PIPERS WELT:Verpfeifen hilft

PIPERS WELT: An dieser Stelle schreibt jeden zweiten Freitag Nikolaus Piper. Illustration: Bernd Schifferdecker

An dieser Stelle schreibt jeden zweiten Freitag Nikolaus Piper. Illustration: Bernd Schifferdecker

Die Affäre um Provisionen für die Vermittlung von Corona-Masken ist ein guter Anlass, um sich mit der ökonomischen Theorie der Korruption zu befassen.

Von Nikolaus Piper

Deutschland ist eines der am wenigsten korrupten Länder der Erde. Nach dem Korruptionswahrnehmungsindex (CPI), den die Organisation Transparency International regelmäßig veröffentlicht, lag die Bundesrepublik 2020 zusammen mit Luxemburg auf Platz neun (von 179) - hinter den nordischen Ländern, Neuseeland, Singapur, den Niederlanden und der Schweiz, aber deutlich vor Frankreich und den USA. Umso interessanter ist es, wenn in diesem Deutschland doch einmal etwas passiert.

Womit wir bei Alfred Sauter und Georg Nüßlein wären. Der frühere bayerische Justizminister und heutige Landtagsabgeordnete - er hat inzwischen die CSU-Fraktion verlassen - und der CSU- Bundestagsabgeordnete aus Neu-Ulm sollen ihre politische Position genutzt haben, um für die Promotion von Corona-Masken direkt (Nüßlein) oder indirekt (Sauter) Provisionen zu kassieren. Beide bestreiten, korrupt gehandelt zu haben. Sollten die Vorwürfe aber stimmen, wären das klassische Fälle, wie sie die ökonomische Theorie der Korruption behandelt: Korrumpierter und Korrumpeur setzen einen Preis durch für etwas, das eigentlich keinen Preis haben dürfte (der Zugang zur Regierung). Irgendjemand muss diesen Preis am Ende zahlen, im Ernstfall sind es die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler, weil die Masken teurer werden, als sie sein müssten, oder weil günstigere Alternativen verdrängt wurden.

Jedenfalls ist die Maskenaffäre ein guter Anlass, um sich den Umgang der Volkswirtschaftslehre mit dem Problem der Korruption etwas genauer anzusehen. Vorteil der Theorie ist es, dass sie sich nicht mit Klagen über die Gier der Menschen oder die Verwerflichkeit von Schmiergeld und Vorteilsnahme aufhält, sondern kühl und empirisch vorgeht: Wie entsteht Korruption? Was kostet sie? Wodurch wird sie begünstigt? Wie bekämpft man sie am effektivsten? Das bahnbrechende Buch zu dem Thema ("Corruption and Government") schrieb die Yale-Professorin Susan Rose-Ackerman bereits 1999; seither haben die Forschung ebenso wie der Kampf gegen Korruption große Fortschritte gemacht. Neue Erkenntnisse der Verhaltens- und der Institutionenökonomik spielten dabei eine Rolle, vor allem aber die Erkenntnis, wie sehr Korruption die Länder der Dritten Welt und des ehemaligen Sowjetblocks daran hinderte, ihr ökonomisches Potenzial zu entwickeln. Was nicht bedeutet, dass sich alle Ökonomen einig gewesen wären. Der Nobelpreisträger Gary Becker etwa glaubte, dass Korruption in schlecht regierten Ländern auch positiv wirken könne. Die Sowjetunion, so schrieb er, habe dank Schmiergeld bessere Ergebnisse erzielt, als wenn sich alle Beamten an die Gesetze gehalten hätten. Verhaltensökonomen halten diese Theorie heute meist für falsch.

Das wichtigste Instrument im Kampf gegen Korruption ist Transparenz. Regierungen sollten genaue Regeln dafür festlegen, wie sie Aufträge vergeben. Große Unternehmen brauchen Verhaltensregeln ("Compliance"). Wer Übeltäter verpfeift ("Whistleblower") muss ermutigt und geschützt werden; Interessenvertreter, die Zugang zum Parlament und zu Behörden haben wollen, müssen sich registrieren. Das ist die Logik hinter dem "Lobbyregister", das der Deutsche Bundestag im vorigen Monat beschlossen hat. Die Organisation Transparency International wurde 1993 in diesem Geiste gegründet. Ins Leben gerufen wurde TI von dem deutschen Manager Peter Eigen, des als Direktor der Weltbank erfahren hatte, wie verheerend sich Korruption in Entwicklungsländern auswirkt.

"Sauter und Nüßlein haben ihre politische Existenz zerstört - das ist die maximale Sanktion."

Aber auch die Sache mit der Transparenz ist nicht so einfach. Einer der führenden Korruptionsforscher Deutschlands ist der Wirtschaftsprofessor Johann Graf Lambsdorff von der Universität Passau. Er glaubt, dass man es mit den Regeln auch übertreiben kann. Bis ins Letzte ausgefeilte Ausschreibungen und Compliance-Systeme könnten dazu führen, dass der Kampf gegen Korruption die Produkte, um die es geht, unverhältnismäßig teuer macht. Ein Beispiel sei das Beschaffungswesen der Bundeswehr. "Die Unternehmen können es sich oft gar nicht mehr leisten, die endlos langen Ausschreibungen, etwa für einen neuen Kampfhubschrauber, auszufüllen." Lambsdorff will die Korruption bekämpfen, indem er an die "intrinsische Motivation" der Menschen appelliert. Zu viele allgemeine Regeln könnten das "reziproke Verhältnis" zwischen Bestecher und Bestochenem verstärken und "Schweigekartelle" begünstigen. Stattdessen sollte die Verantwortung der Einzelnen gestärkt werden.

In der Maskenaffäre habe ihn gestört, dass sofort eine Verbindung zum Lobbyregister gezogen wurde, sagt Lambsdorff. Beides habe nichts miteinander zu tun, manche Korruptionsfälle könnten auch durch noch mehr Transparenz nicht verhindert werden. "Stattdessen hätte ich mir gewünscht, dass jemand aus der Fraktion sofort Strafanzeige gestellt hätte." Aber auch so sei das Ergebnis ermutigend: "Sauter und Nüßlein haben ihre politische Existenz zerstört - das ist die maximale Sanktion." Dazu kommt, dass Korruptionsfälle typischerweise kurz vor Wahlen bekannt werden, wie der Ökonom Niklas Potrafke vom Ifo-Institut herausgefunden hat. "Mich hat es überhaupt nicht überrascht, dass die Affäre kurz vor den Landtagswahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz ans Tageslicht kam", sagt er. Ein Einbruch der Union in der Wählergunst war die Folge.

Die Maskenaffäre könnte also gezeigt haben, dass Korruption, wenn sie denn herauskommt, hierzulande schnell und hart bestraft wird. Das ist eine Botschaft an alle, die es probieren wollen, und sie könnte dazu beitragen, dass Deutschland seinen Rang beim Korruptionsindex hält oder noch verbessert.

So gesehen hätten sich Sauter und Nüßlein um die Republik verdient gemacht.

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