Pharma:Wo die Fläschchen für flüssige Medizin herkommen

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Spritzen aus einem speziellen Kunststoff auf einem Förderband. Sie halten 80 Grad minus aus. Das ist wichtig für mRNA-Impfstoffe wie jene gegen Covid-19. (Foto: Oana Szekely/SCHOTT Pharma)

Die Corona-Impfstoffe wären ohne Schott Pharma nicht zum Patienten gekommen. Zum Umsatz der Firma, die an die Börse soll, steuerten sie nur wenig bei.

Von Elisabeth Dostert, Müllheim

Es gab Zeiten, da gab es für Andreas Reisse selbst beim Essen mit Freunden kein anderes Thema als die Vials. Wie werden die Glasfläschchen gemacht? Was kostet so ein Ding? Gibt es genug? Oder scheitert der Kampf gegen die Corona-Pandemie möglicherweise daran, dass es nicht genügend dieser kleinen Glasfläschchen gibt, in denen der Impfstoff abgefüllt wird?

"Manchmal war es schon ein wenig nervig", sagt Reisse. Einerseits. Anderseits hat es ihn auch stolz gemacht, dass sich plötzlich so viele für Schott Pharma interessierten. Reisse, 61, ist der Vorstandsvorsitzende des Unternehmens, das zum Mainzer Schott-Konzern gehört. Es stellt aus Glas und Kunststoff Behälter für injizierbare, also flüssige Medikamente her.

Andreas Reisse ist Chef von Schott Pharma. Er will das Unternehmen an die Börse führen. (Foto: Oana Szekely/Schott Pharma)

Reisse hat alle Fragen beantwortet. Ein paar Cent kostet so ein Vial. Den genauen Preis will er beim Gespräch am Standort in Müllheim im Breisgau nicht nennen. Es kommt ja unter anderem darauf an, wie viel ein Abnehmer bestellt. Klar seien die Fläschchen am Anfang knapp gewesen und die Steigerung der Produktion eine Herausforderung. Die Gefahr, dass der Kampf gegen das Virus an den Vials scheitert, habe aber nie bestanden, versichert Reisse. Und, das ist ihm wichtig: Schott Pharma sei kein Krisengewinner. Zum Umsatz von 650 Millionen Euro im Geschäftsjahr 2020/21 per Ende September steuerte Reisse zufolge die zusätzliche Nachfrage durch Corona "nur" drei Prozent bei. Der Anteil der Vials an den Kosten für den Impfstoff sei sehr gering.

Vielleicht würde Reisse jetzt gerne Namen nennen, aber die Kunden mögen das nicht. "Wir beliefern die großen Hersteller von Corona-Impfstoffen", sagt er. Viele Menschen wissen mittlerweile, was ein Vial ist. Und noch sehr viel mehr kennen Namen wie Biontech, Pfizer, Moderna, Johnson oder Astra Zeneca. Sie konnten die Namen auf den Fläschchen lesen im Impfzentrum, in der Arztpraxis oder in der Apotheke oder wo immer sie auch hingingen, um sich impfen zu lassen. Der Name Schott Pharma steht nicht auf den Vials.

13 Milliarden Behälter: Spritzen, Vials und vieles mehr

Vor zwei Jahren wurden die ersten Impfstoffe zugelassen. Bis zum 9. Dezember 2022 wurden in Deutschland rund 190 Millionen Dosen verabreicht. "Der Hype ist vorbei", sagt Reisse. Aber, zumindest was die Geschäftsentwicklung anbelangt, macht ihm das keine Sorgen.

Rund 13 Milliarden Behälter stellte Schott Pharma 2021 her: Spritzen, Ampullen, Karpulen und eben die Vials - an 17 Standorten, darunter mehrere gemeinsame Werke mit dem Serum Institute of India, größter Impfstoffhersteller der Welt. "Unsere Produkte sehen simpel aus, aber da stecken viele Innovationen drin", sagt Reisse: "Wir werden vom großen Potenzial der mRNA-Technologie profitieren. Wir sind die Einzigen, die eine Spritze aus Kunststoff anbieten können, die 80 Grad minus aushält. Die Möglichkeiten hier sind enorm, wir sehen heute erst den Anfang."

Schott Pharma stellt solche Spritzen im Werk Müllheim nahe Freiburg her. Die Firma hat es in den vergangenen Monaten kräftig ausgebaut und einen dreistelligen Millionenbetrag in die neuen Hallen investiert. Es ist neben dem Standort St. Gallen erst der zweite Standort für diese Polymerspritzen. Produziert werden sie im Reinraum, in dem Temperatur, Feuchtigkeit und Luftstrom kontrolliert werden. "Die Spritzen dürfen nicht durch Partikel verunreinigt werden", sagt Standortleiter Bernhard Langner. Bislang laufen zwei Linien. "Bis 2026 sollen weitere Produktionslinien für zig Millionen Spritzen dazukommen", sagt er. Sie werden dann in sogenannte Nester verpackt, rund 100 Stück pro Kunststoffkiste, und an die Pharmaunternehmen verschickt.

Bernhard Langner leitet den Standort Müllheim im Breisgau. Dort wird kräftig investiert. (Foto: Oana Szekely/Schott Pharma)

Im Gebäude nebenan werden Vials hergestellt, eine siebenstellige Zahl jeden Tag, auch solche für Impfstoffe. "Wir haben von hier aus in die ganze Welt geliefert", sagt Langner. Die eineinhalb Meter langen Glasröhren aus dem Schott-Werk in Mitterteich werden auf Maschinen eingefädelt, mittels einer Gasflamme in Abschnitte getrennt und zu Vials geformt. Vom Durchmesser der Röhren hängt das Fassungsvermögen der Fläschchen ab - von wenigen Millilitern bis 100 Milliliter. "Wir machen hier verschiedene Qualitäten", so Langner.

Was hier verarbeitet wird, ist kein einfaches Glas, wie für Fenster oder Türen. Die Vials sind aus Borosilikatglas, das chemisch beständiger und thermisch stabiler ist. Die Vials für die Impfstoffe seien eher Standard, sagt Langner. Ziel sei es, den Anteil höherer Qualitäten an der gesamten Produktion auszubauen, mit denen sich dann auch höhere Preise erzielen lassen. "Das ist wichtig, damit sich die Produktion an Hochlohn-Standorten lohnt", sagt Langner.

Es gibt Vials mit Lotuseffekt

Man sieht den Gläschen ihre Qualitäten nicht unbedingt an. Aber Langner kann die Unterschiede erklären. Zu den speziellen Eigenschaften gehöre zum Beispiel eine Innenbeschichtung, die ähnlich wie beim Lotuseffekt dafür sorge, dass möglichst viel Medikament aus den Vials entnommen werden kann und nur sehr wenig an den Wänden hängen bleibt. "Es handelt sich um sehr teurere Arzneien, etwa für Krebstherapien, die in den Vials abgefüllt werden", sagt Langner. Manche Pharmahersteller wünschten sich bereits sterilisierte Vials, ein Markt, der gerade am Entstehen sei. Jedes Vial werde kosmetisch detektiert, das heißt mithilfe von Kameras auf Fehler wie etwa Luftbläschen überprüft.

Jedes einzelne Vial wird mit Kameras kontrolliert. (Foto: Oana Szekely/Schott Pharma)

Langner und Reisse, beide kennen jeden Produktionsschritt. Reisse ist Wirtschaftsingenieur. Bis auf einen kurzen Abstecher zu VW nach Wolfsburg, seine Heimatstadt, hat er sein ganzes Berufsleben im Schott-Konzern verbracht. Bei VW im Einkauf habe er gelernt, wie man "klar, effizient und gerade Prozesse organisieren kann und Krisen managt". Gut ein Jahr blieb Reisse bei VW.

Anfang 2000 sei er dann zurück zu Schott, weil er dort mehr "Freiräume habe zu gestalten". Seit Herbst 2010 führt er den Bereich, der vor ein paar Monaten in die Schott Pharma AG & Co. KGaA rechtlich verselbständigt wurde. Im Geschäftsjahr 2021 setzte der Konzern weltweit mit rund 4700 Mitarbeitenden 650 Millionen Euro um. "Wir planen in den nächsten Jahren, weiterhin im zweistelligen Prozentbereich profitabel zu wachsen, und damit stärker als der Pharmamarkt", sagt Reisse.

Nun soll er Schott Pharma an die Börse führen. Ein Termin steht noch nicht fest. Vieles steht noch nicht fest. "Wir haben keine Not - weder Schott Pharma noch der Mutterkonzern", sagt Reisse: "Wir haben keinen Zwang, das in einem schlechten Börsenumfeld zu tun." Der Mainzer Schott-Konzern will die Mehrheit behalten. Wie hoch diese sein werde, sei noch offen. Das platzierte Volumen müsse in jedem Fall groß genug sein, damit die Aktie attraktiv sei für Investoren. In Analystenkreisen, aus denen die Frankfurter Allgemeine Zeitung im Sommer zitierte, war eine Bewertung von vier Milliarden Euro genannt worden. Dazu will sich das Unternehmen nicht äußern. Offen ist auch, ob es beim Börsengang eine Kapitalerhöhung geben werde. Falls nur Schott Anteile platziert, würde Schott Pharma ja kein Geld zufließen.

"Die Investitionen, die wir heute brauchen, können wir aus dem laufenden Geschäft finanzieren", sagt Reisse. Wozu also der Börsengang? Der Mutterkonzern wolle die Einnahmen auch in die energetische Transformation stecken. Als Glashersteller betreibt Schott viele Schmelzwannen, die viel Energie verbrauchen. Bis 2030 wolle der Konzern CO₂-neutral werden. "Das bedeutet erhebliche Investitionen", sagt Reisse.

Schott Pharma verschaffe sich mit dem Börsengang einen besseren Zugang zu den Kapitalmärkten, auch für den Fall eines Zukaufs. Lücken im Sortiment gebe es momentan nicht, sagt Reisse. "Wir haben aktuell alles, was wir an Produkten brauchen, und sind geografisch gut aufgestellt. Wenn sich uns aber eine einmalige Gelegenheit bietet, schauen wir uns das natürlich an." Weshalb also der Börsengang? Kapitalmarktfähig zu sein, würde eine neue Sicht auf das Unternehmen eröffnen, sagt Reisse. Und er liebe Herausforderungen. Das ist der Börsengang in jedem Fall.

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