Schröders Reform des Arbeitsmarktes:Was von der Agenda 2010 geblieben ist

SPD Schröder Agenda 2010 Reformen Arbeitsmarkt

Der damalige Bundeskanzler Schröder spricht am auf der ersten SPD-Regionalkonferenz zur Agenda 2010.

(Foto: dpa)

Ich-AG, PSA, Hartz I bis Hartz IV: Gerhard Schröder brachte mit der Agenda 2010 einige der größten Sozialreformen in der Geschichte Deutschlands auf den Weg. Manche Teile des Reformwerks haben sich bewährt, manche wurden wieder abgeschafft - viele sind bis heute umstritten. Ein Überblick, zehn Jahre danach.

Von Thomas Öchsner, Berlin

Als Gerhard Schröder die größte Sozialreform in der Geschichte der Bundesrepublik verkündete, galt Deutschland als "kranker Mann Europas". Die Zahl der Arbeitslosen war auf mehr als vier Millionen geklettert. Die Wirtschaftsleistung wuchs nicht mehr. Der Staat ächzte unter wachsenden Sozialausgaben. Der Kanzler hatte deshalb eine entscheidende Botschaft: So wie es war, konnte es nicht bleiben.

Die Agenda 2010 war geboren, die heute vor allem mit Hartz IV gleichgesetzt wird. Dabei verbergen sich hinter Schröders Kurswechsel ein gutes Dutzend Reformbausteine, vor allem aber der Generalumbau des Arbeitsmarkts. Er geht zurück auf einen 343 Seiten starken Bericht zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, im August 2002 vorgestellt vom früheren VW-Arbeitsdirektor Peter Hartz im Französischen Dom in Berlin. Der Kern der Agenda-Gesetze ist noch heute gültig.

Ich-AGs als Wunderwafffe

2003 trat bereits das "Erste Gesetz für moderne Dienstleistungen" (Hartz I) in Kraft. In den Arbeitsagenturen wurden Personal-Service-Agenturen (PSA) eingerichtet. Sie sollten Arbeitslose anstellen und an Firmen verleihen. Auch der Einsatz von Leiharbeitern wurde unkomplizierter: Zeitarbeitsfirmen konnten fortan ihre Arbeitskräfte anheuern und wieder entlassen, wenn beim Entleiher keine Nachfrage mehr bestand. Die PSA wurden schnell wieder abgeschafft. Und auch der von der rot-grünen Regierung erhoffte "Klebeeffekt" blieb weitgehend aus. Die Entleiher sollten Leiharbeiter in die Stammbelegschaft übernehmen, doch die hoffen darauf meist vergeblich.

Dafür ist die Zahl der Leiharbeiter rasant auf 800.000 gestiegen - mit positiven und negativen Effekten, wie das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) feststellte. Bei der Hälfte der Leiharbeit handele es sich um zusätzliche Jobs, sagen die IAB-Forscher, andererseits verdränge Leiharbeit reguläre Beschäftigung, wenn Firmen das Instrument missbrauchen, um Kosten zu senken und den Kündigungsschutz zu umgehen.

Eine andere Wunderwaffe im Kampf gegen die Massenarbeitslosigkeit sollten die Zuschüsse für die Ich-AGs sein (Hartz II). Die Regierung wollte Arbeitslose fördern, die sich selbständig machen und einen Kleinbetrieb eröffnen. Auch die Ich-AG wurde 2006 wieder abgeschafft - zu groß war das Kuddelmuddel bei den verschiedenen Hilfen für Existenzgründer. Der zweite Teil von Hartz II ist geblieben, die Privilegien für die Minijobs.

Hartz IV steht für Abstieg und Armut

2003 erhöhte die Bundesregierung die Verdienstobergrenze für geringfügig Beschäftigte von 325 auf 400 Euro. Minijobs neben einer Haupttätigkeit wurden abgabenfrei. Die Anzahl der ausschließlich als Minijobber Tätigen steigerte sich auf heute knapp fünf Millionen. Die Anzahl der nebenberuflichen Minijobber wuchs seit 2002 um 1,4 auf derzeit 2,7 Millionen.

Die Bilanz fällt zwiespältig aus. Für die einen sind die Minijobs eine Niedriglohnfalle. Vor allem Hausfrauen würden gerne mehr arbeiten, bekämen aber keine Jobs, meldet das Statistische Bundesamt. Die Mini-Stellen sind nur selten eine Brücke zu einem festen Vollzeitjob. Außerdem fanden IAB-Forscher heraus, dass Minijobs im Einzelhandel oder Gastgewerbe reguläre Vollzeitjobs verdrängen können - auch das war nicht im Sinne der Erfinder. Für Rentner oder Studenten sind die Minijobs dagegen ideal, um etwas hinzuzuverdienen.

Als weitgehend gelungen gilt Hartz III. Anfang 2004 wurde die "Bundesanstalt für Arbeit" in die "Bundesagentur für Arbeit" umgewandelt: Aus dem angeschlagenen Behördenkoloss sollte ein moderner Dienstleister werden. Ein Jahr später trat die Hartz-IV-Reform in Kraft, Sozialhilfe und Arbeitslosenhilfe wurden damit zum Arbeitslosengeld II zusammengelegt.

Druck gewachsen, eine Arbeit anzunehmen

Kommunen und Arbeitsagenturen arbeiten nun zusammen. Die "Betreuung aus einer Hand" sollte die Vermittlung effektiver machen. Das im Vergleich zu Hartz IV höhere Arbeitslosengeld I wird, von Ausnahmen für Ältere abgesehen, nur noch für zwölf Monate gezahlt.

Kurz nach Reformstart suchten mehr als fünf Millionen Menschen einen Job. In der Statistik tauchten auf einmal viele auf, die vorher nicht gemeldet waren, um die sich aber auch keiner richtig gekümmert hatte. Später begann das deutsche Jobwunder: Die Zahl der Erwerbslosen sank um zwei Millionen, die der Langzeitarbeitslosen um 40 Prozent auf gut eine Million. Der Beitrag zur Arbeitslosenversicherung fiel von 6,5 auf 3,0 Prozent.

Sind diese Erfolge auf die Agenda-Reformen zurückzuführen oder auf den Aufschwung der Wirtschaft? Darüber streiten Politiker und Ökonomen bis heute. Sicher ist: Hartz IV ist in Deutschland zu einer Chiffre geworden für Abstieg und Armut, Hartz IV ist ganz unten, wo kaum einer freiwillig landen will. Das IAB stellt fest: Mit der Reform sei der Druck gewachsen, eine Arbeit anzunehmen - auch zu niedrigen Löhnen.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: