Süddeutsche Zeitung

sauspiel.de:Die Schafkopf-Community

Vor 14 Jahren hat Agnes Reissner mit drei Freunden die Seite sauspiel.de gegründet, auf der man Schafkopf spielen kann. Heute hat die Firma 14 Angestellte, die Nutzerzahlen steigen - auch durch den Lockdown.

Von Elisa von Grafenstein

"Zefix!" "Ja, Himmelherrgottsakra!", "Des gibt's ja ned, wie kann man bloß so bled sein?" Wer Schafkopf spielt, sollte eine gewisse Derbheit in der Sprache ertragen. Das ist im echten Leben so, und das ist im Internet nicht anders - zumindest auf der Seite sauspiel.de. Die Webseite, auf der man live mit anderen Schafkopf spielen kann und deren Name sich auf eine Spielvariante des Schafkopfs bezieht (die "Sau" heißt zu Hochdeutsch Ass), erlebt dank Corona-Kontaktbeschränkungen gerade einen kleinen Boom.

Wer Mitgründerin Agnes Reissner per Videocall in ihrer Wohnung in Berlin-Kreuzberg erreicht, könnte zunächst überrascht sein. Nein, hier sitzt weder eine Internet-Nerdin noch die klischeehafte Urbayerin. Agnes Reissner, 40, mittellange schwarze Haare, große grün-braune Augen, ist Soziologin und spricht hochdeutsch. Vor 14 Jahren hat die gebürtige Allgäuerin mit ihren Freunden Martin Kavalar, Stephan Eichler und Jan Bromberger die Schafkopf-Seite ins Leben gerufen. Heute hat die Firma 14 Mitarbeiter, die Seite ist nach eigenen Angaben die größte Schafkopf-Community Deutschlands und hat 770 000 Mitglieder auf der ganzen Welt. Sogar Ex-Fußballer Philip Lahm hat sauspiel.de vor ein paar Jahren mal als seine Lieblings-App empfohlen.

Die Idee für die Seite entstand an einem Küchentisch in Berlin. Die drei Studenten kannten sich aus München, hatten dort auch zusammen Karten gespielt. Doch der vierte Mann war in Bayern geblieben und fehlte in der Runde. Es ist das Jahr 2007, Web 2.0 gerade das ganz große Ding, soziale Netzwerke noch etwas ziemlich Trendiges. "Wir waren sehr technikaffin, fanden die neuen Entwicklungen faszinierend. Und dann hörten wir von diesem Facebook aus Amerika", erzählt Geschäftsführerin Reissner. Die Plattform stand schon nach vier Monaten.

"Wir hatten Glück, dass wir so früh dran waren. Für viele sind wir das, was für die nächste Generation Facebook war", sagt Reissner. Sauspiel.de gibt es für iPhones oder als mobiloptimierte Online-Version, die sich komfortabel auf dem Handy spielen lässt. Inzwischen sind einige andere recht erfolgreiche Apps auf dem Markt, wie die Schafkopf-App von Isar Interactive, "Schafkopf am Stammtisch" oder "Schafkopf-Palast".

Für Stefan Aldenhoven ist die Sache aber klar: "Sauspiel.de ist für mich mit Abstand die Nummer eins. Die Seite ist wirklich gut gemacht, das geht flott von der Hand." Der Vorstand des Münchner Vereins Schafkopfschule spielt zwar selten online, hat aber den Werdegang des Start-ups von Beginn an "bewundernd" verfolgt und stand beratend zur Seite.

Sommersprossen, Dirndl, Hut: Wer mag, kann seinem Avatar ein gewünschtes Aussehen geben

Tatsächlich ist Reissners Schafkopf-Seite mit sehr viel Liebe fürs Detail designt und bedient augenzwinkernd so ungefähr alle Klischees, die man dem bayerischen Schafkopf andichten könnte: Der oder die Spielende sitzt mit den Mitspielern in einem Wirtshaus. An der Wand gegenüber hängen zwei Auerhähne, das Fenster gibt - umrahmt von weiß-blauen Vorhängen - den Blick auf ein Alpenpanorama frei. Um Weihnachten herum schmückt ein Adventskranz den Spieltisch. Die Spieler können ihre Avatare selbst gestalten, zur Auswahl stehen Lederhosen und Dirndl, auch T-Shirts und Fußballtrikots, fesche Hüte, freche Sommersprossen. Erfinder der Avatare ist der Münchner Illustrator Malte Euler, den die Gründer noch aus Studentenzeiten kennen. "Der hat den Schafkopf gelebt und sich in karierten Hemden verloren. Wir hatten alle einen Riesenspaß dabei", sagt Reissner.

Für Premium-Nutzer, denen auch das Spiel mit der kurzen Karte - (also sechs statt acht Spielkarten) sowie Sonderregeln wie Geier (nur Ober sind Trumpf) und Farbwenz (Unter und eine Farbe sind Trumpf) vorbehalten sind, gibt es eine Sprach- und Videofunktion. So können sich die Spieler am Tisch miteinander unterhalten. Wer keine fünf, ermäßigt zwei Euro im Monat zahlen will, kann sich mit derb-bairischen Zwischenrufen aus der Büchse behelfen. Die Sprüche in verschiedenen Dialekten haben Spieler eingesprochen.

Überhaupt ist die Community auf sauspiel.de sehr aktiv: "Das unterscheidet uns von der Konkurrenz", sagt Reissner. Man kann auf der Seite chatten, Freunde finden, es gibt eine Pinnwand, Nutzerprofile, außerdem einen Turnierbereich, die Zockerstub'n, Vereinsheime und eine Ehrentribüne mit Statistiken der Spieler - ein typisches soziales Netzwerk eben. Sogar Familien sind auf ihrer Seite gegründet worden, erzählt Reissner und lacht: "Die Spielerin Ally erwartet gerade ihr zweites Kind vom Spieler Moped-Done."

Im ersten Lockdown hat sich die Zahl der Neuregistrierungen teilweise verzehnfacht

Von Anfang an ist sauspiel.de ohne Werbung ausgekommen, und ohne Fremdkapital. Die Seite finanziert sich über die Gebühren und die Einnahmen beim Echtgeld-Spiel, rund 20 Prozent des Gewinns zieht sauspiel.de hier ein. 2019 lag der Jahresüberschuss laut Bundesanzeiger bei knapp 550 000 Euro, Gewinn und Umsatz möchte Geschäftsführerin Reissner nicht nennen. Nur so viel: "2020 wird wahrscheinlich noch besser werden."

Denn die Zahl der Spieler wächst, auch dank der Anti-Corona-Maßnahmen: In den Monaten des ersten Lockdowns verzehnfachte sich die Zahl der Neuregistrierungen mit bis zu 2000 neuen Spielern am Tag. Wie sehr sich Corona auf die Spiele-Branche ausgewirkt hat, zeigen Zahlen des Statistikamtes: 2020 betrug der Umsatz im Gaming-Markt in Deutschland rund 8,5 Milliarden Euro, 2019 waren es noch 6,5 Milliarden. Mit Abonnements und Premium-Accounts wurde ein Umsatz von 163 Millionen Euro erzielt, ein Plus von 44 Prozent. "Das außerordentlich starke Wachstum zeigt, wie wichtig Games im Corona-Jahr 2020 waren", sagt Felix Falk, Geschäftsführer des Game-Verbandes. "Sie haben Millionen Menschen zusammengebracht, Spielerinnen und Spieler trotz fehlender Reisemöglichkeiten fremde Welten entdecken lassen".

Am digitalen Stammtisch nehmen auch viele Frauen Platz

Man könnte denken, dass so eine Schafkopf-Seite eine reine Männerdomäne ist. Doch Agnes Reissner hat da andere Erfahrungen gemacht: "Gleich am Anfang haben wir festgestellt, dass es auch sehr viele Spielerinnen gibt. Das hat mich als Gründerin sehr gefreut." Genaue Zahlen gebe es nicht, auch weil die Spieler ihr Profil und damit die Angaben zu ihrem Geschlecht selbst ausfüllen. Vielleicht sei im Internet für Frauen die Hürde kleiner, sich an einen oft männerdominierten Stammtisch zu setzen. Zum Üben sei das Online-Spiel jedenfalls ideal - obwohl es natürlich auch auf sauspiel.de einen deutlichen Rüffel gibt, wenn man etwa zu langsam oder sehr falsch spielt. "Man spielt sehr viele Spiele, weil man selbst nicht mischen und zusammenzählen muss." Und auch nicht so viel ratscht wie bei einer echten Schafkopfrunde.

Ob sie selbst noch im echten Leben spielt? In Berlin gehe da nicht so viel zusammen, sagt Reissner. "Aber wir haben zwei Kinder, vier und sechs, die werden jetzt im Schafkopf eingelernt und dann wird das hoffentlich bald eine Familienangelegenheit." Denn eins ist klar: Das digitale Spiel hat seine Grenzen. Das findet sogar die Unternehmerin Reissner. "Diese eingespielten Runden, die seit Jahrzehnten bestehen, die können wir natürlich nicht ersetzen." Wenn man die Freunde am echten Tisch trifft, geht es um mehr als nur um die Karten. "Es tut mir als Schafkopferin weh, dass das seit einem Jahr fast nicht möglich ist."

Wenn es endlich so weit ist, dann gibt es die derben Schafkopfsprüche auch wieder live und im Original zu hören.

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