Schuhbranche:Das lederne Wunder von Pirmasens

Wie der Hersteller Kennel & Schmenger dem Niedergang der pfälzischen Schuhbranche entgehen konnte - trotz der Billigkonkurrenz aus Südeuropa und Asien.

Von Susanne Höll, Pirmasens

Die Festzelte vor dem Flachbau im Pirmasenser Gewerbeviertel sind längst zusammengefaltet, bei Kennel & Schmenger - kurz K&S - ist wieder der Alltag eingezogen. Vor gut zwei Wochen hatte man gefeiert, es war eine historische Party. Es wurde, wenn man so will, eines Wunders gedacht. Anders als Hunderte andere örtliche Schuhfabrikationen trotzte K&S dem Branchensterben in den 1970er-Jahren und feierte den 100. Geburtstag. Die Firma ist ein Solitär. Warum konnte ausgerechnet sie überleben? Eine Fährtensuche in der Pfalz.

Wunder? Andreas Klautzsch ist Schuhmacher, Geschäftsmann und kein Typ, der an überirdische Mächte im Gewerbe glaubt. Der 50 Jahre alte Geschäftsführer der Firma stammt aus Bayern, lernte sein Handwerk in Rosenheim und hat ganz rationale Erklärungen für die Tatsache, dass das Unternehmen in seinem 101. Jahr und mit seinen Damenmodellen rege und offenbar erfolgreich ist. "Die Gesellschafter sind über ein Jahrhundert sehr weise mit Geld umgegangen", sagt Klautzsch, der inzwischen auch Miteigentümer des Betriebes ist. Sie hätten auf die Substanz geschaut, investiert und sich gekümmert um Rücklagen für schwere Zeiten, erzählt er.

Schuhbranche: Zielgruppe von Kennel & Schmenger sind die Frauen, die Bequemlichkeit, Qualität und Schick gleichermaßen schätzen und einigermaßen solvent sind. Ein Sneaker aus Pirmasens kostet schon mal 200 Euro.

Zielgruppe von Kennel & Schmenger sind die Frauen, die Bequemlichkeit, Qualität und Schick gleichermaßen schätzen und einigermaßen solvent sind. Ein Sneaker aus Pirmasens kostet schon mal 200 Euro.

(Foto: oh)

Andere Pirmasenser Schuhhersteller waren weniger weise. Etliche verdienten seinerzeit zwar auch prächtig, gaben aber, wenn man Einheimischen glaubt, das Geld auch gern wieder aus. Matthias Eder, Co-Geschäftsführer und zuständig für Finanzen bei K&S, ist in Pirmasens aufgewachsen, erinnert sich noch an eine prosperierende Stadt und viele begüterte Schuhhersteller. "Einige von denen zeigten durchaus ihren Wohlstand", sagt er. Als die Konkurrenz erst aus Südeuropa, später aus Asien, den Pfälzer Produzenten die Käufer raubte, gingen sie in Konkurs.

Bei Kennels wurde nicht geprotzt. Klaus Kennel, ein Enkel des Firmengründers, sei ein feiner, nahezu hanseatischer Mensch, erzählen die, die ihn kennen. Vor zehn Jahren zog er sich aus dem aktiven Geschäftsleben zurück, suchte vorher aber noch einen Menschen, der das mühsam gerettete Familienunternehmen in die Zukunft führen konnte. Er fand Klautzsch, umwarb ihn jahrelang, bis der 1995 nach Pirmasens übersiedelte, den Chefposten übernahm und der einzige Miteigentümer ist, der nicht aus den Gründerfamilien stammt. Die Dynastie lebt also weiter.

Schuhbranche: Pirmasens war einst ein Mekka der Schuhfabrikation - aber nicht alle haben es geschafft zu überleben wie Kennel & Schmenger.

Pirmasens war einst ein Mekka der Schuhfabrikation - aber nicht alle haben es geschafft zu überleben wie Kennel & Schmenger.

(Foto: oh)

Aber längst nicht mehr so, wie in den Zeiten von Klaus Kennel. Der bewahrte die Firma vor dem Untergang. Klautzsch muss dafür sorgen, dass sich die Marke etabliert, in einer ganz speziellen Nische, in Deutschland, aber auch international. "Wir sind nicht nur Hersteller, wir sind auch Retailer, die sich dem Markt anpassen müssen, ohne sich zu verbiegen", sagt er.

K&S nennt sich heutzutage Manufaktur, produziert Pumps, Ballerinas, Sneakers und Stiefel, hat elf sogenannte Concept-Stores in Deutschland. Das Ladengeschäft in Paris musste das Unternehmen nach den Terrorattacken 2015 schließen, der Laden lag in der Nähe der Anschlagsorte, die Kundschaft blieb aus. In London sucht K&S gerade einen Laden, auch in Berlin, wo ein Flagship-Geschäft im hippen Osten nicht richtig lief. Auch in China verkaufen die Pirmasenser, ebenso im Internet.

Zielgruppe sind die Frauen, die Bequemlichkeit, Qualität und Schick gleichermaßen schätzen und einigermaßen solvent sind. Ein Sneaker aus Pirmasens kostet schon mal 200 Euro. Eine Nische also, dem Druck des Massenmarkts kann und will sich das Unternehmen nicht aussetzen. Klautzsch will auch junge Mädchen für K&S begeistern: "Ich möchte, dass genau die Frau sich in zehn Jahren mit der Marke verbunden fühlt, wenn sie sich die Schuhe selber leisten kann."

Schuhbranche: K&S nennt sich heutzutage Manufaktur, produziert Pumps, Ballerinas, Sneakers und Stiefel, hat elf sogenannte Concept-Stores in Deutschland.

K&S nennt sich heutzutage Manufaktur, produziert Pumps, Ballerinas, Sneakers und Stiefel, hat elf sogenannte Concept-Stores in Deutschland.

(Foto: oh)

Billiger wird das Schuhwerk sicher nicht werden. Die Firma kämpft mit den Kosten, produziert einen Teil der Modelle in ausgesuchten Werkstätten in Ungarn. Die Qualitätskontrollen finden alle am Stammsitz in Pirmasens statt, dort wo 230 Leute beschäftigt sind. 300 in Ungarn kommen hinzu, in firmeneigenen Läden sind es noch einmal 120, zehn im mittlerweile wieder firmeneigenen Onlinehandel. K&S zahlt nach Tarif, im Durchschnitt 16 Euro pro Stunde. Die Mitarbeiter in Ungarn gehen mit 500 bis 600 Euro im Monat nach Hause. Die Geschäftsführer halten international Ausschau nach Produktionsfirmen und haben auch schon Fabrikationen in Südeuropa oder Asien ausprobiert.

Denn K&S hat Nachwuchsprobleme. Die Firma bildet selbst aus, im Moment sind es zehn Nachwuchs-Schuhmacher. Geeignete Mitarbeiter aus Ungarn werden nach Pirmasens eingeladen und weiter- qualifiziert. Trotz der langen Leder-Tradition hatte das Handwerk in der Stadt und der Region zuletzt keinen guten Ruf. Nicht sonderlich gut bezahlt, nicht sonderlich angesehen. Teenager in den 1970er-Jahren wuchsen mit der elterlichen Warnung auf, sie müssten ins Schuh-Gewerk, wenn sie nicht anständig in der Schule lernten.

Es ist eine Herausforderung, das Berufsbild des Schuhmachers wieder populär zu machen

"Der Strukturwandel hat Spuren hinterlassen, in Form von verbrannter Erde", bilanziert der Pirmasenser Oberbürgermeister Bernhard Matheis die missliche Lage. Es sei eine "Riesenherausforderung" für die Industrie, das Berufsbild des Schuhmachers wieder populär zu machen. Heute stelle man schließlich keine billige Massenware, sondern hochattraktive Produkte her.

Der Christdemokrat Matheis weiß, wovon er spricht. Auch sein Großvater hatte eine Schuhfabrikation, die allerdings unterging. Nicht weil geprotzt wurde. Sondern weil der alte Herr keine Abstriche an der Qualität seiner Modelle machen wollte. Ungeachtet des Niedergangs der Branche mitsamt dem Verlust Tausender Arbeitsplätze hat sich der Oberbürgermeister immer dagegen gewehrt, das Schuhimage der Stadt komplett aufzugeben. Pirmasens sei auch international noch eine Adresse, sagt er. Wenn ein Hersteller irgendwo auf der Welt ein Problem habe, melde er sich bei den verbliebenen Fachleuten in der Stadt. Das ist gut für das ramponierte Image von Pirmasens, das zum Leidwesen der Einwohner oft als Beispiel für postindustrielle Tristesse beschrieben wird. In Arbeitsplätzen zahlt sich das handwerkliche Renommee aber bisher nicht signifikant aus.

Doch Matheis hat Hoffnung. Und einen Traum für Pirmasens. Wenn die Digitalisierung in der Schuhindustrie durchschlage und große Firmen aus Übersee passgerechte Freizeit- und Sportschuhe als Kunststoff-Strumpf aus dem 3-D-Drucker anböten, könnte es eine Renaissance geben: "Dann steigt der Wunsch nach individuellen, handgefertigten Lederschuhen. Und das ist eine Chance für Europa und auch unsere Stadt."

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