Das hatte sich Eckhard Cordes anders vorgestellt. 2014 war der Manager als Chef des Ost-Ausschusses der Deutschen Wirtschaft wiedergewählt worden. Damals war er schon aus dem Chef-Büro des Handelskonzerns Metro ausgezogen und hatte Zeit für die Interessenvertretung der deutschen Unternehmen in den Ländern Osteuropas und Zentralasiens. Doch die durch den Ukraine-Konflikt wachsenden Spannungen zwischen Russland und dem Westen machten die Aufgabe aufreibender als früher. Inzwischen ist der langjährige Daimler-Manager über seine Beteiligung an zwei Finanzinvestoren bei Krisenkonzernen wieder stark eingespannt. Deshalb, sagt Cordes, gebe er zum Jahresende den Chefposten ab. Zeit für eine Bilanz.
SZ: Herr Cordes, Ihre Amtszeit als Vorsitzender geht nach fünf Jahren zu Ende. Sind Sie gescheitert?
Eckhard Cordes: Wie kommen Sie darauf? Nein!
Nun, es heißt, Sie seien nicht freiwillig gegangen, es habe Druck aus dem Kanzleramt gegeben, den Posten zu räumen.
Das ist falsch. Ich gebe das Amt ab , weil ich beruflich wieder extrem stark eingespannt bin und mit 65 Jahren nicht mehr sechs Tage die Woche arbeiten will.
Sie haben sich mit Ihrer lauten Forderung, die Sanktionen gegen Russland zu beenden, gegen Bundeskanzlerin Angela Merkel gestellt. War das klug?
Ich habe in der Öffentlichkeit eine Meinung vertreten, die nicht immer der offiziellen Haltung der Bundesregierung entsprach. Das ist aber meine Aufgabe als Interessenvertreter der Wirtschaft. Wir haben aber keine Obstruktion betrieben, sondern von Anfang an gesagt, dass wir das Primat der Politik anerkennen. Wir haben übrigens auch nicht gefordert, die Sanktionen sang- und klanglos aufzuheben, sondern deren politische Wirksamkeit hinterfragt, auf die negativen Folgen für die deutsche Wirtschaft hingewiesen und einen Einstieg in den Ausstieg aus dem Sanktionsregime parallel zu Fortschritten im Minsk-Prozess gefordert.
Die Kanzlerin soll darüber verstimmt gewesen sein, dass sie kritische Äußerungen von Ihnen in der Zeitung gelesen hat und von Ihnen vorher nicht informiert worden war.
Ich muss als Vorsitzender des Ost-Ausschusses öffentliche Äußerungen nicht vorher mit dem Kanzleramt abstimmen.
Ist es zulässig, als exponierter Vertreter der Wirtschaft seine Stimme in der Öffentlichkeit zu erheben, auch wenn sie in Teilen von der offiziellen Regierungsmeinung abweicht?
Selbstverständlich. Wenn die Verbände immer die Regierungslinie vertreten würden, könnten wir sie abschaffen. Es ist Aufgabe des Ost-Ausschusses und anderer Wirtschaftsverbände, die Politik auf die negativen Folgen politischer Entscheidungen hinzuweisen. Die Sinnhaftigkeit der Sanktionen wurde jetzt ja auch von Politikern des Regierungslagers wie Bundeswirtschaftsminister Gabriel oder dem bayerischen Ministerpräsidenten Seehofer in Frage gestellt. Der Ost-Ausschuss ist mit seiner Position also keineswegs isoliert.
Müssen Lobbyisten nicht diplomatisch sein, wenn sie etwas erreichen wollen?
Mir gefällt das Wort Lobbyist nicht, das verkürzt die Sache. Europa ist der natürliche Partner Russlands, politisch wie wirtschaftlich, und das Gleiche gilt umgekehrt. Wir haben ein Höchstmaß an Komplementarität und eine enge Verflechtung unserer Volkswirtschaften. Wir haben mit Russland einen riesigen Markt in unserer Nachbarschaft, den wir bedienen können, und Russland wird auf mittlere Sicht unser wichtigster Energielieferant bleiben. Ich halte eine Politik, die Russland in die Ecke drängt, für langfristig falsch. Ein isoliertes und wirtschaftlich angeschlagenes Russland wird kein einfacherer Partner sein.
Aber der Ostausschuss hat wegen des öffentlich ausgetragenen Streits an Einfluss verloren.
Das sehe ich nicht. Man gewinnt Einfluss nicht dadurch, dass man immer die Meinung des anderen vertritt, sondern dadurch, dass man gute Argumente vorbringt und seine Position überzeugend erklärt. Wir haben aber, wie gesagt, das Primat der Politik immer akzeptiert.
Obwohl Sie diese Politik für falsch hielten?
Obwohl wir immer massive Zweifel hatten, dass mit den Sanktionen die intendierten Ziele erreicht werden. Deutschland hat unter den Sanktionen überproportional gelitten. Die deutschen Russland-Exporte werden 2015 nur noch halb so hoch sein wie 2012. Dabei lag das Exportvolumen schon damals nur auf einem Niveau, das den deutschen Ausfuhren nach Österreich, Belgien und Tschechien entsprach. Dies zeigt das ungenutzte Potenzial des russischen Marktes für die deutsche Wirtschaft. Was Russland für seine Modernisierung braucht, kann die deutsche Wirtschaft liefern, etwa der Maschinenbau, der besonders unter den Sanktionen leidet.
Das ist doch der Preis für eine politische Entwicklung, die Bundesregierung und EU-Europa so nicht akzeptieren. Was ist daran falsch?
Wir haben von Anfang an Zweifel daran geäußert, dass die Sanktionen ihr Ziel erreichen, Russland zu einer Verhaltensänderung zu zwingen. Wir haben immer darauf hingewiesen, dass die Sanktionen nicht wirksam sind, wenn andere große Wirtschaftsnationen - China, Korea, Japan, Lateinamerika - nicht mitmachen. Es beteiligen sich nur die Europäer und die Amerikaner, aber deren Handel mit Russland ist vergleichsweise gering.
Die Europäer haben außen- und sicherheitspolitisch aber auch ganz andere Interessen und Sorgen als Asiaten und Amerikaner. In der Ukraine und in den baltischen Ländern gibt es erhebliche Sorgen gegenüber dem mächtigen Nachbarn im Osten.
Diese Sorgen muss man selbstverständlich ernst nehmen, auch wenn ich sie persönlich nicht für begründet halte. Aber es ist doch sehr fraglich, ob die Sicherheit in Mittelosteuropa durch die Sanktionspolitik und die Schwächung und Isolierung Russlands größer wird. Im Übrigen schadet die wirtschaftliche Schwäche Russlands gerade der Ukraine, für die Russland der wichtigste Wirtschaftspartner und Absatzmarkt ist.
Es gab Sanktionen, die funktioniert haben. Bei Südafrika, auch beim Iran.
Aber da war die Welt sich einig. Bezüglich Russlands ist die Welt sich nicht einig. Wir zerstören mit den Sanktionen eine über viele Jahre gewachsene Vertrauensbasis. Wir treiben Russland damit in Richtung Asien und China. Künftig wird Russland seine Geschäftspartner verstärkt dort suchen.
Also fordern Sie hier Frau Merkel auf, die Sanktionen zu beenden?
Wir fordern, über den Einstieg in den Ausstieg aus dem Sanktionsregime nachzudenken. Nachdem die russische Regierung in den vergangenen Monaten Signale der Deeskalation ausgesandt hat, hätten wir uns von den EU-Regierungschefs deutlich mehr Mut gewünscht, auf Russland zuzugehen. Die Art und Weise, wie die Sanktionen von der EU nun ohne große Debatte um sechs Monate verlängert werden, ist enttäuschend. Damit wird erneut die Chance verpasst, ein Stück auf Russland zuzugehen und so wieder zu einer positiven Dynamik in den gegenseitigen Beziehungen zu kommen.