Sanktionen der Arbeitsagenturen:Hartz-IV-Empfänger werden so häufig wie nie bestraft

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Mehr als 900.000 Mal haben die Arbeitsagenturen im vergangenen Jahr Sanktionen gegen Hartz-IV-Bezieher verhängt und Leistungen gekürzt. So viele Fälle gab es noch nie. Doch lässt sich daraus ein Trend zu gestiegenem Sozialbetrug ableiten?

Sie müssen sich regelmäßig melden, werktags erreichbar sein und aktiv daran mitwirken, wieder einen neuen Arbeitsplatz zu finden: Hartz-IV-Empfänger müssen etliche Regeln einhalten. Tun sie dies nicht, können die Arbeitsagenturen Strafen verhängen, im Klartext: Die Leistungen kürzen.

Im vergangenen Jahr haben die Agenturen so viele Strafen gegen Arbeitslosengeld-II-Bezieher verhängt wie nie zuvor. "Wenn wir die Zahlen des Vorjahres vergleichen, ist die Zahl der neu ausgestellten Sanktionen um etwa zehn Prozent angestiegen", sagt ein Sprecher der Bundesagentur für Arbeit Süddeutsche.de. Er bestätigte damit einen Bericht der Bild-Zeitung.

Demnach ist die Zahl der Straffälle von 829.375 auf 912.377 gestiegen. 4,5 Millionen Hartz-IV-Empfänger gibt es in Deutschland, da erscheint die Zahl von mehr als 900.000 Strafen auf den ersten Blick recht hoch. Tatsächlich aber ist der Anteil der Hartz-IV-Empfänger, die davon betroffen sind, eher gering. Auch deshalb, weil ein Leistungsbezieher mehrmals im Jahr sanktioniert werden kann.

Der Anteil der Hartz-IV-Empfänger, die eine Strafe erhielten, war in Berlin (4,4 Prozent), Rheinland-Pfalz (4,1 Prozent) und Hamburg (3,8 Prozent) am höchsten. Am niedrigsten war der Anteil in Bremen (2,7 Prozent).

Weniger Betrugsfälle

Wie der Bundesagentur-Sprecher weiter sagt, dürfe aus den Zahlen allerdings keineswegs ein Trend zu vermehrtem Sozialbetrug herausgelesen werden. Der Grund: Mehr als zwei Drittel der Strafen beziehe sich - auf vergleichsweise harmlose - Verstöße gegen die Meldeauflagen, also etwa, wenn jemand trotz Einladung nicht beim Jobcenter erschien. 582.253 Mal wurde in solchen Fällen eine Strafe verhängt.

In 147.435 Fällen gab es Sanktionen, weil die Arbeitslosen gegen Pflichten der Eingliederungsvereinbarung verstießen, also beispielsweise ein Vorstellungsgespräch nicht wahrgenommen hatten. 138.312 Mal wurden Strafen verhängt, weil die Betroffenen die Aufnahme oder Fortführung einer Arbeit, Ausbildung oder Weiterbildungsmaßnahme verweigerten. Diese beiden Zahlen sind gegenüber dem Jahr 2010 nahezu konstant geblieben.

Die echten Betrugsfälle beim Bezug von Hartz IV seien 2011 deutlich zurückgegangen: Die BA leitete 177.500 Straf- und Bußgeldverfahren wegen Missbrauchs beim Arbeitslosengeld II ein. Das waren fast 50.000 Fälle oder knapp 22 Prozent weniger als 2010. "Die reinen Missbrauchsfälle und Betrugsfälle steigen nicht an. Wir haben überwiegend Meldeversäumnisse, das hängt auch mit der guten konjunkturellen Entwicklung zusammen", sagt der Sprecher.

Im Durchschnitt seien die Leistungen wegen der Sanktionen um 115,99 Euro im Monat gekürzt worden. Zum Vergleich: Ein alleinstehender Hartz-IV-Empfänger erhält seit dem 1. Januar 2012 pro Monat einen Regelsatz von 374 Euro, hinzu kommen die Kosten für Wohnung und Heizung. Kinder erhalten zwischen 215 und 287 Euro. Partner in sogenannten Bedarfsgemeinschaften, also etwa zwei in einer Beziehung lebende Hartz-IV-Empfänger, erhalten jeweils 337 Euro.

Die Zahlen zeigen auch, dass die durchschnittlich gezahlten Leistungen für Hartz-IV-Empfänger gesunken sind: Im Dezember bekamen die 3,3 Millionen Hartz-IV-Bedarfsgemeinschaften im Schnitt 807,29 Euro. Das ist so wenig wie nie zuvor in einem Dezember seit der Einführung des Arbeitslosengeldes II. Im Dezember 2010 lag die Hilfssumme im Schnitt noch bei 839,69 Euro, im Dezember 2006 sogar bei 870,26 Euro.

Möglicherweise liegt dieser Rückgang an der größeren Zahl von sogenannten "Aufstockern", also jenen, deren Arbeitseinkommen nicht zum Lebensunterhalt ausreicht und die deshalb zusätzlich staatliche Leistungen in Anspruch nehmen, aber nicht ihren gesamten Lebensunterhalt mit Hartz-IV bestreiten müssen.

© Süddeutsche.de/dpa/dapd/olkl - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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