Musikindustrie:Vinyl ist zurück

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Es gibt sie seit 70 Jahren, dann waren sie fast verschwunden, jetzt sind sie wieder da: Vinyl-Schallplatten. (Foto: Jessy Asmus)

Die gute alte Schallplatte ist gefragt wie lange nicht: Die Musikfirma BMG verkauft sogar wieder mehr Vinyl als CDs. Auch in anderen Bereichen wandelt sich der Musikmarkt gewaltig.

Von Caspar Busse

Die allerbesten Tage von "Black Sabbath" sind schon länger vorbei. Die legendäre britische Rock-Band wurde 1968 von Ozzy Osbourne mitgegründet. Die Erfinder des Heavy Metal sind 2017 in Birmingham zum bislang letzten Mal aufgetreten, aber immer noch beliebt: 75 Millionen Alben hat "Black Sabbath" weltweit verkauft - und es werden immer mehr, auch wieder auf Schallplatte. Nach Angaben der Musikfirma BMG kamen die erfolgreichsten Vinylscheiben im Programm des ersten Halbjahres von "Black Sabbath", vom verstorbenen Sänger Joe Strummer der Punk-Band "The Clash" und der Rockgruppe "Garbage".

Aber nicht nur Heavy Metal, Rock und Punk sind auf Vinyl plötzlich wieder in. Die Schallplatte insgesamt ist zurück - und feiert pünktlich zu ihrem Geburtstag ein Comeback. Vor fast genau 70 Jahren war Deutschlands erste LP (mit 33 1/3 Umdrehungen in der Minute) auf der Deutschen Musikmesse 1951 in Düsseldorf vorgestellt worden. Nach dem Aufkommen der CDs und der Online-Streamingdienste gingen die Verkäufe drastisch zurück, sie war immer wieder totgesagt worden - doch jetzt geht es erneut erstaunlich deutlich nach oben. Das hat lange kaum einer für möglich gehalten.

(Foto: Vianney Le Caer/AP)

"Es gibt einen sehr starken Trend zu Vinyl", sagt Hartwig Masuch, Chef der Berliner Musikfirma BMG. "Wir haben im ersten Halbjahr 2021 erstmals seit der Gründung 2008 mehr Umsatz mit Schallplatten als mit CDs gemacht", fügt er an. BMG wurde erst 2008 von Bertelsmann wieder gegründet, die Schallplatte war da schon lange auf dem Rückzug. Nachdem Mitte der 80er-Jahre des vergangenen Jahrhunderts die CD aufkam, überflügelten die kleinen silbernen Scheiben bald die Schallplatte. Doch nun ist auch die Zeit der CD vorbei: Heute wird Musik online gestreamt - und wieder von der Schallplatte gehört.

Nach den Zahlen des Bundesverbands Musikindustrie (BVMI) erlebt Vinyl gerade einen Höhenflug. Im ersten Halbjahr 2021 ging der Schallplatten-Umsatz in Deutschland um nahezu 50 Prozent nach oben, die Schallplatte hat wieder einen Marktanteil von fast sechs Prozent am Musikmarkt, die CD verzeichnet ein deutliches Minus und kommt auf einen Anteil von etwa 14 Prozent. Die übrigen 80 Prozent der Erlöse der deutschen Musikindustrie von insgesamt rund 1,8 Milliarden Euro entfallen inzwischen auf digitale Geschäftsmodelle. Ein ähnlicher Trend ist auch in den USA zu beobachten. Laut BVMI wurden im Jahr 2011 nur noch 700 000 Schallplatten verkauft, 2020 hingegen waren es schon wieder 4,2 Millionen.

Hartwig Masuch hat früher selbst Musik gemacht, seit 2008 ist er Chef von BMG. (Foto: Barbara Dietl/BMG)

BMG-Chef Masuch, 67, war einst selbst Musiker und ist schon lange im Geschäft, er gilt als einer der Wegbereiter der Neuen Deutsche Welle in den 1980er-Jahren (als es fast nur Schallplatten gab). Masuch glaubt, dass der Vinyl-Boom noch nicht zu Ende ist: "Wir gehen davon aus, dass das auf Dauer noch mehr Fahrt aufnehmen wird. Wir werden sehr konsequent unser gesamtes Repertoire auf Vinyl verfügbar machen." Das Problem: Die Nachfrage ist so hoch, dass die Unternehmen mit der Herstellung nicht nachkommen. "Die Produktionskapazitäten für Vinyl-Platten sind derzeit sehr beschränkt, die Wartezeiten betragen mehrere Monate", so Masuch. Der Rohstoff ist in der Pandemie knapp, viele Presswerke haben nach dem Niedergang der Schallpatte in den vergangenen Jahrzehnten die Produktion eingestellt. Jetzt gibt es kaum noch jemanden, der Schallplatten für die Musikindustrie produziert.

Der Schallplattenspieler wird zu einem "kulturellen Statement"

Aber die Gewohnheiten wandeln sich. "Der Schallplattenspieler wird für viele zu einem kulturellen Statement", sagt Masuch und fügt an: "Dabei geht es ihnen um das Erlebnis, bewusst eine Vinyl-Platte durchzuhören und nicht eine Playlist durchlaufen zu lassen, die ein Streamingservice kuratiert hat." Musik als Erlebnis also. Kein Wunder, dass auch der Absatz von Schallplattenspielern deutlich steigt: Er erhöhte sich zuletzt auf rund 63 000 Stück in der ersten Jahreshälfte 2021. In den Elektronikmärkten sind die Regale voll mit unterschiedliche Modellen, die Stiftung Warentest hat zuletzt zum ersten Mal seit 36 Jahren wieder einen großen Schallplattenspieler-Test veröffentlicht.

Für die gebeutelte Musikindustrie ist das eine gute Nachricht: Denn der Umsatz mit Platten ist deutlich höher, mehr und mehr werden Luxusversionen angeboten. Bei BMG-Chef Masuch liegt zum Beispiel eine aufwendig gestaltete Box auf dem Schreibtisch, ein Album von Rolling-Stone-Gitarrist Keith Richards, das Äußere ist dem hellen Holz seiner Fender-Gitarre nachempfunden, drinnen findet sich nicht nur eine LP und eine Single, sondern auch Faksimiles von Back-Stage-Pässen sowie Bild- und Textbände. Echte Fans zahlen dafür schon mal 750 Dollar.

Auch der Verkauf von Schallplattenspielern geht wieder nach oben. (Foto: Angel Santana Garcia/imago)

All das kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich der Musikmarkt wie kaum eine anderer weiter grundlegend wandelt. Zuletzt waren die Streamingdienste Spotify, Deezer, Apple oder Amazon Music bestimmend. Doch inzwischen gibt es eine andere große Einnahmenquelle und das ist Youtube, das Videoportal, das zum mächtigen Google-Konzern gehört. "Youtube wird immer relevanter für die gesamte Musikindustrie, und zwar weltweit", sagt auch Masuch. Das gelte besonders in sich entwickelnden Ländern, etwa in Südamerika. Die Einnahmen würden deutlich steigen. "Youtube ist daher besonders interessant für Ansprache der Fans und Konsumenten", so der BMG-Chef.

"Das große Kapital hat den Musikmarkt entdeckt."

Gleichzeitig wird der Markt insgesamt immer größer. Nach Schätzungen betrage das Volumen der in den kommenden Jahren freiwerdenden Rechte von Musikern zwischen 200 und 250 Milliarden Dollar. Masuch sagt: "Da wird sich viel bewegen." Und BMG, hinter den Branchengrößen Universal Music, Sony und Warner mit Abstand die Nummer vier am Markt, will davon profitieren. In den letzten zehn Jahren war BMG schon sehr aktiv und hat mehr als 100 große Deals getätigt, damals nach eigenen Angaben noch zu deutlich niedrigeren Preisen als die, für die Rechtekataloge derzeit gehandelt werden.

(Foto: Georg Wendt/dpa)

Nun aber steigen die Preise, immer mehr Finanzunternehmen drängen auf der Suche nach Anlagemöglichkeiten und guten Renditen auf den schnell wachsenden Markt. "Das große Kapital hat den Musikmarkt entdeckt", sagt Masuch. Gerade erst ist Universal Music erfolgreich an die Börse in Amsterdam gegangen. Was Künstlerinnen, Künstlern und Finanzinvestoren in dieser Situation wichtig ist, sei Effizienz und Service, so Masuch. Deshalb sind BMG und der amerikanische Finanzinvestor KKR eine Allianz zum Erwerb neuer Musikkataloge eingegangen. Die beiden Partner kennen sich gut. Zusammen mit KKR baute Bertelsmann von 2008 an das Musikgeschäft wieder auf, nachdem die Gütersloher Jahre zuvor ausgestiegen waren. Dann verabschiedete sich KKR, Bertelsmann übernahm alle Anteile. Die Geschäfte bei BMG laufen gut: Im ersten Halbjahr 2021 lag der Umsatz bei fast 300 Millionen Euro bei einem operativen Ergebnis von 50 Millionen Euro.

"Die Liste der großen, etablierten Künstlerinnen und Künstler, die am Markt nach einem verlässlichen Partner suchen, ist sehr lang", glaubt Masuch. BMG will zusammen mit KKR davon profitieren. Rund 70 Deals mit einem Volumen von rund einer Milliarde Dollar sollen "in der Pipeline" sein. Gerade erst hat BMG ein umfangreiches Portfolio an Rechten für Tina Turner erworben. Ihre Hits wird es demnächst auch wieder verstärkt auf Vinyl geben.

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