Schienenkartell:Endstation Gericht

Neue Schienen am Ostkreuz

Millionenschaden für die Deutsche Bahn: Mehr als zehn Jahre lang sprachen sich die Lieferanten des Unternehmens über Preise ab. 2011 flog der Schwindel auf.

(Foto: Paul Zinken/dpa)
  • Mindestens zehn Jahre lang sollen 14 Stahl-Manager bei der Lieferung von Schienen an die Deutsche Bahn Preisabsprachen getroffen haben. Seit Montag läuft gegen die ersten sieben von ihnen nun in Bochum der Prozess.
  • Die Vertreter von vier Unternehmen sollen sich konspirativ zu ihren Treffen in teils dubiosen Lokalen verabredet haben. Persönlich bereichert haben sie sich aber offenbar nicht.
  • Die nun angeklagten sieben Stahl-Manager sind geständig, die anderen sieben verweigern noch immer die Aussage oder bestreiten ihre Beteiligung.

Von Kirsten Bialdiga, Bochum

Da sind sie, die "Schienenfreunde" von einst. Zögerlich betreten die sieben Herren mittleren Alters den Gerichtssaal, die gegenseitigen Begrüßungen fallen knapp aus. Nur einer, der etwas später hereinkommt, macht es so, wie es in all den Jahren des Schienenkartells üblich gewesen sein mag. Leutselig grüßt er in die Runde und klopft dazu mit den Fingerknöcheln auf den Tisch. Als wäre es ein Tresen und keine Anklagebank.

Seit Montag verhandelt das Bochumer Landgericht über das Schienenkartell. Es ist einer der aufsehenerregendsten Fälle der Nachkriegsgeschichte: Mindestens zehn Jahre lang sollen Manager von Thyssen-Krupp, Voestalpine, den Stahlwerken Roensch und Moravia Steel Deutschland in großem Stil Absprachen getroffen haben, die jeglichen Wettbewerb zwischen den Unternehmen bei der Lieferung von Schienen an die Deutsche Bahn ausschalteten. Zum Schaden des Steuerzahlers, denn die Deutsche Bahn bestreitet einen großen Teil ihrer Ausgaben für Schienenwege aus öffentlichen Geldern. Eine mittlere dreistellige Millionensumme soll der Konzern durch das Kartell verloren haben. Nun droht den "Schienenfreunden", wie sie sich einst nannten, wegen wettbewerbsbeschränkender Absprachen bei Ausschreibungen eine Höchststrafe von bis zu fünf Jahren Haft.

Treffen in Hinterzimmern zweifelhafter Spelunken

Höchst konspirativ sollen die Kartellbrüder vorgegangen sein. Nach den Erkenntnissen der Staatsanwälte trafen sie sich mitunter in Hinterzimmern zweifelhafter Spelunken, um auszukungeln, welche Firma wie viele Schienen zu welchem Preis an die Deutsche Bahn liefern durfte. Sie benutzten demnach eigens angeschaffte Prepaid-Handys und erfanden fantasievolle Decknamen. Ein "Hannibal Lecter" soll dabei gewesen sein, ein "Brüderchen" und auch eine "Domina". Es war ein großes Geheimnis, das die Kartellbrüder miteinander teilten.

Insgesamt sind 14 Stahlmanager angeklagt. Die Sechste Große Strafkammer des Bochumer Landgerichts unterteilt sie in zwei Gruppen. In jene, die ihre Tat weitgehend gestehen - und in jene, die bis heute schweigen oder eine Mittäterschaft bestreiten. Die Geständigen, ein Manager von Thyssen-Krupp und sechs von Voestalpine, machen von Montag an den Anfang. Beinahe regungslos folgen sie dem Vortrag der Ankläger. Oberstaatsanwalt Christian Kuhnert listet akribisch auf, wo und wie oft sich die Angeklagten trafen und wie sie die Deutsche Bahn hintergingen. Auf acht Taten kommt der Ankläger insgesamt, mit verschränkten Armen verliest er die Anklage. Schon seine Haltung macht deutlich, dass er zum Einlenken nicht bereit ist.

Staatsanwälte verweigerten einen Deal

Tatsächlich ist ein Deal mit den Staatsanwälten zurzeit nicht zu machen. Mitte März war es, da trafen sich die Prozessbeteiligten, um die Möglichkeit einer Verfahrenseinstellung zu prüfen. Schließlich hätten ihre Mandanten die Taten sowieso gestanden, lautete die Argumentation der Verteidiger. Und beruflich stehe für die sieben Angeklagten viel auf dem Spiel. Auch der Vorsitzende der Strafkammer, Michael Rehaag, ließ erkennen, dass er für einen Deal grundsätzlich offen wäre, wie aus einem Protokoll hervorgeht, das vor Gericht verlesen wurde. Aber die Staatsanwälte stimmten nicht zu. Sie wollten, dass der Prozess eröffnet wird - in aller Öffentlichkeit. Damit gerade hier nicht der Anschein von Kungelei entsteht. Und so bleibt den sieben Angeklagten nichts anderes übrig, als in den nächsten Wochen bis Ende Juni zweimal wöchentlich vor Gericht zu erscheinen.

Aufgeflogen war das Kartell, nachdem am 9. März 2011 beim Bundeskriminalamt und beim Bundeskartellamt anonyme Anzeigen eingegangen waren. Wie aus der Anklageschrift hervorgeht, die der Süddeutschen Zeitung vorliegt, meldete sich noch am selben Tag die österreichische Voestalpine beim Bundeskartellamt, um den Kronzeugenstatus für sich zu beanspruchen. Ungefähr zur selben Zeit waren auch bei verschiedenen Medien anonyme Briefe eingegangen, in denen von "jahrelangen Kartellbildungen und massiven Verstößen gegen das Wettbewerbsverbot" die Rede war.

Die schnelle Reaktion zahlte sich für Voestalpine aus. Während die Österreicher nur zu einer Kartellbuße von 14,9 Millionen Euro verurteilt wurden, musste Thyssen-Krupp 191 Millionen Euro zahlen. Hinzu kamen für beide Stahlhersteller Schadenersatzzahlungen in Millionenhöhe für die Deutsche Bahn und andere Kunden.

Thyssen-Krupp ist selbst Nebenkläger

Thyssen-Krupp will sich von den schuldigen Managern einen Teil des Geldes zurückholen. In Arbeitsgerichtsprozessen verlangt der Essener Konzern von mutmaßlich Kartellbeteiligten die Erstattung der Kartellbuße von 191 Millionen Euro und weiterer Schäden. Bislang ohne Erfolg. Thyssen-Krupp habe die Beteiligung des Managers bisher nicht belegen können, urteilte eine Vorinstanz. Insgesamt entstand dem Ruhrkonzern durch das Kartell ein Schaden von mehr als 300 Millionen Euro. 15 Manager, darunter ein Spartenvorstand und zwei Geschäftsführer, mussten gehen, erhielten aber trotzdem zum Teil noch hohe Abfindungen.

Vor dem Bochumer Landgericht tritt der Konzern als Nebenkläger auf. "Von der Hauptverhandlung versprechen wir uns die vollständige Klärung der individuellen strafrechtlichen Verantwortung", sagte ein Konzernsprecher. Das sei wichtig, denn bei den internen Ermittlungen sei gelogen worden.

Aufschlussreich dürften aber auch die Motive der Angeklagten sein. Persönlich bereichert haben sie sich nach bisherigen Erkenntnissen nicht. Ihre Erklärungen vor Gericht brachten dazu am Montag wenig Erhellendes. Die meisten von ihnen, so viel lässt sich immerhin sagen, fingen ganz unten an und arbeiteten sich langsam hoch. Bei Klöckner, Thyssen, Krupp oder Voestalpine. Und einem von ihnen wurde ein Familienurlaub in Wermelskirchen zum Verhängnis. Dort traf er seinem künftigen Kartellbruder zum ersten Mal. Dem das heute sehr leid tut, "dass ich ihn da mit reingezogen habe." Auch so kann Freundschaft enden.

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