Schmiergeldskandal bei Siemens:"Das tut mir sehr leid"

Wie sich der frühere Siemens-Finanzvorstand Heinz-Joachim Neubürger an einen Prüfbericht erinnerte, der ihm zum Verhängnis werden könnte.

Klaus Ott

Heinz-Joachim Neubürger, ehemaliger Finanzvorstand der Siemens AG, wohnt ganz in der Nähe seines Vorgängers Karl-Hermann Baumann. Die beiden sind im Münchner Süden zuhause, in einem der schönsten Stadtviertel.

Schmiergeldskandal bei Siemens: Als Finanzvorstand bei Siemens hat Heinz-Joachim Neubürger hehre Grundsätze postuliert - denen er nach eigener Einschätzung gerecht geworden ist

Als Finanzvorstand bei Siemens hat Heinz-Joachim Neubürger hehre Grundsätze postuliert - denen er nach eigener Einschätzung gerecht geworden ist

(Foto: Foto: oh)

Da bleibt es nicht aus, dass man sich immer wieder mal sieht und über die alten Zeiten plaudert. Natürlich haben die beiden auch über den Schmiergeldskandal gesprochen, nach der Großrazzia bei Siemens im November 2006, mit der die kriminellen Machenschaften öffentlich bekannt geworden waren.

Später berichtete Baumann als Zeuge bei der Staatsanwaltschaft, er habe Neubürger gefragt, ob der sich etwas vorzuwerfen habe; Neubürger habe verneint. Neubürger wiederum erzählte den Ermittlern, Baumann habe von ihm wissen wollen, woran er sich erinnern könne. An den "Nigeria-Fall", sei seine, Neubürgers, Antwort gewesen. Später habe man sich am Telefon über einen Zeitungsbericht unterhalten, in dem es um den Korruptionsskandal ging.

Früheren Hinweisen nicht nachgegangen

Der Nigeria-Fall spielt bei den Ermittlungen der Münchner Staatsanwaltschaft eine wichtige Rolle; er könnte Neubürger zum Verhängnis werden. Die Strafverfolger haben vor einem Jahr Ermittlungen wegen Beihilfe zur Untreue, Verstoß gegen das Aktiengesetz und Steuerhinterziehung zugunsten der Siemens AG gegen ihn eingeleitet.

Im Verlauf mehrerer Vernehmungen musste der vormalige Finanzvorstand schließlich zugeben, frühen Hinweisen auf die Bestechung von Amtsträgern im Ausland, in Nigeria eben, nicht ausreichend und konsequent nachgegangen zu sein, obwohl er intern im November 2003 eindringlich gewarnt worden war. Das tue ihm im Nachhinein sehr leid.

Der frühere Siemens-Manager sitzt inzwischen in den Aufsichtsräten von BMW, einem der drei führenden Autokonzerne im Lande, und von Pro Sieben Sat 1, der größten kommerziellen Fernsehkette. Dort ist es unter anderem seine Aufgabe, darauf zu achten, dass keine krummen Geschäfte gemacht werden. Neubürger sieht keinen Anlass, diese Mandate ruhen zu lassen. Bis zum Abschluss des Ermittlungsverfahrens gelte die Unschuldsvermutung, lässt er über seinen Anwalt ausrichten.

Als der Fachmann fürs Geld im April 2006 im Alter von erst 53 Jahren überraschend den Konzern verließ, aus "rein persönlichen Gründen", lagen in der Konzernspitze bereits diverse Hinweise auf schwarze Kassen und Schmiergeldzahlungen vor. Das Ausmaß der Vergehen sei freilich, jedenfalls für ihn, "überhaupt nicht erkennbar" gewesen, behauptet der frühere Finanzvorstand.

Einer der Hinweise stammte vom Herbst 2003. Intern war aufgefallen, dass die Sparte Telekommunikation mehr als vier Millionen Euro Honorar in bar an Berater in Nigeria gezahlt hatte. Neubürger gab einen Prüfbericht in Auftrag, der Mitte November 2003 auf seinem Schreibtisch landete. Die Resultate waren alarmierend: Für die Vermittlung eines größeren Auftrags, nämlich den Ausbau des nigerianischen Telefonnetzes, sollte eine Berater-Firma vor Ort 25 Prozent Provision bekommen.

In großen Scheinen nach Afrika

Das Geld wurde von München "durch ausgewählte Mitarbeiter" in großen Scheinen nach Afrika gebracht, offiziell zur Auffüllung der dortigen "Baukasse" von Siemens. Die Rechtsabteilung des Konzerns notierte, die Angaben beim Zoll seien falsch gewesen, auch gegen interne Regeln des Unternehmens sei verstoßen worden. Aufgrund der Provisionshöhe und der Art der Abwicklung lägen Anhaltspunkte für den Verdacht der Amtsträger- beziehungsweise Angestelltenbestechung im Ausland vor. Das könnte deutsche Behörden dazu veranlassen, ein Ermittlungsverfahren einzuleiten.

Vier Beschäftigte wirkten an dem trüben Treiben mit, darunter Reinhard S. und Heinz K. Das sind jene beiden Angestellten, die der Staatsanwaltschaft drei Jahre später bei mehr als 50 Vernehmungen im Detail schilderten, wie sie schwarze Kassen mit einem Volumen von insgesamt mehreren hundert Millionen Euro verwaltet und so Schmiergeldzahlungen in aller Welt ermöglicht hatten.

Neubürger waren die beiden Angestellten, die sich hinterher als Schlüsselfiguren erwiesen, schon 2003 genannt worden. Hätte er damals durchgegriffen, wäre Siemens womöglich die größte Krise in der 160-jährigen Unternehmensgeschichte in diesem Ausmaß erspart geblieben.

"Das tut mir sehr leid"

Doch nichts dergleichen passierte. Der Finanzvorstand leitete nach eigenen Angaben den fünfseitigen Prüfbericht an den kaufmännischen Leiter der betreffenden Sparte Telekommunikation weiter, verbunden mit der Aufforderung, "Ordnung zu schaffen". Mehr geschah nicht. Habe er denn bei diesem Kaufmann nachgefragt, ob der diese Vorgänge nun abgestellt habe, wollte die Staatsanwaltschaft von Neubürger wissen. An so etwas könne er sich nicht erinnern, lautete die Antwort.

Bei der ersten von drei Vernehmungen konnte sich Neubürger angeblich auch nicht mehr an den Nigeria-Bericht erinnern. Als ihm die Ermittler die fünf Seiten vorhielten, sagte der Ex-Finanzvorstand, er sehe den Bericht zum ersten Mal. Wenn er dies gelesen hätte, fügte der Beschuldigte hinzu, hätten bei ihm sämtliche Alarmglocken geschrillt.

Rote Ampeln

Kurz darauf wurde die Vernehmung unterbrochen. Anschließend überreichten die Strafverfolger Neubürger ein Telefax, das inzwischen von Siemens eingegangen war. Es handelte sich um einen Auszug aus dem elektronischen Postbuch seines früheren Siemens-Sekretariats. Darin war vermerkt, dass der Prüfbericht bei ihm eingegangen war.

Neubürger räumte ein, er müsse diese Notiz gelesen haben, einschließlich des Hinweises auf den Korruptionsverdacht. Nun sagte der Beschuldigte, das hätte bei ihm "rote Ampeln" aufleuchten lassen und ihn veranlassen müssen, dem nachzugehen. In der nächsten Vernehmung gab der Ex-Vorstand zu Protokoll, er erinnere sich zwischenzeitlich, den Nigeria-Bericht gelesen zu haben. Er müsse zugeben, dass er mehr hätte tun müssen.

Es sollte für Neubürger noch schlimmer kommen. Wiederum ein paar Wochen später sagte sein Vorgänger Baumann, der Ende der neunziger Jahre vom Vorstand in den Aufsichtsrat gewechselt war und dort den Vorsitz übernommen hatte, als Zeuge aus. Auch Baumann war im Herbst 2003 bei Siemens über die von ihm als sehr ungewöhnlich empfundenen Bargeldzahlungen unterrichtet worden.

Er hatte aber, anders als Neubürger, den Prüfbericht der Rechtsabteilung nicht erhalten. Als Baumann die fünf Seiten von der Staatsanwaltschaft nun zu lesen bekam, äußerte er Kritik. Er habe kein Verständnis dafür, dass ihm der Bericht Ende 2003 weder von Neubürger noch von anderen Beteiligten gegeben worden sei.

Keine Beanstandungen

Den Inhalt der Notiz könne er, Baumann, auch nicht mit der damaligen Erklärung seines Nachfolgers in Einklang bringen, es hätten sich keine Beanstandungen ergeben. Neubürger habe ihm, Baumann, "definitiv" mitgeteilt, die Vorfälle seien geklärt, es hätten sich keine Anhaltspunkte für eine inkorrekte Verhaltensweise von Siemens-Mitarbeitern ergeben. So will das Neubürger damals allerdings nicht zu Baumann gesagt haben.

Über seinen Anwalt lässt Neubürger ausrichten, er habe Baumann vielmehr sinngemäß berichtet, der Jahresabschluss sei "ordnungsgemäß" und an die betreffende Sparte sei wegen der Bargeldzahlungen eine entsprechende Aufforderung ergangen. Außerdem sei es in "keinem Unternehmen üblich", dem Aufsichtsratschef einzelne Vermerke vorzulegen.

Neubürgers Anwalt betont, sein Mandant habe sich auf die ordnungsgemäße Bearbeitung des Vorgangs durch die Fachabteilungen verlassen dürfen. Intern sei genau geregelt gewesen, wer bei Verdachtsfällen tätig werden müsse, ohne dass es dazu weiterer Vorgaben bedurfte hätte. Neubürger habe "alles Erforderliche veranlasst"; er habe davon ausgehen können, dass die zuständigen Stellen den Vorgang eigenständig verfolgten und dass er im Bedarfsfall wieder angesprochen werde. "Eine Führungskraft muss nicht davon ausgehen, dass sich seine Mitarbeiter, die sich Vertrauen erworben haben, nicht an die geschäftlichen Regeln halten."

Als Finanzvorstand hat Neubürger bei Siemens in einem Vortrag einmal gesagt, es müssten Mechanismen etabliert sein, die Fehlverhalten und Gesetzesverstöße nach menschlichem Ermessen unmöglich machten. Und den Mitarbeitern hat er in einem Rundschreiben neun Regeln der Kommunikation mit auf den Weg gegeben. "Niemals lügen", lautete einer der Grundsätze, und ein anderer: "Vergessen Sie nicht, dass nicht nur das Unternehmen, sondern auch Sie persönlich für irreführende oder gar falsche Aussagen haften."

Ist Neubürger nach eigener Einschätzung diesen Ansprüchen gerecht geworden? Die Antwort seines Anwaltes fällt kurz und eindeutig aus: "Ja".

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