kandidat der Union - doch offen für mehr Schulden. Im Handelsblatt plädiert er für einen vom Staat und Privatinvestoren finanzierten "Deutschlandfonds" zur Modernisierung des Landes, der neben dem Bundeshalt laufe - und nicht unter die Schuldenbremse falle. Der Wirtschaftsflügel der CDU sieht das anders, er sei gegen einen Deutschlandfonds abseits des Bundeshaushalts, sagt Carsten Linnemann. "Wichtig ist mir, dass ein solcher Fonds nicht als eine Art Schattenhaushalt die Schuldenregeln umgeht." - Und Scholz? Hat den Bundeshaushalt so geplant, dass von 2023 an die Schuldenbremse wieder eingehalten werden könnte - theoretisch.

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