Schmuck:Im "Löffelbuch"

Lesezeit: 3 min

Vom edlen Besteck zum Anhängerband - ein Juwelier erzählt von den Moden beim Silber. Und von "Big Data" in den 1950er-Jahren.

Von Gianna Niewel, München

Stephan Lindner sitzt vor einer Wand aus Ketten und Ohrringen und Armbändern, alles glitzert und funkelt. Im Jahr 1864 gründete sein Ururgroßvater Johann Baptist Fridrich eine Uhrmacherei. Seither gibt es das Juweliergeschäft Fridrich in der Sendlinger Straße in München: Im ersten Weltkrieg verschont, im zweiten gebeutelt, trotzte es sich durch die Jahrhunderte.

An der Wand hängen Fotos in Schwarz-Weiß, sie zeigen eine der Gebäudeseiten weggesprengt, Stelen ragen ins Nichts. Doch das Geschäft blieb, auch wenn das Ladenlokal mal geschlossen war. Zur Not verkaufte die Familie ihre Hochkaräter eben aus einem Container - zuletzt 1990, als umgebaut wurde. Die Geschichte von Stephan Lindners Familie ist also auch die Geschichte des Schmucks - und wie sich das Geschäft damit im Laufe der Jahrzehnte verändert hat.

Früher, erzählt Lindner, der Geschäftsführer des Juweliers Fridrich, war ein Ehering oft aus Gold. Aber heute taugt vielen Paaren eher Weißgold, denn das ist nicht so teuer. "Wenn junge Erwachsene heute Schmuck kaufen, dann unterscheidet man zwischen eben jenen Verlobungs- oder Eheringen - und dem Rest", sagt Lindner. Bei Freundschaftsringen, Ketten und Ohrringen aber liege Silber vorne. Das bestätigen auch die Fachverbände. Silberschmuck ist in den vergangenen Jahren chic geworden. Bestes Beispiel sind die Armbänder, an denen junge Frauen Anhänger sammelten: ein Herz vom Freund, eine Blume von der besten Freundin, ein Doktorhut zum Abitur. Erinnerungen am Handgelenk.

Schon als kleiner Junge huschte Lindner durch das Juweliergeschäft seiner Großmutter, in den 1950er-Jahren, als die Menschen danach lechzten, sich mit schönen Dingen zu umgeben und auch in Schmuck investierten. "Stoß ja nichts um", habe die Oma ihm nachgerufen, wenn er rannte, statt zu gehen. Sie verkaufte den Menschen Taschenuhren mit vergoldeten Zeigern und Kaffeekannen, Küchenuhren aus Porzellan und opulente Silberleuchter. Zierde gegen die Kriegswunden.

Unter ihrem Tisch, erinnert sich Lindner, hütete sie ihr "Löffelbuch". Darin notierte sie handschriftlich und in Tabellen, welche Münchner Familie welches Tafelsilber besitzt. Wenn jemand zu ihr in den Laden kam, und der Nichte zum Geburtstag ein Set Dessertgäbelchen schenken wollte oder Suppenlöffel, konnte sie hier nachlesen, ob die Nichte diese überhaupt noch braucht. Und wenn ja: aus welcher Kollektion, mit welchen Legierungsanteilen.

In gewisser Hinsicht war das "Big Data" auf Papier.

Tafelsilber war mal ein Teil der Tischkultur, von den Großeltern geerbt oder als Aussteuer mitbekommen, immer aber in Ehren gehalten. Besonders beliebt war bei ihnen das aus Sterlingsilber mit einem Anteil von 92,5 Prozent reinem Silber, dazu 7,5 Prozent andere Metalle, Kupfer etwa. Heute reicht den Menschen Stahlbesteck.

Es kamen die 1970er-Jahre und die Ölpreiskrise. Die wirkte sich nicht nur auf den Spritpreis aus, sondern auch auf das Verhältnis von Gold und Silber. Gold war plötzlich ein Krisenmetall. Wer konnte, kaufte Schmuck. "Der Goldpreis schoss von sechs, sieben Mark auf über 50 Mark", sagt Lindner. Silber war beim Schmuck plötzlich begehrt, weil es vergleichsweise günstig war, es schmückte den Alltag. Und eben diese Ketten und Ringe, sagt Lindner, hatten klare Linien und ein schlichtes Design, schnörkellos.

Schmuck war auch ein Kulturgut, ein Statussymbol. Doch das gelte heute nicht mehr, sagt Lindner. Wer etwas auf sich halte, behänge sich nicht mehr mit hochkarätigen Ohrringen, die Frauen steckten sich keine Solitärringe mit Diamanten mehr an, um sie dann Samstagnacht um vier auf dem Waschbeckenrand der Clubtoilette liegen zu lassen. "Wer etwas auf sich hält, der investiert in ein iPad oder legt das neuste Smartphone auf den Tisch; der bestellt im Restaurant ein Ribeye von japanischen Rindern", sagt Lindner. Er sagt das nicht bitter, er stellt fest.

Die Silberarmbänder übrigens mit den verschiedenen Steinen, die gibt es auch für Männer: Schiffe und Sportschuhe etwa, einen Fußball für die Liebe zum BVB oder zum FC Bayern. Und weil Fußballer ja oft Romantiker sind, wird der Ball zum Anhängen nicht nur in Silber verkauft. Sondern auf Wunsch ebenso in Gelbgold, neun Karat.

© SZ vom 20.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: