Schleckers Imageproblem:Ein Klopapierladen, mehr nicht

Enge Gänge, sterile Beleuchtung, stechender Geruch nach Scheuermilch: Schlecker war nie mehr, als ein Warenumschlagplatz für die profanen Dinge des Lebens. Nun ist die Drogerie-Kette pleite. Auch, weil sie verpasst hat, sich in Richtung Lifestyle-Shopping auszurichten. Wie das geht, haben andere beeindruckend vorgemacht.

Verena Stehle

Es ist noch nicht lange her, da war der Drogeriemarkt ein Ort, den man leider hin und wieder aufsuchen musste, ähnlich einer Restauranttoilette. Ohne Tageslicht, stickig, klaustrophobisch. Nichts weiter als ein Warenumschlagplatz für die profanen Dinge des Lebens, die niemanden klüger und nichts komfortabler machen, sondern schlicht darauf ausgerichtet sind, dass der Mensch, seine Hülle und sein Zuhause funktionieren.

Ausverkauf bei Schlecker hat begonnen

Der Drogeriemarkt war ein Stimmungs-Downgrade, ja ein Gute-Laune-Killer. Man fürchtete und hasste ihn gleichzeitig.

(Foto: dapd)

Trotz dieser banalen Ausgangslage war der Einkauf im Drogeriemarkt stets maximal erniedrigend. Selbst die größten Charismatiker der Welt sahen unter der Neonbeleuchtung wie magendarmkranke Tröpfe aus. Das Wort allein - Drogeriemarkt - hatte den Sexappeal einer fleischkäsefarbenen Stützunterhose. Und spätestens an der Kasse wurde die eigene Unperfektheit, alle körperliche Dysfunktion offensichtlich (legen Sie mal Rosskastaniencreme, Fett-weg-Pillen, Salicylsäurepeeling aufs Band und versuchen Sie, sich nicht komisch zu fühlen, wenn ein perfektes Wesen hinter Ihnen nur ein Aprikosenshampoo in der Hand hält). Der Drogeriemarkt war ein Stimmungs-Downgrade, ja ein Gute-Laune-Killer. Man fürchtete und hasste ihn gleichzeitig.

Wir hätten uns auch weiterhin nicht damit beschäftigt. Wäre nicht vergangene Woche endgültig über das Ende der Schlecker-Kette entschieden worden. Das auch deshalb so tragisch ist, weil ja nicht der Drogeriemarkt an sich am Ende ist. Schließlich hat die Konkurrenz in den letzten zehn Jahren bewiesen, dass es auch ganz anders geht. Allen voran dm, die Kette, in deren Filialen seit einiger Zeit alle rennen.

Wenn Hardcore-Fans von dort erzählen, klingt das, als würden sie nicht von einem Klopapierladen, sondern von irgendeinem paradiesischen Ort erzählen. Ja, es scheint fast eine Art dm-Gefühl zu geben, das einen immer wieder dorthin zurückbringt.

Die Karlsruher Kette hängt in Marktforschungstests (wie dem "Brand-Feel-Ranking") Rossmann, Müller, Budnikowsky und Ihr Platz ab. Bei dm, heißt es immer, fühlen sich die Kunden am wohlsten. Schon vor dem 23. Januar 2012, dem Tag, an dem Schlecker Insolvenz angemeldet hat, hatte sich dm zum Drogerie-Primus entwickelt: 2011 lag der Umsatz bei fast 4,5 Milliarden Euro.

Was haben die einen richtig gemacht, was die anderen falsch? Wir folgen einer jungen Mutter, die gerade ihren Kinderwagen aus Jeansstoff locker-flockig mit der rechten Hand in die helle Filiale an der Münchner Freiheit navigiert. Es riecht da drinnen übrigens exakt so wie in den dm-Filialen Berlin Friedrichstraße und Ravensburg Jahnstraße, wir haben es getestet: zitronig-frisch, nach Waschküche. Die Kundin in München trägt Perlohrringe, olivgrüne Chinohose, Steppjacke. Mindestens einmal pro Woche komme sie her, "weil es alles gibt, von Augenmakeup-Entferner bis Windeln".

Es ist Freitag, elf Uhr, die Leute stehen an zwei Kassen an, die hier noch dieses Oldschool-Auffangbecken haben, für entspanntes Einpacken. Das Kundenprofil: gemischt, ein paar feine Münchner Damen, drei aufgetakelte Neuntklässlerinnen. Ein Mann im Rollstuhl. Frauen mit Kinderwagen. Eine Mutter, Typ Erdkundelehrerin mit Vorliebe für Geox-Sandaletten, herrscht einen Bub an: "Du läufst nicht nochmal weg, du bleibst jetzt hier bei mir!"

Gefangen im Labyrinth der Metallregale

Bei Schlecker oder Rossmann übrigens wäre Weglaufen undenkbar. Die Gänge sind auf einen Einkaufswagen maßgeschneidert, die Metallregale labyrinthisch angelegt. Am Telefon erklärt Geschäftsführer Erich Harsch, bei dm gäbe es keine derartigen "Zwangsführungsstrategien", die bewirken, dass der Kunde auf die Ware "draufknallt".

Man ging eigentlich nie freiwillig zu Schlecker - die übrigens auch nicht gerade die preiswertesten waren - außer man kam gerade zufällig an einem vorbei, Schlecker lag ja oft an Bushaltestellen. Das Netteste an Schlecker waren wohl die, die es nun am härtesten trifft: die Kassiererinnen. Es waren nur immer keine da, wenn man gerade Hilfe brauchte.

Bei dm gibt es immer genug Personal - europaweit 39.000 Mitarbeiter, mehr als 26.000 von ihnen in Deutschland - das man im Grunde gar nicht bräuchte. Man spaziert da so durch, und stellt den Einkaufswagen ab, wenn man etwas sucht - ohne gleich den Kundenstrom aufzuhalten und mit dem nachfolgenden Wagen zusammenzukrachen (Schlecker!). Die Regale sind niedrig, schräg angeordnet. Der Laden ist so luftig, dass Marktexperten schwindlig werden könnte: Der Verkaufsraum könnte wirklich noch viel optimaler genutzt werden, um die Warenbewegung zu erhöhen . . .

Wieso vertraut man also auf die Idee, den Laden so zu konstruieren, dass der Kunde viel Raum hat? Harsch sagt: "Das ist Sachverstand, wir denken stets vom Menschen aus. Deshalb haben wir bei dm großzügige Verhältnisse geschaffen mit sich öffnenden Blickwinkeln, das erleichtert die Orientierung." Harsch sagt nie "Verkäuferin" oder "Kunde". Er sagt immer "Mensch", und man muss schon genau hinhören, welcher Mensch gerade gemeint ist, der hinter oder der vor der Kasse. Der Werbeslogan, dass man bei dm Mensch sein kann, ist angeblich nicht nur ein Spruch; er ist Grundgesetz. Also doch Psychologie, aber auf die nette, nicht auf die brutale Tour.

Der dm-Gründer, Götz Werner, ist Anthroposoph, von ihm lernen Mitarbeiter Sätze wie: "Wachstum ist kein Selbstzweck, sondern die Folge guter Arbeit." Klingt bisschen nach Arbeitgeber-Geschwurbel. Aber Tatsache ist offenbar: Von Anfang an hat das dm-Management die Angestellten gut behandelt. Es gibt beispielsweise keine korsettartigen Regelungen.

"Die Menschen haben Freiräume, sie können im Team Preisveränderungen besprechen und vornehmen oder über neue Sortimente mitentscheiden." Die 1000 Auszubildenden besuchen zweimal im Jahr Theaterworkshops, für die eigene Persönlichkeit. "Wenn sich die Menschen entwickeln", erläutert Erich Harsch, "kann sich das Unternehmen entwickeln."

Und das hat es: Seit seiner Gründung, 1973, ist dm in elf europäische Länder expandiert. In Deutschland geht man vor allem "mal kurz" zu Müller oder Rossmann (der erst Schlecker zahlen- und imagemäßig überholte und jetzt langsam auch an dm dranklebt), während man bei dm längere Zeit verbringt. Die Kette setzte in ihrem Sortiment früh auf Produkte, die dem ökologisch-bewussten Zeitgeist entsprachen, aber deren Qualität auch stimmte. Teenies kommen wegen des Kokos-Duschgels von Balea und der p2-Glitzernagellacke her. Mamis kaufen das glutenfreie und eiweißreiche Quinoa. Für die Kinderchen gibt es "Gänseblümchen-Waschgel". Die eingangs beschriebene Geox-Frau packt übrigens gerade Reiswaffeln in ihren Wagen. Die bestimmt auch bei dm nach Styropor schmecken. Na ja.

Trotzdem: Lebensmittel. Wer hätte bei Schlecker, wo es immer nach Scheuermilch und ausgelaufenem Katzenfutter roch, je irgendwas Essbares gekauft? Zudem war es dort drinnen so warm, dass sogar die Gummibärchen schwitzten. Dm hingegen erinnert bisweilen an amerikanische Drugstores wie Duane Reade, die exquisite Bioprodukte anbieten, oder die Londoner Kette "Boots".

Wohlfühlatmosphäre für Schwangere

Es soll Leute geben, die sich kaum noch einkriegen über die Bio-Ingwerpaste oder die Bio-Schokonusscreme von dm. Allerdings gab es auch hier schon Rückrufaktionen: 2010 wegen Glassplittern in Babynahrung. Im Dezember 2011 eine keimbelastete Kinderpflegeserie. Dm ließ daraufhin vermelden, die Produkte "vorsorglich aus dem Verkauf" zu nehmen. Eine weitere Erklärung gab es nicht - laut der dm-Pressestelle wüsste eben bis heute keiner, wie die Splitter da hineingeraten sind.

Viel Wert gelegt wird bei dm auch auf die Einrichtung, genauer gesagt auf die Gefühle, die diese erzeugt. Ein Waldboden, auf den es seit längerer Zeit nicht geregnet hat. Kein Witz: So fühlt sich der Boden bei dm an. Er besteht aus einem weichen Kunststoff mit türkisfarbenen Sprenkeln, der nicht nur sehr haltbar ist, sondern auch weniger Krach macht als Steinböden, wenn der Metallwagen drüberfährt. Weniger Lärmemission heißt auch: weniger Stress. Man erholt sich also quasi schon auf dem Weg von den Müslis zu den Seifen. Aaaah.

Und schließlich - das Licht. "Unsere Filialen sind nicht steril ausgeleuchtet", sagt Harsch. "Es gibt keine Gleichausleuchtungssystematik." Wahnsinn. Was für ein Wort. Man hat sich offenbar ähnlich viele Gedanken gemacht wie die Initiatoren eines Schlossfestspiels, das nur ästhetisch verwöhnte Besucher anzieht. Man habe, so Harsch weiter, "sofern das eben mit technischen Mitteln geht, eine bewegte Lichtatmosphäre geschaffen, die als natürlich empfunden wird". Sprich: der Mensch fühlt sich wohl. Und eben nicht beobachtet, wie bei Müller, wo man sich fragt, was da wohl hinter den Wandspiegeln überall stecken mag: 1000 Kaufhausdetektive? Oder doch eine andere, schönere Welt?

Besonders wohl fühlen sich bei dm offenbar die Schwangeren und die jungen Mütter. An diesem Freitag in der Schwabinger Filiale sind gleich vier dicke Bäuche zu zählen. Werdende Mütter finden hier sogar Babynaturtextilien, die nicht nach ein paar Mal Waschen alt aussehen. Jeder dm hat übrigens eine Wickelstation mit Gratiswindeln, die nach Größe sortiert sind, von Säuglings- bis Kleinkindpopo. Durch die Gänge würde sogar ein Zwillingskinderwagen passen.

Wenn sich jeder so gut fühlt dort: Gibt es vielleicht eine Duftstrategie? "Wir legen Wert auf sehr viel Sauberkeit und ordentliche Lüftungsanlagen", sagt Harsch. "Aber wir versprühen nicht irgendwas, nein." Falls mal eine Packung aufginge, rieche es vor dem Katzenregal auch anders als bei den Duschgels. Ein Abstecher zum Tierfutterregal: Auch hier riecht es frisch.

Noch einmal kurz zurück zur entwässernden Rosskastaniencreme: Bei dm tut es nicht weh, solche Produkte aufs Band zu legen, weil - schwere Beine sind ja menschlich. Außerdem geht die Creme in einer Flut aus anderen Produkten unter, die man alle haben muss, jetzt, wo bald Sommer ist. Erst, wenn der Mensch an der Kasse quäkt: 87 Euro 43 bitte, fühlt es sich an, als sei man gerade hinterrücks von einer Salzwasserwelle überrascht worden. Dann schnappt man kurz heftig nach Luft.

Menschsein ist halt teuer geworden.

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