Schrempps Rücktritt:Der Leitwolf schleicht davon

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Mit seinem Abgang landet der Konzernchef einen Überraschungscoup, doch seine Bilanz hätte auch bei besseren Zahlen das Unternehmen belastet.

Von Dagmar Deckstein und Karl-Heinz Büschemann

Dem frühen Schrempp wäre das nicht passiert. Er hätte sich mit Zigarre und Rotweinglas unter die Hundertschaft der Gäste gemischt und sich vielleicht - wie vor zehn Jahren in Sachen Fokker - auch noch damit gebrüstet, als Topmanager Milliarden verspielt zu haben.

Im Mai 2005 aber, als Jürgen Schrempp und Ehefrau Lydia wie seit einigen Jahren schon zum südafrikanischen Unabhängigkeitstag ins Mercedes-Benz-Museum nach Untertürkheim luden, da absolvierte Schrempp das offizielle Programm, um sich dann hurtig mit einigen Ehrengästen über eine Hintertreppe zum Abendessen zurückzuziehen. Bloß kein Aufsehen, bloß keine unangenehmen Fragen.

Der Vorstandsvorsitzende des drittgrößten Autokonzerns der Welt hat sich schon seit Jahren auffällig ins Unauffällige zurückgezogen, machte sich dünn, machte sich rar, fast unsichtbar. Und am Ende des Jahres wird er ganz von der Bildfläche des Konzerns verschwunden sein - und von einer frischen Kraft ersetzt werden, von Dieter Zetsche.

Warum gerade jetzt? Die ganze Wahrheit wird sich wohl erst in Erfahrung bringen lassen, wenn sich das Erstaunen gelegt hat und das Freudenfeuerwerk der DaimlerChrysler-Aktie an den Börsen verloschen ist. Fest steht nur, dass einer der mächtigsten und zugleich umstrittensten deutschen Manager seinem Ruf wieder mal alle Ehre machte: Er hat eine Entscheidung getroffen, mit der nun wirklich niemand gerechnet hat. Oder aber er ist von seinem Aufsichtsrat zu einer Entscheidung ermuntert worden, mit der er sich vielleicht schon eine Zeitlang selbst getragen hat.

Die fehlende Floskel

Vielsagend und zweideutig ist jedenfalls die etwas dürre Erklärung eines Unternehmenssprechers, der sagt: "Es ist kein Rücktritt, er ist freiwillig gegangen nach einem Gespräch mit dem Aufsichtsrat." Als das 20-köpfige Gremium unter seinem Vorsitzenden, dem Schrempp-Vertrauten Hilmar Kopper, am Donnerstagmorgen in Stuttgart tagte, waren die Würfel längst gefallen.

Wie sonst hätte Schrempp, Chef von weltweit 388.000 Beschäftigten, bereits am Donnerstagvormittag einen Brief an eben diese Mitarbeiter verbreiten können, in dem er ihnen die frohe Botschaft verkündet: "Wir sind auf dem besten Wege, die Ziele, die unter meinem Vorstandsvorsitz gesetzt wurden, zu erreichen." Er hatte "wir" geschrieben, wird aber wohl selbst nicht mehr dabei sein, wenn der Konzern an diesen Zielen schließlich ankommt.

Die Quartalszahlen, die das Unternehmen an diesem Donnerstag verkündete, fielen besser aus als allgemein erwartet. Auch auf der derzeitigen Großbaustelle Mercedes, wo Qualitätsprobleme und schleppende Nachfrage zu schaffen machen, scheinen im Moment zumindest keine weiteren bösen Überraschungen zu lauern. Zum Grübeln lädt im übrigen auch die Pflichtmitteilung des Konzerns ein, in der es heißt, dass die Personalentscheidungen auf Beschluss des Aufsichtsrats erfolgt seien.

Außerdem fehlt auf dieser Ad-hoc-Meldung die in solchen Fällen übliche Standardfloskel, mit der man dem Scheidenden Dank und Anerkennung für seine Verdienste bezeugt. Auch das lässt tief blicken. Nach 44 Jahren im Unternehmen - zu Beginn als Mechanikerlehrling, am Ende zehn Jahre an der Konzernspitze - mutet es ein wenig so an, als verlasse der 60-Jährige die Stätte seines Wirkens durch den Lieferantenausgang.

Doch wenn man Jürgen E. Schrempp eines nicht vorwerfen kann, dann eine Schwäche, die deutschen Managern häufiger attestiert wird: dass sie vor lauter Bedenkenträgertum und Absicherungsmanie keine klaren Entscheidungen zu treffen imstande seien. Bei ihm ist es gerade umgekehrt. Seitdem er an der Spitze des Autokonzerns schaltet und waltet, suchte er "Herausforderungen" - eines seiner Lieblingsworte -, wo immer sie sich boten.

Er durchschlug Knoten, hakte ab, steckte weg, zog Schlussstriche, aber radikal. Ganz nach seinem Leitmotto: "Nie grau - immer schwarz oder weiß." Er zerlegte den "integrierten Technologiekonzern" seines Vorgängers Edzard Reuter wieder in seine Bestandteile, verkaufte alles, was ihm nicht ins Kerngeschäft Auto passte - Fokker, Dornier, AEG zum Beispiel.

Es war die Zeit, da sein Aufsichtsratsvorsitzender Kopper ihn als "Leitwolf" und "maximo lider" pries. Entsprechend benahm sich Jürgen Schrempp auch. In dieses Jahr 1995 fiel auch jene Episode auf der Spanischen Treppe in Rom, die vom reichhaltigen Schrempp-Schmonzetten-Repertoire wohl am Nachhaltigsten in Erinnerung bleibt:

Da hatte der Daimler-Benz-Chef mit seiner Mitarbeiterin und heutigen zweiten Ehefrau Lydia Deininger sowie einem weiteren Vertrauten unter Zuhilfenahme von Rotwein deren Geburtstag gefeiert. Spätabends wurden sie von römischen Polizisten auf eben dieser Treppe in eine kleine Auseinandersetzung verwickelt. Die Eskalation lieferte seinerzeit eindrucksvolle Schlagzeilen.

Schrempps Vorliebe für Rotwein und Cohibas wurde dann öffentlich nur noch selten zelebriert, nachdem er seinen größten Coup gelandet hatte: Die Fusion mit dem amerikanischen Autobauer Chrysler, 1998 enthusiastisch als "Hochzeit im Himmel" gefeiert.

Dass die familienliebenden Midwestener in Auburn Hills ein Jahr später allerdings in den Zeitungen lesen mussten, dass Schrempps Ehe mit seiner Frau Renate nach 35 Jahren in die Brüche ging, weil ihm angeblich die Firma wichtiger war, fanden die neuen Konzernangehörigen ziemlich gewöhnungsbedürftig. Heute lebt Schrempp mit seiner zweiten Ehefrau und den beiden gemeinsamen kleinen Kindern in München, wenn er nicht gerade am Konzernsitz Stuttgart dringend gebraucht wird.

Ein Deutscher aus Detroit

Von jener Hochzeit im Himmel an ging es jedenfalls bergab. Natürlich nicht wegen Schrempps Scheidung, sondern weil sich Chrysler kurz darauf als Milliardengrab entpuppte. Der US-Autobauer schrieb Verluste und musste erst einmal tiefgreifend saniert werden. Was auch immer der Konzernchef in den Folgejahren in seiner Entscheidungsfreude anpackte, es geriet ihm zum Fiasko.

2000 musste das defizitäre Nutzfahrzeuggeschäft auf Vordermann gebracht werden, 2004 trennte sich Schrempp schweren Herzens vom maroden asiatischen Partner Mitsubishi. Vor Monaten erst wurde der Kleinwagen Smart zum Sanierungsfall. Schließlich brach auch noch bei Mercedes die Krise aus. Ausgerechnet der glänzende Stern, die Seele des Autokonzerns, ist durch Qualitätsprobleme ramponiert worden.

Und ausgerechnet Schrempp, der mit dem Schlachtruf "Profit, Profit, Profit" den Vorstandsvorsitz erklommen und sich dem damals in Deutschland unbekannten Shareholder-Value verschrieben hatte, trieb zum Schluss die Aktionäre auf die Palme. Stets neue Brandherde im Konzern sorgten dafür, dass sich das Geld der Aktionäre eben gerade nicht mehrte, sondern verringerte. Seit der Fusion mit Chrysler anno 1998 sank der Unternehmenswert um mehr als 50Milliarden Euro.

Düstere Wolken zogen sich über Schrempps Kopf zusammen, was bei den beiden letzten Hauptversammlungen im April 2004 und 2005 deutlich zu beobachten war. Erstmals hatten sich dort auch Vertreter der sonst notorisch diskreten Fondsgesellschaften offen zu Wort gemeldet und Schrempp in vielen Variationen die Botschaft übermittelt: Die Geduld der Aktionäre ist zu Ende.

Im April des Debakeljahres 2004 noch hatte der Aufsichtsrat Schrempp gebeten, weiter am Steuerrad zu bleiben und seinen Vertrag bis 2008 zu verlängern. Aber auch ihm selbst war wohl schon damals klar, dass er mehr und mehr zur Belastung der von ihm zusammengeschraubten Welt AG wurde. Da konnten ihm auch sein riesiges Konzern-Netzwerk an Informanten und seine handverlesenen Vertrauten nicht mehr viel helfen, mit denen er seine Machtposition abgestützt hatte.

Warum also ist gerade jetzt der richtige Zeitpunkt gekommen, um die Demission des "Leitwolfs" zu verkünden? Einer dieser Schrempp-Vertrauten hat eine einleuchtende Erklärung. Die Bilanzzahlen, die DaimlerChrysler künftig zu verkünden hat, dürften immer besser werden. Aber wenn sie ein Schrempp präsentieren würde, dürfte das wegen der Vorgeschichte für das Unternehmen viel ungünstiger sein, als wenn das ein unbelasteter und durch seine Sanierungserfolge bei Chrysler getragener Dieter Zetsche täte. Im Klartext: Schrempp bekommt den Qualmgeruch seiner vielen von ihm angesteckten Brandherde nicht mehr los.

Dass Zetsche zum Nachfolger wird, kann zunächst kaum überraschen. Der 52-Jährige ist der Einzige in dem transatlantischen Konzern, der mit guten Zahlen glänzt. Der schlaksige, knapp zwei Meter große Mann mit der Halbglatze und dem buschigen Schnauzbart hat im Auftrag seines Stuttgarter Chefs in den vergangenen fünf Jahren die US-Tochter ordentlich saniert. Endlich einmal war er länger auf einem Posten geblieben.

Zuvor war er oft alle zwei Jahre woanders, immer als Geheimwaffe der Zentrale. Mal tauchte er als Chef von Mercedes in Argentinien auf, dann musste er die amerikanische Lastwagentochter Freightliner auf Kurs bringen. Eine Zeitlang arbeitete er als Mercedes-Vertriebschef für die Personenwagen, dann war er plötzlich für die Daimler-Lastwagen und Busse verantwortlich. Damals hing dem eiligen Manager der Ruf an, nirgends etwas zu Ende gebracht zu haben. Bei Chrysler konnte er nicht weglaufen. Er war längst zum Kronprinzen von Jürgen Schrempp geworden. Und er packte an.

Von den etwa 100.000 Chrysler Beschäftigten hat er 25.000 nach Hause geschickt, sechs Fabriken wurden geschlossen. Und das ganze hat "Dieter", wie der Deutsche in Detroit allgemein genannt wird, hinbekommen, ohne zum Buhmann aus Deutschland zu werden. Von den Bossen der drei großen Autokonzerne in Detroit hat keiner ein so hohes Ansehen wie Zetsche.

Im Ruch des Verräters

Wer den Mann, der in Istanbul geboren wurde, aber wie ein Hesse spricht, im 15. Stock seines Büros der Chrysler-Zentrale von Auburn Hills besucht, erlebt einen Manager, der sich sauwohl zu fühlen scheint. "Wir haben hier einiges verändert", sagt er. Und dann wagt er noch einen kessen Spruch über Mercedes. "Die Kollegen können noch von uns lernen."

Man darf annehmen, dass Zetsche, den Bild einen "Kumpeltyp im Kaufhausanzug" nennt, mit einem weinenden Auge aus Amerika weggeht. In kleiner Runde hat der stets Gutgelaunte zwar bisweilen zum Besten gegeben, dass ihm in Amerika die deutsche Kneipenkultur fehle. Aber die Freundlichkeit der Amerikaner, die hat er lieben gelernt. Und als Deutscher fällt er nur noch auf, weil er einen heftigen Akzent hat. Zetsche schwärmt von seiner neuen Heimat.

Vor etwa zehn Jahren ist Chrysler mit der Konzernzentrale aus der City von Detroit an den grünen Stadtrand geflohen. "Wenn man hier aus dem Fenster schaut und sieht, wo wir sind, dann ist es wunderbar", freut er sich.

Wenn es allerdings nach Schrempp gegangen wäre, hätte Zetsche diesen Blick noch länger genießen dürfen. Sein Favorit für die Nachfolge war Eckhard Cordes, der Mercedes-Chef. Zetsche galt als Verräter, seitdem er im vergangenen Jahr den großen Boss wegen dessen Mitsubishi-Strategie kritisiert hatte.

© SZ vom 29.07.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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