Spielwarenhersteller„Die treten die Menschen mit Füßen“

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Eine Mitarbeiterin des Spielfigurenherstellers Schleich bemalt am Firmensitz in Schwäbisch Gmünd den Prototyp einer neuen Figur.
Eine Mitarbeiterin des Spielfigurenherstellers Schleich bemalt am Firmensitz in Schwäbisch Gmünd den Prototyp einer neuen Figur. (Foto: Bernd Weißbrod/dpa)

Ihre Spielfiguren sind weltbekannt, ihr Stammsitz Schwäbisch Gmünd nicht. Nun will Schleich seinen Hauptsitz nach München verlegen, angeblich um Trends besser aufspüren zu können. Mitarbeiter und Oberbürgermeister reagieren entsetzt.

Von Tobias Bug

Auf der ganzen Welt spielen Kinder mit den Spielzeugfiguren von Schleich: Dinosaurier, Pferde und „Harry Potter“-Charaktere. Fast 90 Jahre lang haben die Mitarbeiter die Figuren in Schwäbisch Gmünd entworfen. Das Unternehmen ist in der schwäbischen Provinz fest verankert, mit der Stadt, mit der Hochschule, mit den Schwäbisch Gmündnern. Doch damit soll bald Schluss sein. Zum Jahreswechsel 2025 will Schleich seinen Hauptsitz 150 Kilometer weiter südöstlich, nach München verlagern.

Diese Nachricht überbrachte Geschäftsführer Stefan De Loecker am Dienstag der Belegschaft in Schwäbisch Gmünd. Die Mitarbeiter reagierten schockiert, die Stimmung war gedrückt, hört man aus dem Unternehmen. Denn die Chefetage hatte die Angestellten vor vollendete Tatsachen gestellt. Seitdem treibt die Mitarbeiter und auch die Stadt die Frage um nach dem Warum.

Die Begründung des Unternehmens klingt etwas kryptisch. Sein großes Potenzial auf dem internationalen Spielwarenmarkt könne Schleich nur mit einer neuen Organisationsstruktur voll ausschöpfen, teilt es der SZ auf Anfrage mit. Das neue Umfeld werde helfen, die Marken- und Innovationsstrategie und Internationalisierung voranzutreiben. „Wir sind davon überzeugt, dass München die beste Voraussetzung dafür bringt.“ Die bayerische Landeshauptstadt biete viele Vorteile: einen attraktiven Standort mit Talenten, einen internationalen Flughafen, Fernbahnhöfe und ein gutes Straßennetz, anerkannte Universitäten und Hochschulen.

Einige Unternehmensbereiche sollen nach Prag ziehen

„Wir stärken unsere Kernkompetenzen, bündeln Support-Funktionen und setzen auf ein neues Betriebsmodell inklusive einer neuen, agileren Art der Zusammenarbeit“, ließ sich Geschäftsführer Stefan De Loecker in der Firmenmitteilung zitieren. Der Belgier und frühere Beiersdorf-Chef will das Unternehmen so „für die nächste Phase des profitablen Wachstums“ aufstellen. Lifestyle-Trends und technologische Entwicklungen will er von München aus zukünftig früher antizipieren.

Schon länger unterhält Schleich Büros in München. Von Anfang 2025 an will die Firma am neuen Hauptsitz Marketing, Vertrieb und Beschaffung steuern. Die Ressorts Personal, Kundenservice, Finanzen und Buchhaltung sollen im tschechischen Prag zusammengefasst werden. Außerdem soll die Logistik an einen externen Dienstleister in Baden-Württemberg oder Nordrhein-Westfalen gehen. Und das, obwohl Schleich erst 2019 ein modernes Logistikzentrum im Gewerbegebiet von Schwäbisch Gmünd eröffnet hatte.

Den 241 Mitarbeitern am Stammsitz bietet Schleich an, nach München oder Prag mitzuziehen. Was für die meisten Menschen, die in der Region verwurzelt sind, dort ihre Familien, Freunde und Vereine haben, nicht infrage kommt. Man könnte es auch als mehr oder weniger elegante Methode sehen, Mitarbeiter loszubekommen. Ein Mann, der seit zwölf Jahren Schichtleiter im Schleich-Werk ist, schrieb an den Oberbürgermeister der Stadt, dass er entsetzt sei über die „nüchterne, emotionslose, kalte Art“ der Geschäftsführung. „Soll das Wertschätzung sein?“ Viele Mitarbeiter hätten sich seit Dienstag an ihn gewandt, sagt Oberbürgermeister Richard Arnold am Telefon, sie fühlten sich in ihrer Existenz bedroht.

Schleich-Chef De Loecker war am Dienstag ins Büro des Oberbürgermeisters gekommen, um Arnold mitzuteilen, dass die Traditionsfirma, die 1935 hier gegründet wurde, die Stadt nun verlassen werde. Die Gründe kann der Oberbürgermeister auch nach dem Gespräch nicht nachvollziehen. De Loecker habe ihm erklärt, dass Schleich die Trends auf dem Spielwarenmarkt in der Vergangenheit immer wieder verschlafen habe, was auch an der Provinzlage gelegen habe. In München könnten sie die Trends besser verfolgen. „Wir haben hier aber ein Netzwerk, das es anderswo kaum gibt“, habe Arnold dagegengehalten, mit kreativen Fachkräften, mit der Hochschule für Gestaltung, mit Nachhaltigkeitsexperten. Erfolglos. „Ich hatte das Gefühl, dass der Umzug von langer Hand geplant ist“, sagt Arnold.

Seit fünf Jahren hält der Schweizer Investor Partners Group 87 Prozent der Anteile an dem Spielwarenhersteller. Arnold sieht den Investor als Drahtzieher hinter dem Umzug und macht ihm schwere Vorwürfe: „Die treten die Menschen mit Füßen.“ Mit dem Umzug in das „Schickimicki-Umfeld in München“ habe der Investor vor allem eines im Sinn: „Sie wollen die Braut schön machen, um sie bald wieder teuer zu verkaufen.“ In München fänden sie das richtige Umfeld und die Kontakte für einen solchen Verkauf.

Nachdem Schleich seinen Umsatz zwischen 2013 und 2022 auf 275 Millionen hatte verdreifachen können, war er im Jahr 2023 um 15 Prozent eingebrochen. Die aktuelle wirtschaftliche Lage und das Marktumfeld trügen dazu bei, so das Unternehmen, dass es jetzt entschlossen handeln müsse. Anscheinend ging der Rückgang nicht mit den ehrgeizigen Zielen der Partners Group zusammen, die aus Schleich eine Weltmarke machen will.

Warum das Unternehmen vor diesem Hintergrund ausgerechnet nach München zieht, ist von außen betrachtet schleierhaft. Die Löhne und Mieten sind dort deutlich höher, vom härteren Wettbewerb um Fachkräfte ganz zu schweigen. Dass es Unternehmensbereiche nach Prag auslagert, wo die Lohnkosten niedriger sind, klingt da schon eher plausibel. Wobei die Lohnkosten laut Schleich kein Grund für den Umzug seien. Schon seit Jahren lässt die Firma ihre Figuren im Ausland produzieren: etwa in Rumänien, Vietnam und China.

Die 241 Mitarbeiter in Schwäbisch Gmünd stehen nun vor einer ungewissen Zukunft. Wegen des Umzugs erhebt Julian Liebner von der Kunststoffgewerkschaft IGBCE schwere Vorwürfe gegen Schleich. „Es geht gar nicht, dass der Betriebsrat vor vollendete Tatsachen gestellt wird.“ Nur 90 Minuten vor der Betriebsversammlung habe die Geschäftsleitung den Betriebsrat über die Umzugspläne informiert. Eigentlich müsste sie die Arbeitnehmervertreter frühzeitig in die Überlegungen einbeziehen, um ihnen die Möglichkeit zu geben, Alternativen vorzuschlagen. Der Vorstand habe gegen die im Betriebsverfassungsgesetz geforderte gute Zusammenarbeit zwischen Betriebsrat und Arbeitgeber verstoßen, sagt Liebner. Gewerkschaft und Betriebsrat wollen ein Gegenkonzept erarbeiten. Vom Unternehmen heißt es, dass es mit dem Betriebsrat daran arbeiten will, die Veränderungen für die Mitarbeitenden umzusetzen. Die Gespräche dazu beginnen im Juni.

Das Rathaus plant für kommenden Mittwoch einen Aktionstag, bei dem sich die Stadtgemeinschaft solidarisch mit den Schleich-Mitarbeitern zeigen will. Schwäbisch Gmünd will sich nicht einfach so geschlagen geben. Kein Wunder: Die Spielfiguren spülen jährlich viel Geld in die Stadtkasse, Schleich gehört zu den fünf größten Gewerbesteuerzahlern der Stadt.

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