Süddeutsche Zeitung

Sanktionen:Stürzt nun der Rubel ab?

Der Westen verhängt Sanktionen gegen die russische Zentralbank. Was sich technisch anhört, könnte gravierende Folgen haben.

Von Victor Gojdka, Frankfurt

Man kann Elvira Nabiullina, 58, schnell übersehen. Die russische Notenbankchefin macht wenig Aufhebens um ihre Person, spricht stets leise und ist in der Öffentlichkeit kaum bekannt. Dennoch kürte das Magazin Euromoney sie im Jahr 2015 zur besten Notenbankerin des Jahres, nur ein Jahr später legte das britische Magazin The Banker nach. Und das Magazin Forbes setzte sie gar auf die Liste der einflussreichsten Frauen der Welt. Man könnte sagen: Nun kann Nabiullina beweisen, wie glücklich ihr Händchen als Notenbankerin ist. Nun muss sie es beweisen.

Denn nicht nur russische Geschäftsbanken sollen vom internationalen Zahlungssystem Swift abgeklemmt werden, sondern auch die russische Zentralbank höchstselbst soll mit Sanktionen belegt werden. "Wir werden ihre Vermögenswerte stilllegen", sagte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Was auf den ersten Blick technisch klingt, könnte jedoch gravierende Konsequenzen haben: Es könnte ausgerechnet Putins milliardenschwere Kriegskasse empfindlich treffen. "Das ist die wirklich nukleare Option im finanziellen Arsenal des Westens", kommentiert Russlandexperte Rob Person von der Militärakademie West Point.

In den vergangenen Jahren hat der russische Präsident schließlich eine Schatzschatulle gigantischen Ausmaßes angehäuft: Umgerechnet knapp 640 Milliarden Dollar fassen die Devisenreserven seines Landes. Dollar, Euro, Gold, chinesische Yuan, Staatsanleihen und andere Wertpapiere verzeichnet die Statistik der Devisenreserven. Was sich enorm anhört, hat aus Sicht des Kreml jedoch einen entscheidenden Schönheitsfehler: Das Geld liegt Experten zufolge mitnichten in einem großen Geldtresor in Russland, sondern vor allem bei westlichen Zentralbanken und Geschäftsbanken.

Laut Statistiken der russischen Zentralbank von Mitte Februar liegen umgerechnet rund 150 Milliarden Dollar als Bargeld oder Einlagen im Ausland, außerdem hält Russland Wertpapiere wie Staatsanleihen im Umfang von rund 310 Milliarden Dollar im Ausland - mit den neuen Sanktionen könnten sie nun in Bedrängnis geraten. "Das wird es der Zentralbank unmöglich machen, ihre Vermögenswerte zu verkaufen", schrieb Kommissionspräsidentin von der Leyen auf Twitter.

Noch sind die technischen Details der Sanktionen unklar, Experten spekulieren jedoch bereits über ihre Konsequenzen: Würde die russische Zentralbank de facto die Kontrolle über große Teile der Devisenreserven verlieren, könnte sie sie auch nicht mehr nutzen, um die Landeswährung Rubel zu stützen. Dollar oder Euro aus den eigenen Reserven verkaufen, um mit dem Geld massenhaft Rubel zu kaufen? Könnte dann unmöglich sein. Bereits in den vergangenen Tagen hatte die Zentralbank schließlich mit Interventionen am Devisenmarkt den Rubel stabilisieren müssen, nachdem Anleger ihn in Panik massenhaft loswerden wollten.

Kann die Zentralbank den Druck am Devisenmarkt jedoch nicht mehr abfedern, könnte der Rubel massiv an Wert verlieren. "Das bedeutet, dass es am Montag zu einer Katastrophe auf dem russischen Devisenmarkt kommen wird", sagte der ehemalige stellvertretende Vorsitzende der russischen Zentralbank Sergei Aleksashenko.

In der Folge könnten russische Bürger dann noch zahlreicher zu den Bankautomaten strömen und versuchen, ihr Geld in Auslandwährungen wie Dollar oder Euro zu tauschen. "Das könnte zu einem Run auf die Banken führen und möglicherweise auch zu einem Kollaps des russischen Finanzsystems", meint Russlandexpertin Elina Ribakova vom Institute of International Finance. Ob der Westen die Zentralbank jedoch so massiv in Bedrängnis bringt, ist derzeit noch unklar - möglicherweise kommen auch zielgerichtetere Sanktionen gegen die Notenbank.

Im Falle weitreichender Sanktionen wäre Russland wohl auf eine wichtige Position in seinen Währungsreserven zurückgeworfen. So hat Präsident Wladimir Putin in den vergangenen Jahren einen Goldschatz im Wert von rund 140 Milliarden Dollar angehäuft und aus Vorsicht komplett in Russland angesiedelt. Auf dieses Vermögen könnte die Zentralbank im Ernstfall zugreifen, die Frage ist nur: Wer kauft es? Im Westen dürfte sich kaum jemand dazu bereiterklären. "Als einziger Käufer könnten die Chinesen auftreten", vermutet Ex-Zentralbanker Alexsashenko. Doch ob Peking Putin tatsächlich als Retter in der Not zur Seite springt, scheint alles andere als klar.

Die russische Zentralbank hat unterdessen bereits auf die Sanktionen reagiert, indirekt immerhin. In einer Pressemitteilung verkündete sie, den Banken weiterhin ausreichend Rubel zur Verfügung stellen zu können. Interessanter fanden Experten, was die Zentralbank im Vergleich zu vorherigen Statements nicht mehr sagte: Von Stützungsaktionen für den Rubel fand sich im Statement bereits kein Wort mehr.

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