Schmiergeldskandal:Griechen planen Haftbefehl gegen Ex-Siemenschef Pierer

Ex-Siemens Chef Heinrich von Pierer

Heinrich von Pierer, ehemaliger Konzernchef von Siemens (Archivbild von 2011).

(Foto: REUTERS)

Sie sollen Politiker und Beamte bestochen haben: Die Athener Staatsanwaltschaft hat mehrere ehemalige Konzernmanager von Siemens angeklagt, darunter auch der frühere Konzernchef Heinrich von Pierer. Doch die Anklage enthält bisher keinen einzigen Beweis - und gerät zur Posse.

Von Klaus Ott, München und Tasos Telloglou, Athen

Ein ehemaliger Siemensianer aus München, der gerne in den Süden fährt, nach Italien zum Beispiel, bleibt jetzt lieber im Lande und macht in diesem Sommer Urlaub an der Ostsee. Vorsichtshalber. Der Geschäftsmann will nicht riskieren, nach Überschreiten der Grenze verhaftet, nach Griechenland verfrachtet und dort ins Gefängnis gesteckt zu werden. Die Staatsanwaltschaft in Athen hat im Schmiergeldfall Siemens Anklage gegen 13 frühere Konzernmanager erhoben. Sie sollen Politiker und Beamte bestochen haben. Oder daran beteiligt gewesen sein, auf diese Weise lukrative Staatsaufträge zu besorgen, etwa von der nationalen Telefongesellschaft OTE. Prominentester Beschuldigter ist der langjährige Siemens-Chef Heinrich von Pierer.

Das Oberlandesgericht Athen hat den Angeklagten eine Frist bis zum 8. Juli gesetzt. Wer bis dahin nicht erscheint und zu den Vorwürfen Stellung nimmt, gegen den soll ein international gültiger Haftbefehl erlassen werden. Für die Beschuldigten, unter ihnen vier einstige Siemens-Vorstände, hätte das gravierende Folgen.

Außerhalb Deutschlands würden sie, sei es bei Grenz- oder auch nur bei Verkehrskontrollen, sofort festgesetzt und an Griechenland ausgeliefert werden. Ob die Vorwürfe stichhaltig sind, ob die Verfahren in Athen rechtlich in Ordnung sind, würde keine Rolle spielen. Drittstaaten vollziehen solche Haftbefehle normalerweise ohne weitere Prüfung. Sicher wären diejenigen, nach denen Griechenland dann fahnden würde, nur noch im eigenen Land. In der Bundesrepublik.

Kein einziger Beweis für Verstrickung in Schmiergeldzahlungen

Das wäre für die alten Siemensianer ein herber Schlag. Viele von ihnen arbeiten noch viel im Ausland. Auch Pierer ist nach wie vor rund um den Globus unterwegs. Damit wäre dann Schluss. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass die Attacken aus Athen immer mehr zur Posse geraten. Beispiel Pierer: Die Anklage enthält keinen einzigen Beweis für eine persönliche Verstrickung in die zahlreichen Schmiergeldzahlungen von Siemens in Griechenland, die bis Mitte des vergangenen Jahrzehnts üblich waren.

Die Anklage und die Vorladung mit der Frist bis zum 8. Juli sind bei dem früheren Konzernchef bislang noch nicht einmal angekommen. "Meinem Mandanten liegt noch kein Dokument der griechischen Behörden vor", sagt Pierers Anwalt Norbert Scharf. Keine Zustellung, keine Ladung, nichts. "Wir können uns deshalb derzeit überhaupt nicht dazu äußern."

Staatsanwaltschaft München hat Post aus Athen zurückgeschickt

Die griechische Justiz hat die Anklagen und Vorladungen an jene Staatsanwaltschaften in Deutschland geschickt, in deren Zuständigkeitsbereichen die Betroffenen wohnen. Einige Ermittlungsbehörden haben die Papiere den Ex-Siemensianern zugestellt. Andere, wie die Staatsanwaltschaft München, haben die Post aus Athen postwendend zurückgeschickt. Weil die Unterlagen nicht vollständig oder die darin genannten Fristen zu kurz gewesen seien.

Eine Vorladung zur Vernehmung muss mindestens einen Monat vorher vorliegen. Doch die griechische Justiz will hart bleiben und die Anklagen und Vorladungen, die zurückgekommen sind, erneut nach Deutschland senden. Und vom 8. Juli an die angekündigten Haftbefehle ausstellen, falls Pierer & Co. nicht erscheinen.

Dass die Fälle der 13 Ex-Siemensianer in Deutschland längst erledigt sind (mit Geldauflagen, Geldbußen oder Strafen), dass niemand in ein oder derselben Causa zweimal verfolgt werden darf, das kümmert Staatsanwaltschaft und Oberlandesgericht in Athen nicht weiter. Mangels Glaubens an ein rechtsstaatlich einwandfreies Verfahren wird wohl keiner der Beschuldigten dort erscheinen. Sondern lieber einen Haftbefehl riskieren.

Inselarrest auf Paros

"Niemand von uns, der auch nur einen Funken Verstand hat, fährt nach Athen", sagt der frühere Siemens-Vorstand Volker Jung, der ebenfalls aussagen soll. Nicht zum ersten Mal. Vor einigen Jahren ist Jung schon einmal vorgeladen worden und nach Athen gekommen. Anschließend durfte er Griechenland nicht mehr verlassen und verbrachte eineinhalb Jahre auf der Ägäis-Insel Paros, wo ihm ein Ferienhaus gehört. Inselarrest sozusagen. Als Jung dann heimlich in die Heimat zurückkehrte, folgte prompt ein Haftbefehl.

Seitdem verlässt der Siemens-Rentner Deutschland nicht mehr. Mit all dem müssen nun auch Pierer und all die anderen alten Siemensianer rechnen, die in Athen angeklagt sind. Pierer ist stellvertretender Vorsitzender des Verwaltungsbeirats von Bayern München. Er könnte dann mit seinen Beiratskollegen wie Edmund Stoiber nicht mehr zu den Auslandsspielen des deutschen Fußballmeisters und Champions-League-Siegers fliegen. Weil die Reise sonst womöglich in Athen endet. Im Gefängnis.

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