Schmidt-Tochter über die Finanzkrise:"Banker meinen, der liebe Gott hätte sie zum auserwählten Volk erklärt"

Ökonomin Susanne Schmidt war jahrzehntelang Teil der Finanzwelt und misstraut darum den Banken. Die Tochter des Altkanzlers über Klüngel zwischen Wirtschaft und Politik, sinnlose Appelle und Forderungen aus ihrer SPD nach Verstaatlichung der Geldinstitute.

Oliver Das Gupta und Hans-Jürgen Jakobs

Loki Schmidt wird 90

Tochter Susanne Schmidt zwischen Altbundeskanzler Helmut Schmidt und seiner (inzwischen verstorbenen) Frau Loki (Archivbild von 2009 bei der Feier zu Helmut Schmidts 90. Geburtstag)

(Foto: dpa)

Susanne Schmidt kam 1947 in Hamburg als Tochter des späteren Bundeskanzlers Helmut Schmidt und seiner Frau Loki zur Welt. Die promovierte Volkswirtin arbeitete unter anderem bei der Deutschen Bank in London. Zwischen 1991 und 2009 arbeitete Schmidt als Wirtschaftsjournalistin für Bloomberg TV, wo sie eine Fernsehsendung moderierte. Schmidt veröffentlicht in diesen Tagen ein neues Buch über die Finanzkrise, das den Titel "Das Gesetz der Krise: Wie die Banken die Politik regieren" trägt und im Droemer-Verlag erscheint.

Zum Interview bittet Susanne Schmidt morgens um neun Uhr in den Frühstücksraum ihres Frankfurter Hotels, in dem sie während der Buchmesse wohnt. Typisch hanseatisch klingt sie, als sie erzählt, wie sie und ihr Mann das Büro im Eigenheim in England untergebracht haben. Später, während des Interviews, hebt sie zum Tadel schon mal freundlich, aber bestimmt den Zeigefinger. Frühstücken will Schmidt nicht, das hat sie schon am frühen Morgen erledigt.

SZ: Frau Schmidt, Sie haben in den achtziger Jahren bei Banken in London gearbeitet. Wie hat die City sich seitdem verändert?

Susanne Schmidt: Im Vergleich zu heute war das damals ein relativ gemütlicher Verein. Keiner arbeitete zu hart. Jeder hatte sein Netzwerk, aber es ging auch schon damals nicht alles völlig transparent zu. Heute arbeiten die Meisten nicht mehr für ihr Institut, sondern nur noch für sich selbst.

Hat sich auch das Selbstverständnis der Geldhäuser verändert?

Allerdings. Die Banken verstanden sich noch mehr als Teil der Gemeinschaft und fühlten sich auch dem Gemeinwohl verpflichtet. Das ist zum großen Teil abhandengekommen - nicht nur bei den Banken, sondern auch bei anderen Großunternehmen. Sicherlich, es gibt Sparkassen und andere Institute, die sich sehr wohl noch als Teil ihrer Stadt verstehen.

Wie konnte es zu dieser Wandlung kommen?

Deregulierung, Shareholder Value, Thatcher, Reagan, Kurzfristigkeit, Fixierung auf Aktienkurse: All diese Punkte forcierten diese Entwicklung. Und als dann aus den USA die immensen Boni kamen, übernahmen das die Banker gerne auch hier. Das war prima, das wollte man auch haben, kam einem ja einem direkt zugute. Es kristallisierte sich ein Klüngel heraus. Da pflegte man sich mit demjenigen in der Gruppe zu messen, der am meisten verdiente.

Ihr alter Arbeitgeber, die Deutsche Bank, sagt nun sinngemäß: Wir haben Fehler gemacht in der Krise. Wir haben verstanden, wir wollen wieder Dienstleister sein. Glauben Sie das?

Das sind Aussagen, die ich fast jeden Tag in der Zeitung lesen kann. Nur sind die Namen der Banken austauschbar, sie sagen alle das Gleiche. Aber wir sollten uns nicht täuschen lassen. "Wir haben verstanden" ist nicht die neue Haltung der Banken, sondern deren neue Redensart. Die globalen Banken haben momentan zweifellos eine schlechte Zeit, da ist wenig Profitabilität und viel Druck. Aber das liegt nicht etwa an der Neuregulierung.

Die Banken wollen also wie bisher weitermachen?

Ich habe nicht das Gefühl, dass die Banken ihre Geschäftsmodelle tatsächlich ändern.

"Reformen bei Banken? Nehme ich ihnen nicht ab"

Die Deutsche Bank etwa hat den Handel mit toxischen Papieren eingestellt.

Sicher, wir sehen Bemühungen. Aber es ist eben derzeit in Mode und es kommt gut an in den Medien und bei der Politik. Wenn die Deutsche Bank nun sagt, dass sie nicht mehr mit diesem oder jenem Nahrungsmittelindex handelt, ist das wunderbar. Aber warten wir mal ab, was in drei Jahren ist. Ich kann das nicht ernst nehmen. Nehmen Sie das denn den Banken ab?

Wir registrieren das und wollen die Banken beim Wort nehmen. Wenn es bei Ankündigungen bleibt, ist das entsprechend zu kritisieren. Aber ist es richtig, zu einer Generalverdammung der Banken auszuholen?

Ich verdamme Banken nicht, ich will nur die Auswüchse beschneiden. Viele Menschen in meinem Umfeld sagen sogar: "Du hast viel zu viel Verständnis für die Banken."

Sagt das Ihr Vater?

Der sowieso (lacht). Ich habe nichts gegen Banken generell, habe viel zu lange dort selbst gearbeitet. Aber ich glaube, dass viele globale Bankmanager vor allem auf den Druck der Straße reagieren, hier und da ein Zugeständnis machen und ansonsten Sonntagsreden halten. Da ist viel Augenwischerei dabei.

In Ihrem Buch warnen sie vor Selbstbeschränkungserklärungen der Banken: "Appellieren an die Vernunft, die Ethik, die Fairness wird nicht weiterhelfen". Wie ist das Selbstbild der großen Geldmanager?

Im Grunde genommen glauben sie, die Welt zu regieren. Sie meinen, der liebe Gott hätte sie zum auserwählten Volk erklärt. Und deshalb stünde ihnen erhebliche Prosperität zu - und das Sagen zu haben. Dieses Selbstverständnis ist im Laufe der Finanzkrise leiser geworden, aber es ist nicht weg. Wie präsent es ist, zeigt der Satz des Ex-Barclays-Chefs Bob Diamond, der erklärte, die Zeit der Reue sei vorbei.

Diamond stürzte über eine Manipulationsaffäre. Glauben Sie, dass noch weitere Skandale aus der Zeit vor der Krise aufgedeckt werden?

Worauf ich immer noch warte: Eine strafrechtliche Verfolgung der Zusammenarbeit zwischen Ratingagenturen und Investmentbankern. Ich wundere mich schon seit Jahren, dass da noch niemandem ein großer Prozess gemacht worden ist.

Sie vermuten gezielte Absprachen?

Dass es welche gab, weiß jeder. Aber noch nicht, dass die Kooperation in einer Intensität und Weise erfolgte, die man strafrechtlich verfolgen kann. Da müsste eigentlich noch was kommen. Die Schwierigkeit dabei ist, die Absprachen zu beweisen. Es muss leichter sein, solche Missetaten strafrechtlich zu belangen und die Leute vor den Kadi zu bringen.

In Ihrer Partei, der SPD, gibt es Stimmen die nach einer Verstaatlichung der Banken rufen. Wäre das eine Lösung?

Davon halte ich nichts. Politiker und Bürokraten sind mit Sicherheit nicht die besseren Banker. Die schustern sich vielleicht nicht die Boni zu, aber dann eben Parteifreunden die Finanzierung des Lieblingsprojektes. Vor wenigen Jahrzehnten war es für die "nationalen Champions" unter den Banken auch noch selbstverständlich, der Politik zu helfen, wenn sie rief. Das ist nicht mehr der Fall. Das Renditedenken und die Aktionäre lassen es nicht zu.

Zu Großaktionären gehören inzwischen auch Hedgefonds. Bergen sie nicht inzwischen viel größere Risiken als die Universalbanken?

In der Tat scheint das wuchernde System der Schattenbanken außerhalb des Blickhorizontes zu sein. Immer mehr verlagert sich zu ihnen, immer öfter übernehmen sie Bankenaufgaben. Eigentlich hat sich seit Ausbruch der Finanzkrise kaum etwas getan, um diesen Bereich besser unter Kontrolle zu bekommen. Hedgefonds müssen sich jetzt registrieren lassen? Da kommen mir doch die Tränen!

Der Vermögensverwalter Blackrock bewegt deutlich mehr Geld als zum Beispiel die Deutsche Bank. Trotzdem liegt der Fokus der Debatte auf den Universalbanken. Führen wir also die falsche Diskussion?

Wir sollten nicht die Diskussion über Universalbanken durch eine Diskussion über Institute im Schattenbankensystem ersetzen. Beides muss Teil einer großen Diskussion werden.

Schrille Warnungen vor Inflation sind für Schmidt Hysterie

Warum mögen Sie eigentlich den Begriff Euro-Krise nicht?

Den Begriff haben sich Banker ausgedacht, um zu suggerieren: Die Bankenkrise ist vorbei, nun steckt der Euro in der Krise. Fakt ist: Wir haben Probleme in Europa als direkte Folge und Bestandteil der Finanzkrise. Manche wollen uns weismachen, unser Geld sei bald nichts mehr Wert. Dem wird nicht so sein. Ich sehe keine Anzeichen dafür, dass der Euro zur Schwachwährung wird.

Dass Wirtschaftswoche und Spiegel mit dem Thema Inflation aufmachen, halten Sie für eine Verirrung?

Nein. Aber ich halte die Fixierung in Deutschland auf die Inflationsgefahr für zu einseitig. Das hat historische Gründe. Manche warnen gar vor Weimarer Verhältnissen. Das ist nicht seriös, sondern geht in Richtung Hysterie. Dass Deflation ebenfalls immense Gefahren in sich birgt, wird hierzulande ausgeblendet. Auf der Inflations-Angstmache-Welle schwimmen Medien und manche Kommentatoren mit populistischen Anwandlungen.

Ist Jens Weidmann für Sie ein Populist?

Natürlich nicht. Aber mit dem neuen Bundesbankpräsidenten hat sich eine neue Kommunikationspolitik in seinem Hause breit gemacht. Sie ist sehr effizient, in ihrem Sinne erfolgreich. Aber ich bin der Meinung, nationale Zentralbanken sollten ihre Sträuße innerhalb eines geschlossenen Raumes ausfechten. Nach außen sollten sie geschlossen auftreten. Ich halte es für eine schlechte Entwicklung, dass so ein angesehenes und zu Recht respektiertes Institut wie die Bundesbank das Vertrauen in unsere Notenbank - die EZB - untergräbt.

Halten Sie das Handeln der EZB für alternativlos?

Der Ausdruck ist ein Unwort. Man muss immer in Alternativen denken und ihre Konsequenzen aufzeigen. In diesem Fall lautet sie: Hätte die EZB im Geiste der Bundesbank vor 30 Jahren agiert, wäre uns die Währungsunion schon lange um die Ohren geflogen. Sie wäre ungeordnet auseinandergebrochen. Mit katastrophalen wirtschaftlichen und politischen Folgen.

Sie sprechen von Gesprächen und geschlossenen Räumen. Was spricht denn dagegen, wie in den USA, Protokolle der Notenbanksitzungen zu veröffentlichen?

Die Sitzungsprotokolle zu publizieren halte ich für keine schlechte Sache, aber ohne Namensnennung. Denn in der EZB sitzen Vertreter der Mitgliedsstaaten mit nationalen Interessen. Man würde also noch mehr Politik hineintragen. Ich meine nicht, dass die Öffentlichkeit völlige Transparenz über Notenbankenbeschlüssen bekommen sollte. Es gibt ja nicht nur Bürger wie Sie und mich und Müllers von nebenan, sondern auch die Finanzmärkte, die sofort reagieren.

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