Süddeutsche Zeitung

Schattenbanken in China:Gefährliche Unwucht

In China ist neben dem offiziellen Bankensystem ein Imperium aus zwielichtigen Schattenbanken gewachsen. Niemand weiß, wie viele Schulden das Land inzwischen hat. Die Lage ist unkontrollierbar und riskant für Chinas Finanzsystem.

Ein Kommentar von Christoph Giesen

Chinas Finanzsystem ist außer Kontrolle geraten. Die Folgen konnte man in den vergangenen Tagen an den Märkten beobachten. Nachdem sich die Zentralbank geweigert hatte, dem System unendlich viel Geld zur Verfügung zu stellen, war der Interbankenmarkt bald dicht. Die Furcht vor einer Kreditklemme in der zweitgrößten Volkswirtschaft, sie war plötzlich greifbar. Chinas Banken liehen sich so gut wie kein Geld mehr.

Bis zu 28 Prozent verlangten die Institute voneinander - nicht einmal nach der Pleite der Investmentbank Lehman Brothers waren die Zinssätze so hoch. Dazu jede Menge Gerüchte: Irgendwann sah sich sogar die Bank of China, immerhin eine der größten Banken der Welt, genötigt, ihre Zahlungsunfähigkeit zu dementieren.

Schuld an der Krise sind die hohen Verbindlichkeiten, die sich in den vergangenen Jahren angehäuft haben. Seit 2008 ist die Schuldenquote von etwa 100 Prozent der Wirtschaftsleistung auf mehr als 200 Prozent gestiegen. Einen Teil davon haben Chinas Kommunen verursacht, als nach der Finanzkrise die Exportindustrie ins Stocken geriet; um Massenarbeitslosigkeit zu verhindern, investierte der Staat. Neue U-Bahn-Tunnel wurden gebohrt, jede Menge Hochhäuser errichtet, Tausende Kilometer Schienen für das Hochgeschwindigkeitsnetz verlegt - das Geld dafür kam auf Pump.

Viele Investitionen haben sich nicht gelohnt, Flugplätze, die man gebaut hat, sind defizitär, Modellstädte unbewohnt. Um die Schulden abzutragen, machen viele Kommunen neue. Ein Teufelskreis. Doch die faulen Kredite der lokalen Behörden sind nur ein Teil des Problems. Ein anderer sind die Banken selbst.

Vier Staatsbanken und ein dunkles Imperium

Auf dem Papier ist das Bankensystem recht einfach strukturiert: Es gibt vier große Staatsbanken, sie haben das Geld. Doch in den vergangenen Jahren ist außerhalb der Bilanzen ein Schattenbanken-Imperium gewachsen - vom kleinen Pfandleiher bis hin zum Hedgefonds -, unkontrolliert und gefährlich.

Das Problem mit den Schattenbanken fängt schon damit an, dass man nicht genau weiß, um wie viel Geld es geht. Sind es elf Billionen Yuan (1,4 Billionen Euro), etwa 20 Prozent des chinesischen Bruttoinlandsproduktes, wie man bei der Schweizer Großbank UBS vermutet? Oder sind es 36 Billionen Yuan, wie Analysten von JP Morgan schätzen - also weit über 60 Prozent der chinesischen Wirtschaftsleistung? Fest steht: Chinas unregulierte Schattenbanken verwalten Vermögenssummen, die das Finanzsystem in eine gefährliche Unwucht gebracht haben.

Wuchern konnten die Institute der Dunkelheit vor allem deshalb, weil die großen Banken in China ein Geschäftsmodell verfolgen, das sie ohne jegliches Risiko prächtig gedeihen lässt. Die Zinsen, die sie ihren Anlegern anbieten, sind staatlich gedeckelt, jede Bank zahlt gleich wenig. Anleger bekommen allenfalls zwei, drei Prozent und das bei einer Inflationsrate, die irgendwo zwischen fünf und zehn Prozent liegt. Wer Geld anlegen möchte, hat wenig Möglichkeiten: Der Aktienmarkt schwankt zu heftig, Immobilien kann sich kaum noch einer leisten. In den großen Städten werden längst europäische Quadratmeterpreise aufgerufen.

Zeit für den Aufstand

Viele Chinesen investieren deshalb in kurzlaufende Wertpapiere. Diese bringen vier, manchmal auch fünf Prozent. Und sie sind vollkommen unreguliert. Angeboten werden sie von Schattenbankern, die damit Kredite für kleine Unternehmen finanzieren, denn die großen Institute verleihen fast nur an staatseigene Betriebe, im Notfall haftet ja Peking. Weit über 90 Prozent der kleinen Firmen bekommen kein Geld. Sie müssen sich bei den Schattenbanken eindecken und das zu weitaus höheren Sätzen. Trotzdem ist der Bedarf groß, so groß, dass auch mancher Lenker eines Staatskonzerns dabei mitverdienen will. Von den etablierten Instituten bekommt sein Unternehmen sowieso billige Kredite, direkt an kleinere Firmen verleihen darf er das Geld aber nicht.

Also wird das Geschäft über die Banken abgewickelt, die das Risikokapital gegen eine Gebühr weiterleiten. In den Bilanzen tauchen diese Kredite nicht mehr auf. Aus einem Staatskonzern ist aber eine Schattenbank geworden.

In den vergangenen Jahren hat es die Führung in Peking versäumt, die Macht der Staatsbanken zu brechen. Die jüngsten Reformen vor knapp zehn Jahren gehen auf die Truppe um Ex-Parteichef Jiang Zemin zurück. Die neue Regierung weiß, sie muss etwas tun. Die Trotzhaltung der Zentralbank war hoffentlich ein erstes Zeichen - man hört in Peking, dass Premier Li Keqiang persönlich die Rebellion angeordnet hat. Offenbar meint er es ernst mit der Reform des Finanzsystems. Zeit ist es allemal.

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SZ vom 01.07.2013/infu/rus
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