Schickedanz: Angst vor der ArmutMitleid mit Madeleine

Lesezeit: 3 Min.

"Nach eigenen Kriterien ist sie nun eine arme Frau": Warum in Franken niemand ein schlechtes Wort über Quelle-Erbin Madeleine Schickedanz verliert.

T. Authaler, D. Mittler, S. Pfanzelt u. A. Ramelsberger

Die Frau gilt als Milliardärin, als Erbin, als Frau von Geld. Sie ist Großaktionärin beim Quelle-Mutterkonzern Arcandor, Besitzerin von Villen in der Schweiz, an der Côte d'Azur, im fränkischen Städtchen Hersbruck und in der Stadt Fürth. Nun klagt diese Frau darüber, dass sie nur noch 600 Euro im Monat zum Leben hat, beim Discounter einkauft und sich das Gemüse aus dem Garten holt, damit sie nicht zu viel Geld ausgeben muss.

Madeleine Schickedanz und ihr Ehemann Leo Herl haben strikte Gütertrennung vereinbart.
Madeleine Schickedanz und ihr Ehemann Leo Herl haben strikte Gütertrennung vereinbart. (Foto: Foto: getty)

Blanker Zynismus einer reichen Frau, sagen die einen. "Die Frau lebt doch wie in einer anderen Welt. Hier in Fürth werden sogar schon Witze darüber gemacht", sagt Gerd Axmann, langjähriger Geschäftsführer von Verdi in Fürth. "Da heißt es etwa, vor dem oder dem Lidl sei ein schwer bewachter Rolls-Royce gesichtet worden: Frau Schickedanz beim Einkaufen." Je weiter weg die Menschen sind, desto unverständlicher wird es für sie, dass eine Millionärin darüber klagt, dass sie in Armut fällt.

Doch die Menschen in ihrer Heimat wollen ihre Madeleine nicht verdammen. Sie haben Mitleid - nicht mit der Unternehmerin, aber mit dem Menschen.

Die Bilder gehören dem Gatten

"Ausgeschlossen", sagt der frühere Ministerpräsident Günther Beckstein. "Madeleine Schickedanz kokettiert nicht mit der Angst vor der Armut. Sie hat echte Existenzangst." Beckstein ist mit Madeleine Schickedanz als Kind zur Schule gegangen, sie beide stammen aus Hersbruck. Seit 20 Jahren pflegt der CSU-Politiker Kontakt zur Quelle-Erbin. "Sie hat offenbar das letzte Hemd verpfändet, weil sie unter allen Umständen das Erbe von Vater und Mutter weiterführen wollte", sagt Beckstein der SZ.

Beckstein, der in der Krise von Quelle immer wieder mit Schickedanz gesprochen hat, weiß, dass die Erbin ihre Bilder, die Möbel, die Häuser verpfändet hat, um Geld für Quelle zu besorgen. "Nach eigenen Kriterien ist sie nun eine arme Frau", sagt Beckstein. "Aber das Familieneinkommen liegt sicher nicht bei 600 Euro." Schickedanz hatte in der Bild am Sonntag erklärt, sie verliere nun alles. Allerdings lebten sie und ihr Mann in Gütertrennung, die wertvollen Bilder an der Wand gehörten dem Gatten.

"Man kann Häme oder Mitleid empfinden", sagt Thomas Jung, der Oberbürgermeister der Stadt Fürth, in der die Quelle-Mitarbeiter um ihre Arbeitsplätze zittern. "Das Wort arm ist relativ. Für jeden, der von Hartz IV leben muss, ist die Klage von Frau Schickedanz nicht verständlich", sagt Jung. Häme will Jung nicht gelten lassen: "Frau Schickedanz hat sich für ihr Unternehmen engagiert. Wir kennen hier auch andere. Die Witwe des Grundig-Chefs war Milliardärin und ist es nach wie vor. Aber von Grundig ist nicht mehr viel übrig."

Lesen Sie auf der nächsten Seite, warum in Hersbruck niemand etwas Böses über Madeleine Schickedanz sagt.

Arcandor
:Ein großer Gemischtwarenladen

Das Insolvenzverfahren bei Arcandor hat begonnen - und viele Traditionsmarken sind bedroht. Was sich genau hinter dem abstrakten Konzernnamen verbirgt - ein Überblick in Bildern.

Die Grundig-Witwe hatte es seinerzeit abgelehnt, mit ihrem Privatvermögen dem notleidenden Unternehmen zu helfen. Jung sagt, Schickedanz habe alles auf Quelle gesetzt. "Das war sehr konsequent, wenn auch erfolglos." Doch ihre Angst vor der Armut kann er nicht nachvollziehen: "Ich kenne die Kontoauszüge der Familie nicht", sagt Jung. "Aber es ist kaum vorstellbar, dass die Familie keine Reserven hat."

Keiner will wirklich herfallen über die Quelle-Erbin, noch nicht einmal die Menschen, die um ihre Arbeitsplätze bangen. Ernst Sindel, der Gesamtbetriebsratsvorsitzende von Quelle, tut die Äußerungen von Schickedanz ab: "Wir haben im Moment andere Sorgen. Wir kümmern uns darum, unsere Geschäftsprozesse aufrecht zu erhalten. Es geht uns darum, unsere Kunden zu bedienen, die uns immer noch treu sind. Die Kataloge greifen." Das sei wichtig, anderes nicht. " Die Aussagen von Frau Schickedanz kommentiere ich nicht", sagt der Betriebsratschef.

In der Stadt herrscht immer noch eine Grundsympathie. "Sie werden hier niemand finden, der Schlechtes über sie spricht", sagt Wolfgang Plattmeier, der Erste Bürgermeister. Gerhard Kratzer betreibt einen Biergarten in der Altstadt. Schickedanz sei eine "ganz liebe Frau" und Opfer einer Kampagne. Man wolle das Volk gegen reiche Leute aufhetzen.

Scampi ja, Champagner nein

Selbst Thomas Beyer, Vizechef der SPD-Landtagsfraktion, betont die starke Verbundenheit von Hersbruck und Schickedanz. "Madeleine Schickedanz ist als großzügige Unterstützerin von sozialen Projekten bekannt. Sie steht hier für viel Gutes", sagt er. Die Hauptschule trägt ihren Namen. "Aber solche Äußerungen, dass sie jetzt von 500 bis 600 Euro leben muss, die werden an ihrem positiven Bild kratzen. Mit dieser Mitleidstour beschreitet sie den falschen Weg. Dass sie nun in persönlicher Armut lebt, das glaubt ihr auch in Franken niemand."

Hans-Jürgen Graf ist Chef der Zeitung Der Prekarier, die sich an Arbeitslose wendet. Er kann die Angst vor dem Absturz sogar gut verstehen. "Aber wenn ich selbst Angestellter oder Arbeiter bei Quelle wäre, dann würde ich mir denken: 'Meine Güte, was sollen wir dann machen?'".

Hundert Meter von Schickedanz Villa in Hersbruck entfernt steht das Blaue Haus, der Stamm-Italiener der Familie. Erst vor zwei Wochen sei Schickedanz mit ihrem Mann dagewesen, sagt Chefin Angelica Cordasco. Die Frau habe "abgenommen gehabt und ganz traurig geschaut". Wie immer habe sie Fisch oder Meerestiere gegessen. Scampi bestelle sie gern, sagt Kellner Giuseppe di Paolo. Champagner gab es nie. In der Fußgängerzone von Hersbruck eröffnet am Donnerstag wieder ein Kaufhaus, das Kaufhaus Schickedanz. Madeleine hat die Eröffnung unterstützt. Kommen aber wird sie wohl nicht.

© SZ vom 21.07.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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