Schadenersatzklage gegen Bayer:Gesundheitsrisiko Antibabypille

Schadenersatzklage gegen Bayer: Pharmakonzerne müssen immer wieder Milliardenstrafen zahlen. Doch sie verdienen so viel, dass sie solche Rechtsansprüche gut wegstecken.

Pharmakonzerne müssen immer wieder Milliardenstrafen zahlen. Doch sie verdienen so viel, dass sie solche Rechtsansprüche gut wegstecken.

(Foto: SZ-Infografik)

"Ich empfinde Hass gegen Bayer, ich empfinde Hass gegen den Staat": Die Parolen protestierender Frauen in Frankreich zeigen Wirkung. Die europäische Arzneimittelbehörde prüft Verhütungsmittel von Bayer, die Blutgerinnsel auslösen sollen. Der Pharmakonzern verweist auf die Verantwortung der Ärzte - und muss mit einer Klagewelle rechnen.

Von Helga Einecke, Frankfurt

Felicitas Rohrer studierte Tiermedizin. 2009 wurde sie plötzlich ohnmächtig. Sie überlebte wie durch ein Wunder eine doppelte Lungenembolie, also einen gefährlichen Verschluss ihrer Blutgefäße. Seither ist ihr Leben stark eingeschränkt, ihren akademischen Beruf kann sie nicht ausüben. "Bei mir ist es zweifelsfrei erwiesen, dass die Pille die Ursache für meine Lungenembolie war", sagte Rohrer 2012 auf der Hauptversammlung des Pharmaunternehmens Bayer, der die Pille herstellt. Mehr noch, die junge Frau hat Bayer verklagt und 200.000 Euro Schmerzensgeld gefordert. Doch die beim Gericht Waldshut-Tiengen eingereichte Klage ist bisher über einen Austausch von schriftlichen Unterlagen nicht hinausgekommen.

Das könnte sich bald ändern. Die europäische Arzneimittelbehörde EMA hat den Fall auf Wunsch aus Paris an sich gezogen. Sie will die Antibabypillen auf mögliche Thrombosegefahren überprüfen. Auslöser waren nicht die Fälle von Felicitas Rohrer und ihren Mitstreiterinnen, sondern eine Protestwelle französischer Frauen. Mit Demonstrationen und Parolen wie "Ich empfinde Hass gegen Bayer, ich empfinde Hass gegen den Staat" sowie handfesten Klagen machten Frauen im Nachbarstaat öffentlich Front gegen das deutsche Unternehmen, rüttelten auch die eigenen Behörden auf. Frankreich will die Pillen, die den umstrittenen Wirkstoff enthalten, künftig nicht mehr erstatten und so den Absatz eindämmen.

Für die erkrankte Tierärztin Rohrer dürfte das zumindest ein kleiner Triumph sein. Sie hat sich mit anderen Frauen zur Selbsthilfegruppe Drospirenon-Geschädigter zusammengeschlossen. Der Wirkstoff Drospirenon steht unter dem Verdacht, Blutgerinnsel auszulösen oder zu begünstigen. Auf der in der Farbe rosa gehaltenen Internetseite namens Risiko-Pille beschreiben viele Frauen ihre Leidensgeschichten. Rechtsanwalt Martin Jensch vertritt inzwischen sieben Mandantinnen, aber die Manager des Pharmakonzerns Bayer machen es ihm nicht leicht. "Deren Strategie ist klar, die mauern", behauptet der Jurist.

"Mit einem freiwilligen Einlenken von Bayer ist nicht zu rechnen"

Bayer selbst hält sich zu den aktuellen Entwicklungen bedeckt. Zwar seien Nebenwirkungen bekannt, heißt es in einer Stellungnahme, aber selten. "Mythos Einzelfall", kontern Rohrer und die Geschädigten und verweisen auf die Schicksale, die die Geschädigten selbst im Internet preisgeben. Philipp Mimkes von den Bayer-Kritikern CBGnetwork nennt das Verhalten des Pharmaunternehmens zynisch. "Mit einem freiwilligen Einlenken von Bayer ist nicht zu rechnen, solange die Entschädigungen nicht die Gewinne durch den Verkauf übersteigen", glaubt er.

Schadenersatzklage gegen Bayer: Diane-35, ein Verhütungsmittel des deutschen Pharmakonzerns Bayer, ist ins Visier französischer Behörden geraten. Vier Todesfälle werden mit dem Medikament in Verbindung gebracht.

Diane-35, ein Verhütungsmittel des deutschen Pharmakonzerns Bayer, ist ins Visier französischer Behörden geraten. Vier Todesfälle werden mit dem Medikament in Verbindung gebracht.

(Foto: AFP)

Im Geschäftsbericht des Pharmaunternehmens ist nachzulesen, dass mit den Pillen Yaz, Yasmin und Yasminelle im Jahr 2011 ein Umsatz von 1,1 Milliarden Euro erzielt wurde. Die Pillen dürfen noch bis 2020 unter Patentschutz, also zum frei gesetzten hohen Preis, vermarktet werden. Höhere Schadensersatzforderungen müssen die Pharmaunternehmen generell in den USA befürchten, wo Sammelklagen fast die Regel sind. Dort stellten bis Mitte Oktober 13.500 Frauen Ansprüche. Mit 3490 Klägerinnen hatte sich Bayer verglichen und eine Gesamtsumme von 750 Millionen Dollar gezahlt. Im dritten Quartal hat das Unternehmen dafür 205 Millionen Euro in seiner Bilanz berücksichtigt.

Die Rechtsrisiken der Pharmaunternehmen werden auch von Fachleuten vor allem in den USA als hoch eingestuft. Dort gab es bisher zehn Fälle jenseits der Grenze von einer Milliarde Dollar (siehe Tabelle). In den wenigsten Fällen ging es dabei um medizinische Ursachen, sondern meist um illegale Verkaufspraktiken. Matthias Schell, Analyst der Landesbank Baden-Württemberg, sieht zwar in der gesamten Pharmabranche ein zunehmendes Rechtsrisiko. Im Verhältnis zur Größe der Konzerne sei dieses trotz teilweise hoher Summen auch künftig beherrschbar. Mit anderen Worten: Die Medikamentenhersteller verdienen so viel, dass sie Rechtsansprüche gut wegstecken.

Bayer verweist auf die Verantwortung der Ärzte

Die Antibaby-Pillen der dritten und vierten Generation würden auch mit irreführenden Argumenten vermarktet, behaupten die Kritiker. Sie würden speziell bei jungen Frauen damit beworben, dass sie übermäßige Behaarung und Pickel verschwinden lassen und auch keine Gewichtszunahme nach sich ziehen, anders als Pillen der ersten und zweiten Generation.

Bayer beschränkt sich bei seinen Hinweisen im Internet auf medizinische Hinweise zu seinen Kombinationspillen mit dem Wirkstoff Drospirenon. Dieses sei dem natürlichen Gelbkörperhormon des weiblichen Körpers sehr ähnlich. Deshalb wirke es Wassereinlagerungen im Körper und den damit verbundenen Symptomen entgegen. "Heute sind Pillen mit dem Wirkstoff Drospirenon die weltweit am häufigsten verschriebenen Präparate zur oralen Empfängnisverhütung", sagt Bayer ohne Umschweife. Das Pharmaunternehmen weist auch ausdrücklich darauf hin, dass Antibaby-Pillen verschreibungspflichtig sind. Indirekt wird auf die Verantwortung der Ärzte verwiesen, die ihre Patientinnen zumindest über mögliche Risiken aufklären müssten, wenn nicht von Fall zu Fall unterschiedliche Präparate verordnen sollten.

Warnungen vor einem erhöhten Thromboserisiko sind selbst in Deutschland nicht neu. Zum Beispiel hat sich das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) bereits im Dezember 2011 kritisch geäußert: "Aus unserer Sicht sollte auch in Deutschland das Risiko einer venösen Thromboembolie bei kombinierten oralen Kontrazeptiva zunehmend beachtet und bei der Entscheidung für das geeignete Präparat insbesondere bei der Erstanwendung und bei jungen Patientinnen einbezogen werden", schrieben die Fachleute damals.

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