Schreck für Kleinanleger:Strafzins für Spargroschen

Sparen

In Zeiten niedriger Zinsen wirft auch eine Sparschwein-Herde nichts mehr ab, wenn man ihren Inhalt zur Bank trägt.

(Foto: Imo/photothek.net)

Eine Volksbank in Schwaben schreckt die Kunden auf: Im Preisaushang kündigt sie Negativzinsen selbst auf kleine Beträge an. Später schränkt sie das ein. Doch das Szenario droht auch anderen Sparern.

Von Harald Freiberger

Die Mitarbeiter der Volksbank Reutlingen hatten am Mittwoch gut zu tun. Den ganzen Tag über mussten sie Anrufe von besorgten Kunden und von Journalisten beantworten. "Tut mir leid, es gibt eine lange Warteliste", entschuldigte die Dame von der Hotline. Sie kann jetzt den Anruf nicht durchstellen.

Am Morgen hatte das Internet-Vergleichsportal Verivox eine Liste von Banken veröffentlicht, die inzwischen Zinsen auf das Ersparte von Privatkunden verlangen. Ganz oben stand die Bank aus dem schwäbischen Reutlingen, 30 Kilometer südlich von Stuttgart: Laut ihrem Preisaushang im Internet berechnet sie ein "Verwahrentgelt" von 0,5 Prozent - für Guthaben auf Girokonten schon ab dem ersten Euro, für Tagesgeld ab 10 000 Euro.

Dass Banken die Negativzinsen, die sie für kurzfristige Einlagen bei der Europäischen Zentralbank (EZB) zahlen müssen, an Privatkunden weitergeben, ist nicht neu. Die Raiffeisenbank Gmund am Tegernsee sorgte mit diesem Schritt im vergangenen August für Aufsehen, auch einige andere Geldinstitute verfahren so. Sie berechnen den Strafzins jedoch erst ab größeren Beträgen von 100 000 oder 500 000 Euro. Dass ein Institut nun auch Kleinsparer belastet, ist ein Tabubruch und gleichzeitig ein Szenario, das Kunden anderer Banken drohen könnte. Deshalb war die Aufregung am Mittwoch groß.

Die Volksbank Reutlingen versuchte zu beruhigen: Man verlange momentan keine Negativzinsen von Privatkunden. "Die Änderungen im Preisaushang, unsere Privatkonten und das Tagesgeldkonto betreffend, sind rein prophylaktischer Natur", so eine Sprecherin. "Sie schaffen lediglich die formalen, rechtlichen Voraussetzungen zum Beispiel für den Fall, dass ein Neukunde eine Million Euro bei uns anlegen will."

Die Änderungen seien "rein prophylaktischer Natur", versucht die Bank zu beruhigen

Die Äußerung hinterließ manchen ratlos. Kay Görner, Marktwächter Finanzen bei der Verbraucherzentrale Sachsen kritisierte, dass Preisaushänge klar und wahr sein müssten. "Sie dürfen Kunden nicht irreführen." Er vermutet, dass der Aushang der Abschreckung dienen soll: Die Volksbank wolle wohl vermeiden, neues Geld von Kunden zu bekommen.

Mit dieser Sorge sind die schwäbischen Banker nicht allein. Im Sommer 2014 führte die EZB den Negativzins ein, um Banken zu animieren, dass sie das Geld der Sparer nicht horten, sondern als Kredit verleihen, damit Privatleute und Firmen die Wirtschaft in Europa ankurbeln. Doch häufig ist die Nachfrage nach Krediten schon ausgeschöpft. Die Folge ist ein Überhang an Einlagen. Immerhin muss eine Bank für jede Million Euro der EZB im Jahr 4000 Euro zahlen. Das Analysehaus Barkow schätzt, dass der Negativzins die deutschen Kreditinstitute im vergangenen Jahr insgesamt 1,1 Milliarden Euro kostete.

Schon früh gaben die Banken den Negativzins an Großanleger weiter. Unternehmen oder Fondsgesellschaften parken oft Millionenbeträge bei den Geldhäusern. Mit ihnen reden die Banken darüber, dass sie das Geld anderweitig anlegen - oder sie berechnen eben den Strafzins. Am Anfang betonten Banker und Verbandsleute, sie könnten sich nicht vorstellen, dass es einen Negativzins auch für Sparer geben werde. "Ich glaube das schon wegen des psychologischen Moments nicht", sagte im Jahr 2014 noch Stefan Krause, der damalige Finanzchef der Deutschen Bank.

Doch nach und nach führten Institute den Strafzins auch für Privatanleger ein, allerdings nur bei höheren Beträgen: Die Skatbank, die Direktbanktochter einer Volksbank in Thüringen, machte den Anfang, ab 500 000 Euro. Es folgten Institute wie die Volksbank Stendal, die Volksbank Raiffeisenbank Niederschlesien, die Raiffeisenbank Gmund oder die Volksbank Pinneberg-Elmshorn. In den vergangenen Monaten führten laut Verivox sieben weitere Geldhäuser die Negativzinsen ein: die VR-Bank Donau-Mindel, die Volksbank Baden-Baden, die Volksbank Ermstal-Alb, die Dresdner Volksbank, die VR-Bank Mittelsachsen, die Ethikbank, die Volksbank Eisenberg. Manche berechnen den Strafzins ab 100 000 Euro, manche ab 500 000 oder einer Million Euro, andere drohen nur "Großanlegern" damit, die ein Konto bei ihnen eröffnen wollen. Die Höhe des Strafzinses liegt zwischen 0,3 und 0,5 Prozent.

Von den rund 800 Banken, die Verivox beobachtet, haben nun 15 einen Negativzins für Privatkunden. Mit der Spardabank Berlin kündigte zudem ein größeres Institut diesen Schritt für September an. "Negativzinsen für normale Sparer waren lange ein Tabu, doch die Entwicklung der letzten Monate zeigt, dass das Problem immer näher rückt", sagt ein Sprecher von Verivox.

Je länger die EZB die Negativzinsen erhebt, umso mehr geraten die Banken unter Druck. Die Einlagen nehmen immer weiter zu, da noch gut verzinste Anlagen aus der Vergangenheit auslaufen und nicht mehr entsprechend investiert werden können. Außerdem wandern Kunden von Banken, die einen Negativzins erheben, zu solchen ab, die das noch nicht tun. "Sobald der erste große Marktteilnehmer Negativzinsen für Privatkunden erhebt, werden auch wir gezwungen sein nachzuziehen", sagte Ralf Fleischer, Chef der Stadtsparkasse München, schon Anfang des Jahres.

Auch die Sätze der Verbandsleute werden vorsichtiger. Sparkassen-Präsiden Georg Fahrenschon sagt zwar: "Negativzinsen für Sparer sehe ich weiterhin nicht." Die Sparkassen stemmten sich mit ganzer Kraft dagegen. Jürgen Gros, Präsident des Genossenschaftsverbands Bayern, weist aber darauf hin, dass seine Banken zunehmend über eine Anpassung ihrer Konditionen nachdenken müssten, wenn Wettbewerber Negativzinsen einführten. "Die Institute gehen sonst das Risiko ein, von Liquidität überschwemmt zu werden."

Eine Volksbank in Schwaben hat nun den Anfang gemacht - und den Letzten beißen die Hunde.

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