Süddeutsche Zeitung

Schadensersatz:Fabrikbrand-Opfer verklagen Textildiscounter Kik

  • Bei dem Brand der Textilfabrik Ali Enterprises in Pakistan starben vor drei Jahren 260 Menschen.
  • Vier Überlebende klagen beim Landgericht Dortmund jetzt auf Schadensersatz gegen Kik. Es geht um die Verantwortung des deutschen Unternehmens für die Produktionsbedingungen bei seinem Zulieferer.

Von Caspar Dohmen, Dortmund

Der schwerste Industrieunfall in der Geschichte Pakistans

Als in der Textilfabrik Ali Enterprises im pakistanischen Karachi ein Feuer ausbrach, wollte sich Muhammad Hanif durch ein Fenster retten. Doch das Fenster war vergittert. In seiner Not gelang es ihm, einen Teil der Lüftungsanlage aus der Wand zu brechen und aus dem Gebäude zu springen. Dann half er anderen, dem Inferno zu entkommen. Viele Arbeiter konnten sich jedoch nicht retten. 260 Menschen starben am 11. September 2012, 32 verletzen sich.

Es war der schwerste Industrieunfall in der Geschichte Pakistans. Hanif, 26, erlitt eine schwere Rauchvergiftung und leidet bis heute unter Atembeschwerden und Schmerzen in der Lunge. Heute hat er gemeinsam mit drei Angehörigen toter Kollegen in Deutschland Klage beim Landgericht Dortmund gegen den Textildiscounter Kik, den Hauptkunden der Unglücksfabrik, eingereicht.

"Sie wollen endlich Gerechtigkeit", sagt die Völkerrechtlerin Miriam Saage-Maaß, die die Betroffenen beraten hat. Saage-Maaß ist Anwältin beim European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR). Die Nichtregierungsorganisation bringt juristische Verfahren ins Rollen, um Unternehmen für Menschenrechtsverstöße verantwortlich zu machen, diesmal mit der NGO Medico International. Gemeinsam haben sie Kik im Visier. Das Verfahren solle klar machen, dass transnationale Unternehmen auch für die Arbeitsbedingungen in ihren Tochter- und Zulieferbetrieben im Ausland verantwortlich seien.

"Signal gegen die Politik der Straflosigkeit"

"Kik hat versucht, die Überlebenden mit Almosen zum Schweigen zu bringen. Dagegen wehren sich die Betroffenen und setzen mit ihrer Klage ein Signal gegen die Politik der Straflosigkeit", sagt Thomas Seibert, Südostasienkoordinator von Medico International. Die Kläger fordern jeweils 30 000 Euro Schadenersatz. Kik hatte nach dem Unglück zügig eine Soforthilfe für alle von insgesamt 500 000 Dollar gezahlt und die Summe später auf eine Million Dollar aufgestockt (etwa 4000 Dollar je Todesopfer). Doch eine Entschädigung, um den Ausfall des Einkommens des Haupternährers vieler Familien zu kompensieren, habe das Unternehmen verweigert, kritisiert Saage-Maaß. Nach zwei Jahren Verhandlungen habe die Firma im Dezember 2014 ein unzureichendes Entschädigungsangebot vorgelegt und zu verstehen gegeben, dass kein Schmerzensgeld gezahlt werde.

Kik hält eine pauschale Einmalzahlung an die Betroffenen für "nicht zielführend", ist jedoch nach eigenen Angaben "bereit" zu weiteren Hilfszahlungen im Sinne einer Langzeitentschädigung. Die Firma verlangt zuvor Klarheit über die bisherige Verteilung der Hilfsgelder und den tatsächlichen Bedarf der Betroffenen. Die zuständige Organisation sei dem bislang nicht nachgekommen.

Kik sah keinen Grund für Beanstandungen

Mit der Klage betreten die Beteiligten juristisches Neuland. Sollte es zu einem Verfahren kommen, dürfte das Unternehmen gezwungen sein, nachzuweisen, wie es seiner Verantwortung entlang der Lieferkette nachgekommen ist. Nach Ansicht der Kläger gab es gravierende Sicherheitsmängel in der Fabrik, insbesondere beim Brandschutz. Die Rede ist von fehlenden Feuermeldern, der hölzernen und damit leicht entflammbaren Konstruktion des Zwischengeschosses, dem Fehlen von Notausgängen und vergitterten Fenstern.

Kik sah keinen Grund für Beanstandungen. "Mangelnder Brand- und Sicherheitsschutz konnten seit den Audits im Jahr 2009 und 2011 nicht festgestellt werden. Daher hatte wir auch keinen Grund, uns von diesem Produzenten zu trennen", heißt es in einer Stellungnahme. Zertifizierungen sind generell jedoch selbst Gegenstand heftiger Kritik. In Italien bereiten Anwälte derzeit auch eine Klage gegen RINA, eine der Zertifizierungsfirmen der Unglücksfabrik, vor.

Kik kauft weiter in Pakistan ein - sogar mehr als vor dem Unglück

Vier Mal war Saage-Maaß vor Ort und hat den Betroffenen geholfen, die eine Selbsthilfeorganisation gegründet haben: Baldia Factory Fire Association. Fast 200 Betroffene aus mehr als 150 Familien sind dabei. Sie haben selbst die vier Kläger ausgewählt, sich genau überlegt, wer eine solche Klage wohl am besten durchstehen könnte. Es war klar, dass zunächst nur einige von ihnen gegen Kik in Deutschland klagen können. Denn das deutsche Recht sieht keine Sammelklagen vor. In Pakistan läuft unterdessen ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren gegen die Fabrikbesitzer.

Die Erfolgsaussichten der Klage gegen Kik sind schwer zu beurteilen. Einige ECCHR-Klagen sind gescheitert, zuletzt der Versuch, Manager von Nestlé im Zusammenhang mit der Ermordung von Gewerkschaftern in Kolumbien vor Schweizer Gerichten zur Verantwortung zu ziehen. Anderseits gab es auch einige Erfolge bei Menschenrechtsklagen von Aktivisten gegen Konzerne. So stimmte Shell vergangenes Jahr in einem außergerichtlichen Vergleich der Zahlung von 55 Millionen Pfund Schadenersatz zu, wegen der verheerenden Umweltverschmutzung im Nigerdelta.

Die jetzige Klage könnte den Ruf des Discounters Kik auf jeden Fall beschädigen. Der kauft jedoch weiter in Pakistan ein, sogar mehr als vor dem Unglück.

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