Süddeutsche Zeitung

SAP:Der etwas andere Betriebsrat

Seit einem Jahr hat das Walldorfer Unternehmen erstmals eine Arbeitnehmervertretung. Jetzt muss der Konzern manches Geheimnis enthüllen.

Dagmar Deckstein

Bei aller Liebe zur Mitbestimmung, aber Tage wie jene im Februar und März 2006 möchten Ralf Kronig und Eberhard Schick nicht unbedingt noch einmal erleben.

Flammende, kämpferische Mails haben sie bekommen mit üblen Beschimpfungen ("Haut doch ab, ihr passt nicht zu SAP"), Buhrufe, Pfiffe, Schmähungen auf einer Belegschaftsversammlung, Drohungen von Vorgesetzten, sich bloß nicht zur Wahl aufstellen zu lassen. Alles Schnee von gestern. "Aber na ja", sagt Kronig, "man wächst ja auch daran, wenn man solche Krisenzeiten überstanden hat."

Der Aufruhr, den Schick, Kronig und die Handvoll ihrer gewerkschaftsnahen Mitstreiter vor noch gar nicht langer Zeit beim Softwarekonzern SAP verursachten, beschäftigte die deutsche Wirtschaftswelt über Wochen.

Mit Händen und Füßen wehrten sich die überwiegende Mehrheit der deutschen Mitarbeiter und das Top-Management gegen das Ansinnen der kleinen Truppe, im einzigen betriebsratsfreien Dax-Konzern ein solches Mitbestimmungsgremium zu installieren. Das passe nicht zur Konsenskultur des Unternehmens, hieß es. Und von den Gewerkschaften IG Metall und Verdi fremdbestimmt zu werden, komme schon gar nicht in Frage.

Im Aufsichtsrat ohne Chance

Nun arbeitet der Betriebsrat bereits mehr als ein Jahr zusammen - immer besser, doch nicht ohne Differenzen. Die Ressentiments scheinen sich erst langsam zu legen. Einiges ist seitdem bei SAP aber schon anders geworden. Und alle lernen dazu.

Eberhard Schick, 39, Ralf Kronig, 43, und Johannes Reich, 40, die einstigen Buhmänner der Belegschaft, sind als gewerkschaftlich organisierte Minderheit in dem Gremium. Kronig und Schick haben es jedoch vorgezogen, die Reporterin nicht bei SAP, sondern in einem Walldorfer Café zu treffen.

Der promovierte Physiker Schick bewarb sich 1998 bei SAP, "weil ich in der Zeitung gelesen hatte, dass man dort keine Krawatte tragen müsse". Unter Mitgliedschaften gibt er in seinem Lebenslauf an: Evangelische Kirche, Mieterverein Heidelberg, SPD, IG Metall. Kronig, Vater von vier Kindern, studierte als Bankkaufmann auf dem zweiten Bildungsweg Wirtschaftswissenschaften und ist bei SAP seit 1996 als Personalentwickler tätig.

Ganz anders werden sich später die beiden Betriebsratsvorsitzenden Helga Classen, 57, und Klaus Gassmann, 58, präsentieren. Sie bitten in einen Konferenzraum des Unternehmens - eskortiert von einer Vertreterin der Abteilung Unternehmenskommunikation.

Ein absolut unübliches Verfahren für ein mitbestimmtes Unternehmen, kein Betriebsrat eines Dax-Konzerns lässt es normalerweise zu, dass die Presseabteilung des Unternehmens bei Gesprächen mit Journalisten zuhört. Aber das passt zu der schon zum Mythos erhobenen SAP-Kultur des möglichst konfliktlosen Miteinanders über alle Hierarchieebenen hinweg.

Auf die hatten damals im heißen Frühjahr 2006 auch die Unternehmensgründer und Großaktionäre Hasso Plattner und Dietmar Hopp abgehoben mit ihrer Gegenoffensive contra Betriebsrat. Das Betriebsverfassungsgesetz und SAP passten einfach nicht zusammen, sagte Plattner. Und Hopp assistierte: "Ein von der IG Metall bestimmter Betriebsrat wird die Erfolgsgeschichte von SAP in Gefahr bringen". Er drohte sogar mit der Verlegung der Konzernzentrale aus dem mitbestimmten Deutschland.

Mit der Konsenskultur innerhalb des jüngst gewählten Betriebsrats ist das indes so eine Sache. Die "drei Musketiere" von der IG Metall, die einst den Anstoß für die Betriebsratswahl gaben, werden nach wie vor skeptisch beäugt von den 34 übrigen Gremiumsmitgliedern, die unter blumigen Listennamen wie "Wir für Dich" oder "Menschenverstand, Unternehmenskultur, Transparenz" angetreten waren, dem Gewerkschaftslager das Wasser abzugraben.

Und wo in anderen Konzernen jahrzehntelange Erfahrung mit betrieblicher Mitbestimmung besteht, betraten die SAPler ungewohntes Neuland, mussten sich mit dem manchmal bürokratischen Prozedere in einem durchaus auch politischen Gremium erst anfreunden. "Es war schon ungewohnt, wie stark Politik, Formalismus und Ideologie die Betriebsratsarbeit bestimmen", sagt etwa Helga Classen, die 13 Jahre lang die acht Aufsichtsräte von der Arbeitnehmerbank, einer Art "Betriebsrat light", anführte.

"Früher haben wir bei SAP Probleme individuell gelöst, da ging es um die Sache, nicht um Politik", sagt die frühere Englischlehrerin, die später auf Programmiererin umschulte. Heute lösten solche Probleme eine Flut von Anträgen im Betriebsrat aus.

Etwa die Sache mit den Gehältern. Da hatten die drei Metaller darauf gedrungen, die konzerninternen Gehaltsstufen für die Mitarbeiter transparent zu machen. Der Rest-Betriebsrat lehnte das ab, die SAP-Spitze wollte die Offenlegung gar gerichtlich untersagen lassen - ohne Erfolg.

Jetzt kann jeder Mitarbeiter sehen, dass SAP seine Mitarbeiter in 15 Gehaltsgruppen bezahlt, die je nach Tätigkeit von 18 791 Euro bis 214 548 Euro Jahresgehalt reichen und unterschiedliche variable Anteile enthalten. Für Schick und Kronig ein "Sieg über den alten Ungeist, Dinge unter der Decke zu halten". Weniger Fortune hatten die Gewerkschaftler bei der Aufsichtsratswahl im April, wo ihre externen Kandidaten glatt durchfielen.

Obwohl sich IG Metall und Verdi - eine Seltenheit - auf zwei gemeinsame Kandidaten geeinigt hatten: ein Professor für Arbeitsrecht und der Geschäftsführer einer Consultingfirma, die nicht die Anmutung von Gewerkschaftsfunktionären ausstrahlten.

Die beiden Gewerkschaften halten sich bei SAP bewusst sehr diskret im Hintergrund, um die Furcht vor der Fremdsteuerung nicht noch zu nähren. Und die nicht gewerkschaftlich orientierte Mehrheit im Betriebsrat wächst langsam in ihre Rolle hinein.

Bei aller Konsenskultur findet es Helga Classen "gar nicht so schlecht", dass durch formale Vorgaben der Betriebsverfassung Prozesse klarer definiert würden. So lobt sie etwa die Vorschrift, dass neue Stellen auch hausintern auszuschreiben sind.

Schick wiederum sagt: "In der Betriebratsarbeit hat sich gezeigt, wie wenig SAP-Mitarbeiter mit demokratischen Prozessen vertraut sind." Ein Betriebsrat sei "eben etwas anderes als ein Business-Meeting, wo alle mitreden und am Ende der Chef entscheidet", sekundiert Kronig.

Inzwischen haben die drei von der Gewerkschaftsliste "Pro Betriebsrat" eine DGB-Betriebsgruppe gegründet, für die sich aber gerade mal 50 von den 6000 Beschäftigten in Walldorf interessieren.

Es solle eine ganz normale Sache werden, "dass sich bei SAP ein paar Leute gewerkschaftlich organisieren", sagt Schick. Irgendwann, hofft der Gewerkschaftler, werden auch die letzten Reste des bei SAP einst weitverbreiteten Vorurteils ausgeräumt sein, dass Mitbestimmung nur etwas für Leute sei, die sich schwach fühlen und den Arbeitgeber als Gegner empfinden.

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Quelle:
SZ vom 21.7.2007
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