Schokolade:Die Schoko-Schwelle

Schokoladentafeln aufgestapelt Stapel Schokoladentafeln

Seit gut einem Jahr kostet eine Tafel Schokolade 1,09 Euro, die Ritter-Nusssorten kosten sogar 1,29 Euro.

(Foto: avanti/imago)

Der Kakaopreis hat sich halbiert. Doch die Schokolade wird trotzdem nicht billiger.

Von Harald Freiberger

Am 1. April vergangenen Jahres passierte etwas, das Experten nie für möglich gehalten hätten: Erstmals stand beim Preis für eine Tafel Schokolade eine Eins vor dem Komma. Der Hersteller Ritter Sport sah keine andere Möglichkeit, als die Schwelle zu überschreiten, die in Deutschland - schon zu D-Mark-Zeiten - über Jahrzehnte gehalten hatte. Nie hatte die 100-Gramm-Tafel der gängigen Marken Ritter oder Milka mehr als 99 Pfennig oder Cent gekostet.

Doch am 1. April 2016 passierte es: Ritter erhöhte den Preis für die Tafel von 0,99 auf 1,09 Euro, für die Nusssorten sogar auf 1,29 Euro. Kurz darauf zog auch Milka nach. Die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung sprach vom "Schoko-Schock". Die Gründe waren starke Preisanstiege für Nüsse im Haupterzeugerland Türkei wegen Missernten und für Kakao in Ghana und an der Elfenbeinküste.

Seitdem ist der Preis für den Rohstoff massiv eingebrochen. Eine Tonne Kakaobohnen kostete vor Kurzem 1800 Euro, halb so viel wie auf dem Höhepunkt im Dezember 2015. Es ist der niedrigste Stand seit zehn Jahren. Die Hersteller können also deutlich günstiger einkaufen. Doch die Liebhaber von Schokolade in Deutschland brauchen sich keine Hoffnungen zu machen, dass der Preis für die Tafel wieder unter die Ein-Euro-Schwelle fällt. "Ich kann mich nicht erinnern, dass das Überschreiten einer Schwelle je rückgängig gemacht wurde", sagt Björn Dahmen, Handelsexperte bei der Strategieberatung Simon Kucher.

Zumal es sich nicht um irgendeine Hürde handelt, sondern "um den hartnäckigsten Schwellenpreis, den es im deutschen Einzelhandel je gab", wie es beim Handelsverband Deutschland heißt. Ältere erinnern sich, dass die Tafel Milka schon in den 1950er-Jahren 99 Pfennig kostete. So blieb das über Jahrzehnte. Hersteller und Handel trauten sich nicht, mehr zu verlangen. Der Grund lag darin, dass die Tafel Schokolade das war, was Experten "ein Ankerprodukt" nennen - eines der wenigen Güter, dessen Preis fast jeder Bürger kennt. Bei ihnen muss der Handel extrem vorsichtig sein. Würde ein Laden über den Schwellenpreis gehen, fiele das den Kunden sofort auf. Die Gefahr ist groß, dass sie dann aus Verärgerung dort nicht mehr einkaufen.

Schwellenpreise sind gerade Zahlen, zum Beispiel ein Euro, zehn Euro oder 100 Euro. Da sie für Verbraucher etwas Abschreckendes haben, ist es in Läden seit Langem gängige Praxis, knapp darunter zu bleiben. Deshalb kosten viele Produkte 99 Cent, 9,90 Euro oder 99 Euro. "Schwellenpreise sind ein weit verbreitetes Phänomen", so der Handelsverband. "Dass sich ein Schwellenpreis bei einem Produkt aber über Jahrzehnte hielt, war einzigartig." Die Verbraucherpreise stiegen in Deutschland von 1950 bis 2002 laut Statistischem Bundesamt um 322 Prozent - der Preis für die Tafel Schokolade aber blieb über den gesamten Zeitraum konstant. Die Tafel Schokolade war über Jahrzehnte die stabilste Währung der Welt.

Erst mit der Einführung des Euro im Jahr 2002 konnten die Hersteller den Preis erhöhen. Der eigentliche Umrechnungspreis wäre 0,51 Euro gewesen, doch schnell kostete die Tafel 0,55 Euro, dann 0,59 Euro, 0,69 Euro und 0,79 Euro. "Es fällt nicht so auf, wenn man von 69 auf 79 Cent geht", sagt Experte Dahmen. Einige Jahre lang blieb es anschließend bei 0,89 Euro, dann, ab etwa 2015, kam die Erhöhung auf 0,99 Euro. Innerhalb von 13 Jahren hatte sich der Preis damit verdoppelt. Für Kritiker war das ein Beleg für den schon bei der Einführung der neuen Währung gehegten Verdacht, dass der Euro ein "Teuro" sei.

Viele Experten im Einzelhandel erwarteten danach aber, dass es so weitergehen würde wie von 1950 bis 2002, und sich der Preis für die Tafel Schokolade nicht mehr bewegt. Zur Überraschung vieler fiel die Schwelle aber eben im April 2016. "Man kann davon ausgehen, dass Ritter Sport lange mit sich gerungen hat", sagt Experte Dahmen. Schließlich sei es ein Risiko, eine solch harte Preisschwelle zu überschreiten. Auch sei nicht klar gewesen, wie der Hauptkonkurrent Milka reagieren würde. "Es hätte auch sein können, dass er unter einem Euro bleibt und damit Ritter Marktanteile abnimmt", sagt Dahmen. Es kam dann anders, und inzwischen sieht es so aus, als hätten die Verbraucher die Preiserhöhung geschluckt: Die Tafel Ritter oder Milka kostet fast überall im Handel 1,09 Euro, die Ritter-Nusssorten 1,29 Euro.

Seit einigen Jahren gibt es zudem den Trick mit dem Gewicht: Milka führte zum Beispiel die 85-Gramm-Tafel ein, die fast genauso aussieht wie die 100-Gramm-Tafel und auch fast genauso viel kostet.

Im Nachhinein ist es ohnehin ein Rätsel, wie es die Hersteller geschafft haben, über Jahrzehnte ohne Preiserhöhung auszukommen. Eine Begründung könnte sein, dass die Gewinnspannen in den 1950er Jahren wahrscheinlich noch sehr hoch waren. Denn in den Nachkriegsjahren galt eine Tafel Schokolade noch als Luxus, erst mit dem wirtschaftlichen Aufstieg Deutschlands wurde sie zum Alltagsprodukt. Außerdem gibt es Fortschritte in der Produktion, sodass die Kosten gesunken sind. Dass man aber über Jahrzehnte die Preise nicht anhebt, ist eine Ausnahme. Es könnte auch sein, dass der Handel einen Teil der eigentlich nötigen, aber nicht durchsetzbaren Preiserhöhungen gegenüber den Herstellern abgefedert hat - eben weil ihm das Ankerprodukt einer Tafel Schokolade so wichtig war.

Inzwischen jedenfalls sind Ritter und Milka solche Sorgen los. Die Ein-Euro-Schwelle ist überschritten, und es gibt Luft nach oben, sollte der Kakaopreis wieder anziehen. Die nächste Schwelle liegt erst bei zwei Euro.

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