Süddeutsche Zeitung

Samstagsessay:Wir müssen den Banken wieder vertrauen können

Lesezeit: 6 Min.

Ihr Image ist mies, ihr Verhältnis zur Gesellschaft zerrüttet. Das kann so nicht weitergehen. Die Banken sind zu wichtig für die Wirtschaft und unseren Wohlstand.

Ein Essay von Stephan Radomsky

Der Lärm ist verstummt. Die Demonstranten, die in ihren Occupy-Camps die Finanzdistrikte in New York, Frankfurt, London "besetzt" hatten, sind längst weg. Haben sie gesiegt? Ist das weltweite Finanzsystem sicherer und gerechter als vor dem Crash 2008? Wohl kaum. Noch immer kämpfen gerade die europäischen Banken mit ihren Altlasten, ist das Eigenkapital der Institute auf dem Kontinent viel niedriger als in Amerika und sind diese damit deutlich anfälliger für neue Krisen. Dass Italien die drittgrößte Bank des Landes mit Steuergeld vor dem Kollaps retten muss, ist das offensichtlichste Zeichen dafür, dass die Probleme nicht gelöst sind.

Die Trillerpfeifen sind dennoch verstummt, die meisten Marx-Lesekreise an den Universitäten wieder aufgelöst. Viele Demonstranten haben längst anderes zu tun, manche sind in guten Jobs und haben keine Zeit mehr für Protest-Camps. Und so fehlen die Idealisten und Visionäre, die gerade das Finanzsystem zum Besseren verändern wollen.

Immerhin hat sich ja auch einiges getan: Internationale Regulatoren und Regierungen haben den Banken umfangreiche Regeln auferlegt, und die Öffentlichkeit schaut heute viel aufmerksamer auf die Branche als früher. Nur neues Vertrauen geschaffen hat das nicht. Gerade noch drei Prozent der Deutschen zählen Bankangestellte zu den fünf Berufsgruppen, die sie am höchsten schätzen. Sogar Politiker schneiden da mit sechs Prozent vergleichsweise gut ab.

Der rücksichtslose Investmentbanker hat als Vorbild für BWL-Studenten ausgedient, spätestens seit der Finanzkrise gilt er nicht mehr als Macher, sondern als "Bankster". Seinen Platz hat der Gründer eingenommen, der nicht nur Geld verdienen, sondern möglichst auch noch die Welt verbessern will.

Derweil haben sich Banken, Politiker und Gesellschaft heillos in ihre Widersprüche verstrickt. Eine gemeinsame positive Vorstellung davon, was Banken leisten sollen und vor allem wie, sie fehlt immer noch. Genau darauf aber wäre eine arbeitsteilige und vernetzte Gesellschaft angewiesen. Sie braucht vertrauenswürdige Banken und Börsen, die Kapital bei Sparern und Anlegern einsammeln, es bündelt und dorthin verteilt, wo es gebraucht wird.

Die Geschäfte sollen moralisch sauber sein - aber eine Rendite wäre auch schön

Eigentlich sah es ganz gut aus, damals nach der Finanzkrise: "Nie wieder!", hieß es, nachdem in den USA und England, in Deutschland und Spanien Banken mit dem Geld der Steuerzahler hatten gerettet werden müssen. Weniger riskant sollten die Geschäfte deshalb werden und die Institute zugleich widerstandsfähiger gegen Krisen. Außerdem wuchs der moralische Druck auf die Institute. Viele einträgliche Geschäfte, die früher ganz normal waren, sind seither verpönt. Durchaus zu Recht.

Denn über Jahre hinweg haben die Banken durch übersteigertes Profitstreben und falsche Anreizsysteme, durch Verantwortungslosigkeit und Boni-Exzesse zuerst ihren Ruf und dann noch fast die Weltwirtschaft ruiniert. Dass sich bei einigen der Beteiligten seitdem auch nicht viel an Einsicht eingestellt hat, beweisen die immer neuen Skandale bei der Deutschen Bank ebenso, wie die von der Wall Street angestoßene Rücknahme des Dodd-Frank-Act, eines amerikanischen Gesetzes, das eigens geschrieben worden war, um einen neuerlichen Kollaps zu verhindern.

Wie groß zugleich die Schwierigkeiten der Institute heute sein müssen, zeigen ihre Aktienkurse: Der Euro Stoxx Banks, ein Index, der die wichtigsten Institute in Europa zusammenfasst, notiert wieder so niedrig wie im März 2009 - und das, obwohl die Börsen beiderseits des Atlantiks immer neue Rekorde markieren und Europa ökonomisch so gut dasteht wie seit einem Jahrzehnt nicht: Zum ersten Mal seit 2007, so nimmt die EU-Kommission an, ist jede der 28 Volkswirtschaften in der Union vergangenes Jahr gewachsen; und so soll es 2017 und 2018 weitergehen.

Trotzdem misstrauen die Anleger - die meisten von ihnen selbst Profis aus der Finanzbranche - den Banken offensichtlich so sehr wie zu schlimmsten Krisenzeiten. Kapital an den Märkten einzusammeln ist für die Institute deshalb extrem schwierig. Zugleich versuchen sie ihre Kurse zu stützen, indem sie Aktionäre mit Dividenden locken. Dadurch aber fließt dringend benötigtes Geld ab, das eigentlich in die Krisenvorsorge gehen müsste.

Zusätzlich verschärft sich die Lage durch das Risiko-Dilemma der Banken: Eigentlich müssten sie hohe Gewinne einfahren, um all ihre Altlasten abzubauen. Die aber sind in Zeiten von Minuszinsen bei der Europäischen Zentralbank und extrem niedrigen Renditen auf Staatsanleihen mit sicheren Anlagen nicht zu erzielen. Rendite ist im Kern nichts anderes als die Belohnung für Risiko. Umgekehrt heißt das: Sicherheit verdient kein Geld. Beides gleichzeitig aber wäre nötig, um die Anforderung, nicht nur die der Regulatoren, wirklich zu befriedigen.

Denn verzichten will kaum einer: Viele Banker wollen wieder die fetten Geschäfte machen, die Aktionäre fordern weiterhin ihre Dividende, die Sparer ein kostenloses Girokonto sowie ordentliche Zinsen, und der Politik ist der Banker als Buhmann noch immer willkommen. Das Ergebnis ist eine Gemengelage, in der widersprüchliche Interessen echten Fortschritt verhindern. Für so einen prekären Stillstand aber sind die Banken zu wichtig.

Eine erhebliche Mitschuld an dieser Zwickmühle trägt der Einzelne, der sich paradox verhält. In seiner Rolle als Bankkunde fordert er das Unmögliche: Sicherheit und Rendite, kostenlosen Service und digitale Raffinesse. Das Ergebnis eines solchen Wunschzettels ist praktisch zwangsläufig Enttäuschung. Entweder ist der Ertrag mickrig oder die Anlage eben doch nicht so bombensicher wie versprochen, entweder die Bank schließt Filialen oder sie lässt sich Konten und Karten bezahlen.

In seiner Rolle als Steuerzahler und Wähler fordert der Einzelne dabei zugleich, dass die Banken ihre riskanten Geschäfte an den Finanzmärkten zügeln. Sie haben schließlich schon beim letzten Mal in die Krise geführt. Also lieber weniger Gewinn, dafür sicher wirtschaften.

Die Wirtschaft ist komplexer, als es die Schlagworte suggerieren

Und als Staatsbürger führt er aufgeladene politische und soziale Debatten darüber, welche Geschäfte Banken überhaupt machen sollten. Da reicht es vielen nicht mehr aus, dass alles legal abläuft - die Geschäfte sollten darüber hinaus auch sozial und moralisch einwandfrei sein. Also: Energiekonzerne? Böse. Geschäfte mit Nahrungsmitteln? Böse. Immobilienkonzerne? Auch nicht gut. Die Liste ließe sich noch lange ausbauen. Was dagegen in Ordnung ist, um Rendite zu erwirtschaften, weiß kaum einer zu sagen. Und vor allem ist es eine Frage, der sich der Einzelne in seiner ersten Rolle, als Bankkunde, ohnehin nur selten stellt. Das beweisen die geringen Kundenzahlen von Ethik- und Umweltbanken.

Hinzu kommt, dass die Wirtschaft viel komplexer ist, als es die Schlagworte suggerieren. Sollte beispielsweise ein Windpark auf hoher See finanziert werden? Er erzeugt zwar umweltfreundlichen, CO₂-freien Strom, die Windräder gefährden aber womöglich auch Meerestiere und Vögel. Außerdem nutzt der Strom an der Küste wenig, wenn keine neuen Leitungen gebaut werden sollen, um ihn im Land zu verteilen. Und Börsengeschäfte mit Nahrungsmitteln sind sicher verwerflich, wenn ihretwegen aus blanker Profitgier Menschen hungern müssen. Es kann aber auch nützlich sein, wenn auf einem möglichst großen Markt möglichst viele Anbieter und Käufer den Preis für eine Tonne Weizen aushandeln. Sobald einmal klar ist, was der Weizen heute kostet, setzt allerdings auch das Nachdenken über morgen ein: Wird es dann billiger oder teurer? Im engen Sinn ist schon das Spekulation. Zumindest in dieser einfachen Form ist es aber auch zutiefst wirtschaftliches Handeln, das zum Wohlstand beiträgt.

Banken sind an solch komplizierten Abwägungen stets als Mittler beteiligt. Sie stehen also zu Recht im Zentrum einer Diskussion, die zugleich über sie selbst hinausweist. Viele Bankenkritiker wie die Stanford-Ökonomin Anat Admati machen sich die Sache dabei einfach: "Wir können ein besseres System erreichen. Aber wir müssen das auch verlangen", sagt sie. Das ist richtig, nur reicht es nicht aus. Längst haben alle mehr als einmal verlangt, was sie für richtig und notwendig halten. Jetzt ist es an der Zeit, für eine offene Debatte über Sinn und Unsinn von Banken. An deren Ende muss dann ein Kompromiss stehen zwischen Gewinn und Moral, zwischen Rendite und Risiko. Alles zugleich wird nicht funktionieren.

Die Digitalisierung bietet dem Einzelnen neue Formen der Teilhabe

Der Moment dafür ist günstig wie lange nicht. Europa ist wieder im wirtschaftlichen Aufschwung, auch in den Krisenländern geht es voran. Das schafft Luft für eine grundsätzliche Diskussion über die Zukunft. Und die anstehenden Wahlen in den Niederlanden, in Frankreich und Deutschland böten auch ein Forum. Natürlich könnte gerade der Wahlkampf die Politik verlocken, nur immer wieder die Gier von Managern und Bankern zu geißeln. Dafür aber ist die Debatte zu wichtig. Wer Europa wirklich politisch und ökonomisch zusammenhalten will, wird der Versuchung deshalb widerstehen. Und dass stumpfer Populismus nicht automatisch den Erfolg bringt, zeigen derzeit zumindest die Umfragen in Deutschland.

Vor allem bietet die Digitalisierung völlig neue Möglichkeiten der Teilhabe, gesellschaftlich und wirtschaftlich. Den Banken bereitet diese Umstellung noch enorme Probleme, sie birgt aber auch eine Chance. Im Netz könnten sie Transparenz über ihr Handeln schaffen und damit Vertrauen zurückgewinnen. Damit könnten sie auch wieder die Idealisten und Gründer locken, diejenigen, die fasziniert sind von einer digitalen Welt und sie gestalten wollen. Gerade sie brauchen die Banken dringend für die nötige Veränderung.

Der Sachverstand dieser neuen Generation kann den Instituten einerseits helfen, Filialen zu Apps zu machen und so einen Teil ihrer praktischen Probleme in den Griff zu bekommen. Vor allem aber könnte sie mit ihren Ideen und ihrer Unverbrauchtheit dabei helfen, den Banken ihren neuen Platz zu weisen. Vielleicht wären ja sogar ein paar der Occupy-Aktivisten von damals dabei.

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Quelle:
SZ vom 25.02.2017
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