Scarpa:Läuft doch

Scarpa

Seit 82 Jahren stattet der Schuhhersteller Scarpa aus dem italienischen Asolo Gipfelstürmer, Extremsportler, Climbing- und Trekkingfreunde aus.

(Foto: Mathis Dumas/Scarpa)

Im Frühling waren die Fabriken des italienischen Berg- und Skischuhherstellers Scarpa 80 Tage lang dicht. Jetzt bleiben auch noch die Pisten zu. Doch das Familienunternehmen profitiert von einem anderen Trend.

Von Ulrike Sauer, Rom

Wandern, laufen, klettern - die Familie Parisotto lebt vom Bewegungsdrang der Menschen. Mehr als eine Million Bergschuhe stellte ihr Traditionsunternehmen Scarpa, gelegen in Asolo am Fuß des Monte Grappa, 2019 her. Seit Jahren läuft das Geschäft bestens. "Kein Ort ist zu fern", lautet die Markenbotschaft der Italiener.

In Zeiten der Pandemie klingt das Motto allerdings ziemlich weit weg von der Lebensrealität. Am südlichen Rand der Dolomiten, von wo aus Scarpa seit 82 Jahren Gipfelstürmer, Extremsportler, Climbing- und Trekkingfreunde ausstattet, sind die Alpen zwar zum Greifen nah, für viele Wintersportler aber derzeit in unerreichbarer Ferne. In den meisten Ländern Europas wird es Skiurlaub vorerst nicht geben. Für Sandro Parisotto, 61, ist das dennoch kein Grund sich aufzuregen. "Natürlich freuen mich die Verbote nicht, aber die Folgen für Scarpa sind minimal", sagt der Unternehmer aus dem Veneto.

Parisotto, ein Spross der zweiten Generation des Outdoor-Spezialisten, ist ein typischer Vertreter des italienischen Familienkapitalismus. Flexibel, innovativ, exportstark. Sein Unternehmen bietet 180 Produkte an, investiert fünf Prozent der 110 Millionen Euro Umsatz in die Forschung. Im Frühjahr waren die Fabriken 80 Tage geschlossen. Parisotto hatte seine 1500 Mitarbeiter schon vor dem Lockdown nach Hause geschickt. Als die Herstellung im Mai langsam wieder anlief, fehlten 30 Prozent der Jahresproduktion. Heute sagt der Firmeneigentümer: "Man muss positiv denken, gerade in kritischen Lagen."

Ein irischer Adliger gründete die Firma

Ihm scheint das nicht schwerzufallen, trotz der heftigen zweiten Infektionswelle und der Schließung der Wintersportgebiete. Zum einen hat Scarpa viele Waren längst ausgeliefert. Doch es gibt auch einen Trend, den Parisotto seit dem Ausbruch der Corona-Krise beobachtet. Einen Trend, der ihn optimistisch macht: "Es gehen immer mehr Leute wandern", sagt er. Statt weit zu fahren, entdeckten die Menschen ihre Heimat. Gerne auch zu Fuß.

Optimismus gehört seit den Ursprüngen des Unternehmens zu Scarpa. Das Unternehmen wurde 1938 von Lord Rupert Edward Cecil Lee Guinness gegründet. Der Adlige aus der irischen Bierbrauerfamilie hatte sich am Fuß der Alpenkette in Asolo, der "Stadt der hundert Horizonte", niedergelassen. Er bezog dort die Villa der Schauspiel-Diva Eleonora Duse und legte sich Ländereien in den sanften Hügeln rund um den 1775 Meter hohen Monte Grappa zu. Um der damals bitterarmen Gegend einen industriellen Impuls zu geben, eröffnete Lord Guinness gemeinsam mit dem Pfarrer und dem Bürgermeister eine Schuhfabrik. Das Trio entschied sich für den Firmennamen "Società Calzaturieri Asolani Riuniti Pedemontana Anonima" - abgekürzt Scarpa, das italienische Wort für Schuh. 1956 verkaufte der Lord die Firma dann an Parisottos Onkel, der eine kleine Schuhfertigung besaß.

Scarpa

"Die Kunden waren vielleicht einfach der Modeschuhe überdrüssig", sagt Scarpa-Chef Sandro Parisotto.

(Foto: oh)

Scarpa stellte damals im Jahr 10 000 Paar Bergschuhe her. Anfang der Neunzigerjahre stieg die zweite Generation in das Unternehmen ein, trieb die Eroberung der internationalen Märkte voran und investierte kräftig in Produktinnovationen. 80 Prozent der Schuhe für Trekking, Freeclimbing, Skitouren und Bergsteigen werden exportiert. Deutschland ist nach den USA der zweitgrößte Markt von Scarpa.

Das Unternehmen schlug sich auch im Krisenjahr 2020 wacker. Während des langen Lockdowns sprang Scarpa für den Staat ein und überwies den Mitarbeitern das Kurzarbeitergeld, denn die Nothilfen der Regierung kamen erst nach Monaten bei den Empfängern an. Nach dem Neustart glich man dann den Produktionsausfall im Sommer größtenteils aus. Die Ferienorte in den Bergen erlebten eine Traumsaison - wegen des Coronavirus. Nach der Ausgangssperre zog es auch Strandurlauber in die frische Höhenluft. Um die Nachfrage zu befriedigen, ließ Scarpa im August die Werksferien ausfallen. "Die Pandemie hat den Menschen die Berge nahegebracht", sagt Parisotto. Am Jahresende wird sich der Geschäftsrückgang wohl auf zehn Prozent reduziert haben. Damit steht Scarpa gut da. Italiens Mode- und Lederwarenbranche brach 2020 ein Drittel des Umsatzes weg.

In der Firma sträubte man sich lange gegen einen Freizeitschuh. Der ist heute das erfolgreichste Modell

Die Covid-Krise erwischte das expandierende Familienunternehmen aus Asolo mitten im Umbau. Sandro Parisotto hatte sich vor zwei Jahren als Vorstandschef zurückgezogen und mit dem früheren Geox-Manager Diego Bolzonello als Nachfolger erstmals einen Mann von außen geholt. Zusammen mit seiner Schwester Cristina und dem Cousin Davide kaufte er 2019 zwei Vettern die Anteile ab. Die Rundumerneuerung des Markenauftritts wurde im vergangenen Sommer abgeschlossen. "Wir wollten unsere Organisation dem Firmenwachstum anpassen", sagt Parisotto.

Der Bergsport-Ausstatter ist mittlerweile auch abseits der Natur präsent. Als in der City derbe Wanderschuhe plötzlich angesagt waren, machte sich Scarpa auch als Lifestyle-Marke einen Namen. Hiking Boots gelten ja in Großstädten wie München, Mailand und London längst als stylish - besonders zum verträumten Blümchenrock oder der Herrenhose aus Wolltuch. Urban Outdoor nennt man so was. Nach der Devise: Richtig cool ist ein Outfit, das nie versucht hat, cool zu sein. Wie der Wanderschuh eben. "Die Kunden waren vielleicht einfach der Modeschuhe überdrüssig", sagt Parisotto. Scarpa jedenfalls holte die festen Treter schon 2008 von den Bergen runter und brachte eine leichtere, bequemere Version des Schnürschuhs auf den Markt: den Mojito - der heutige Bestseller.

Die Entwickler in Asolo hatten sich anfangs gegen das Projekt gesträubt. Gewöhnlich stützen sie sich beim Austüfteln neuer Modelle auf die Erfahrungen der Spitzensportler. Nun sollten sie die Sohle eines Bergwanderschuhs mit dem Schaft eines Schuhs für Kletteranfänger vereinen. Der Kampf im Unternehmen endete erst, als das Lifestyle-Modell sich völlig unerwartet als Riesenerfolg entpuppte. Seine weit nach vorn gezogene Schnürung macht heute den unverkennbaren Scarpa-Look aus. Auf den exotischen Namen war Cristina Parisotto gekommen. Als sie den fertigen Prototyp sah, sagte sie: "Den Schuh zieht man an, um einen Mojito trinken zu gehen".

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