SAP:Kunden statt Wachstum

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Im Herbst 2019 wurden Jennifer Morgan und Klein zu Co-Chefs von SAP ernannt, doch die Amerikanerin schied nach einem halben Jahr wieder aus. (Foto: Ralph Orlowski/Reuters)

Die neuen Chefs des Software-Konzerns SAP gehen auf Distanz zu ihrem exzentrischen Vorgänger - und wollen einen anderen Fokus legen.

Von Stefan Mayr, Walldorf

Die zwei neuen Bosse des Software-Konzerns SAP betreten gemeinsam das Podium in der Firmen-Zentrale in Walldorf. So viele Fotografen und Journalisten waren noch nie bei einer SAP-Bilanzkonferenz, obwohl der exzentrische Vorgänger Bill McDermott immer gute Stories und Bilder hergab. Diesmal aber wollen alle die erste Frau an der Spitze eines Dax-Unternehmens sehen.

Jennifer Morgan und Christian Klein bewältigen ihren ersten großen Auftritt in Deutschland souverän. Er, der Deutsche, übersetzt für sie, die US-Amerikanerin, die Zurufe der Fotografen, auf dass alle Wünsche akkurat erledigt werden. Die 48-Jährige und der 39-Jährige sind seit Oktober im Amt und wirken wie ein gutes Team. Ihr Auftritt passt perfekt zu ihrer Strategie: Als alleroberste Priorität haben sie ausgerufen, sehr gut zuzuhören und alle Wünsche und Beschwerden sogleich aufzugreifen. "Sie müssen Ihre Kunden in Tagen und Wochen überzeugen und halten, nicht in Jahren und Jahrzehnten", sagt Jennifer Morgan.

Damit steht das neue Führungsduo in scharfem Kontrast zum Vorgänger McDermott, dem es zuletzt vor allem um drei Dinge ging: Wachstum, Wachstum, Wachstum. Das war gut für Aktienkurs und Marktkapitalisierung, der US-Amerikaner machte die Software-Schmiede aus Baden-Württemberg mit einem Börsenwert von 150 Milliarden Euro zum größten Dax-Unternehmen und zu Europas größtem Hersteller von Unternehmenssoftware.

Doch dabei wurden die Kunden aus den Augen verloren. Die Beschwerden häuften sich, die Unzufriedenheit wuchs in beachtliche Höhen. Zuletzt sagte die Mehrzahl der Kunden auf die Frage, ob sie SAP weiterempfehlen würden: nein. Nun sind Christian Klein und Jennifer Morgan drei Monate im Amt, und sie steuern mächtig um. Zwar verlieren sie kein schlechtes Wort über Bill McDermott. Dennoch machen sie unmissverständlich klar, dass sie vieles ganz anders machen werden. "Unser Hauptfokus liegt auf der Kundenzufriedenheit", betont Jennifer Morgan.

Börsenwert hochschrauben? Ach was. Es gehe darum, die Kunden erfolgreich zu machen

Vor einem Jahr hatte Bill McDermott noch angekündigt, er werde den Börsenwert des Unternehmens auf bis zu 300 Milliarden Euro hochschrauben. Von diesem Ziel sagen Klein und Morgan kein Wort. Als sie darauf angesprochen werden, signalisieren sie eine beträchtliche Distanz: "Unser erstes Ziel ist es, unsere Kunden erfolgreich zu machen", sagt er. Die Marktkapitalisierung könne dann als Folge gerne wachsen, aber eine Zielmarke nennt Klein nicht. Und auch die Zeit der milliardenschweren Zukäufe von Firmen erklärt er für beendet. SAP setze nun auf organisches Wachstum.

Diese Aussagen kommen gut an, sowohl bei den Kunden als auch bei den Analysten. Die Schweizer Bank UBS konstatiert eine "erfrischende Offenheit" der neuen Spitze darüber, wo sich SAP verbessern kann. Früher, unter Bill McDermott, war alles perfekt und großartig in der Firma, die so viele andere Unternehmen mit Software beliefert. Jetzt sagt Christian Klein: "Unser Geschäft hört nicht mehr mit dem Verkauf der Produkte auf." Vielmehr wolle er "mit den Kunden auf die letzte Meile gehen".

Die Geschäftszahlen des Unternehmens sind positiv: Der Umsatz stieg 2019 um neun Prozent auf 27,6 Milliarden Euro an, der um Sondereffekte bereinigte operative Gewinn kletterte um elf Prozent auf 8,2 Milliarden und die operative Rendite verbesserte sich um 0,6 Prozentpunkte auf 29,6 Prozent. Damit schloss SAP das Geschäftsjahr ab wie versprochen und wie von Analysten erwartet.

Mirko Maier von der LBBW lobt Klein und Morgan: "Es ist positiv, dass sie sich mit dem Fokus auf die Integration der Cloudlösungen an die Hausaufgaben machen, die zuvor etwas vernachlässigt wurden."

Marco Lenck, Chef der einflussreichen deutschsprachigen Anwendergruppe DSAG spricht sogar von einem "Paradigmenwechsel" in Walldorf. Die Harmonisierung der diversen eingekauften Produkte und die Vereinfachung der Implementierung seien "essentiell" für die SAP-Kunden, betont Lenck. "Wir erwarten für das Jahr 2020 erste Ergebnisse." Dieser Weg sei zwar "nicht einfach", aber er sei "verhalten optimistisch". Verantwortlich für die Lösung dieser technischen Probleme ist Christian Klein - Marco Lenck spricht dem neuen Boss "eine hohe Authentizität" zu, deshalb trauten die Kunden ihm zu, diese Baustelle abzuräumen. Bill McDermott habe einen anderen Fokus gehabt. Nun habe sich SAP zu einen Strategiewechsel entschieden, "verbunden mit einem Personalwechsel". Lenck klingt nicht so, als sei er unglücklich über die Rochade.

Das gilt auch für die Börse: Nach dem Wechsel im Oktober kletterte die Aktie von 100 Euro zuletzt auf ein Allzeithoch von 127. Dies aber nicht nur wegen McDermotts Abschied, sondern auch wegen der gleichzeitig erhöhten Margenwartungen. Am Dienstag schraubt das neue Führungsduo die Prognose nochmals hoch. Zudem kündigt Finanzvorstand Luka Mucic mehr Dividende sowie einen Zusatzbonus für die Mitarbeiter an. Dennoch sackt der Aktienkurs um mehr als zwei Prozent auf 119 Euro ab. Die Anleger hatten wohl einen noch besseren Ausblick erhofft.

© SZ vom 29.01.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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