Krise in Griechenland:Vergesst die Utopie!

Noch immer wird ein politisch vereintes Europa erträumt. Doch das ist nicht machbar.

Ein Gastbeitrag von Michael Hüther

Die Debatte über die Rettungsarchitektur für Griechenland führt im fortgeschrittenen Stadium dazu, dass die Argumente geschärft werden. Aber man kann auch den Eindruck haben, alles sei irgendwie gesagt und getan. Das erinnert, auch jahreszeitlich passend, an eine Zeile aus einem Abba-Song aus dem Jahr 1981: "When the summer's over and the dark clouds hide the sun, neither you nor I'm to blame when all is said and done."

Für den Weg nach vorne, für die Frage, wie Europa künftig aussehen soll, hilft es jedenfalls wenig, die argumentativen Schlachten der letzten fünf Jahre erneut zu führen. Zumal es mit dem Wissen von heute ein Leichtes ist, Entscheidungen der Euro-Staaten aus den Jahren 2010 oder 2012 als Fehler zu bewerten. Gerne wird auch übersehen, dass für die eingetretene Krise nichts vorgedacht war, mal abgesehen vom (Irr-)Glauben, die Finanzmärkte würden fiskalpolitisches Fehlverhalten frühzeitig sanktionieren. Die denkbaren Antworten - auch das Nichtstun - widersprachen demnach dem europäischen Regelwerk. Ebenso wenig hilft es, wenn man, wie es Jeffrey Sachs in seinem Essay in dieser Zeitung getan hat, einen Schuldenschnitt für Griechenland fordert, sich mit verfehlten historischen Vergleichen profiliert und daraus Mythen über die nationale Verantwortung Deutschlands ableitet.

Wichtig ist die Erkenntnis, dass es die Masterlösung für Griechenland nicht gibt. Alle möglichen Wege verlangen eine Abwägung: Man muss die plausiblen Erwartungen über die Anpassungsleistungen der Griechen und deren ökonomische Wirkungen miteinander ins Verhältnis setzen. Gewissheiten gibt es nicht, weder für den Erfolg der Krisenpolitik noch über die Wirkung eines Grexit. Wer wie Hans-Werner Sinn in seinem Essay behauptet, das Arbeitsmarktproblem Griechenlands sei nur durch einen Austritt aus der Währungsunion zu lösen, der irrt. Es gibt stets mehrere Optionen, freilich mit unterschiedlichen Preisschildern. Darüber ist zu disputieren.

Drei Thesen

Wahr ist: Das dritte Hilfspaket und Reformen können die griechische Krise lösen

Fakt ist: Wer eine politische Union in Europa will, öffnet den Weg zur Transferunion

Gut ist: Die Möglichkeiten einer gemeinsame Sicherheitspolitik auszuloten

Das nun verabredete dritte Rettungspaket für Griechenland beruht auf der Einschätzung, dass es letztlich langfristig für Europa angemessener ist, nationale Anpassungsleistungen innerhalb der europäischen Strukturen zu erbringen. Neben ökonomischen Erwägungen, die man zu Recht kritisieren mag, greifen dabei auch politische Überzeugungen, die der Ökonom nicht ignorieren kann.

Bei allem Streit müssen die europäischen Staaten zur Kooperation bereit sein

Zur Geschichte der europäischen Integration gehört seit dem Beginn im Jahre 1951 die Bereitschaft, sich in extremen Situationen zu helfen - und diesen Beistand an Regeln zu knüpfen. Bereits Ende der 1950er Jahre reagierte die Hohe Montanbehörde - eine Vorgängerin der Europäischen Kommission - in dieser Weise, als sie in der belgischen Kohlenkrise befristet das Beihilfenverbot aussetzte und eine vertraglich nicht vorgesehene Anpassungshilfe auszahlte. Die damaligen Regeln der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl waren nicht tauglich für eine Krise, die für ein Mitgliedsland den Ausnahmezustand bedeutete. Das ist kein Freibrief für den Regelbruch, sollte aber dafür sensibilisieren, dass Regeln den Notstand nicht simulieren können.

Jede Kooperationsstrategie in Europa setzt zwingend voraus, dass bei allem Streit und Hader im Detail die beteiligten europäischen Staaten zur Kooperation bereit sind. Das galt für die Tsipras-Regierung in ihren ersten fünf Monaten nicht. Solange war auch der Ausschluss aus der Euro-Zone ein realistisches Ergebnis. Nun aber liegen die Dinge anders. Es eröffnet sich eine realistischere Chance, dass Griechenland umsteuert, seine Staatsfinanzen nachhaltiger werden und seine Wirtschaft wettbewerbsfähiger wird, wenn Ministerpräsident Alexis Tsipras mit verändertem Mandat nach den Wahlen vom 20. September erneut Regierungschef wird.

Die Euro-Debatte

Sparen oder nicht? Schuldenschnitt - ja oder nein? Prominente Ökonomen diskutieren in der SZ über die Krise in Griechenland und was daraus für Europas Zukunft folgt. Alle bisherigen Beiträge - von Marcel Fratzscher, Mark Blyth und Hans-Werner Sinn bis hin zu Jeffrey Sachs - finden Sie unter: www.sz.de/szdebatte-griechenland

Viele bei uns reiben sich die Augen und rufen Verrat. Doch die Anerkennung der Realität darf niemandem verwehrt werden, Lernprozesse sind jedem zuzubilligen. Gerade mit Blick auf die Protestbewegungen in anderen südeuropäischen Krisenstaaten ist der Häutungs- und Wandlungsprozess von Tsipras und der Mehrheits-Syriza bedeutsam. Es bleibt zwar richtig, dass es Alternativen zur jetzigen Krisenpolitik gibt. Doch versprechen diese Alternativen nach heutiger Abwägung keine schnelleren und größeren Erfolge, es sei denn, man hofft irrigerweise, andere würden einen beschenken.

Zweifellos ist der Weg, den Griechenland gehen muss, lang. Die Schuldentragfähigkeit - verstanden als Rückkehr zum Kapitalmarkt - liegt auch dann in weiter Ferne, wenn die gesamtwirtschaftliche Dynamik deutlich stärker wird. Berechnungen des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln zeigen, dass eine Schuldenstandsquote von 100 Prozent selbst bei reformpolitischer Disziplin und gesamtwirtschaftlicher Dynamik erst um das Jahr 2040 er-reicht werden kann. Dies setzt zudem voraus, dass die Rückzahlung der Schulden um rund 20 weitere Jahre gestreckt wird.

Die Krisenpolitik beruht auf der Einschätzung, dass es für Griechenland - wie bereits für Irland, Portugal und Spanien - Erfolg versprechender ist, als Mitglied der Euro-Zone und so währungspolitisch auf Augenhöhe mit den Partnern, die Reformen umzusetzen. Es erscheint wenig plausibel, dass ein Austritt angesichts des dann kurzfristig dramatischen Wohlstandsverlustes die Reformbereitschaft der Griechen gestärkt hätte. Eher das Gegenteil dürfte der Fall sein, zumal die Erfahrungen anderer Länder mit Abwertungen alles andere als erbaulich sind. So hat die Abwertung der italienischen Lira 1992 die strukturellen Probleme des Landes nur kurzfristig überdeckt, nicht aber gemindert.

Das schlichte Fazit dieser Überlegungen lautet: Man sollte das dritte Hilfspaket für Griechenland konsequent umsetzen, die Rückzahlungsbedingungen strecken und auf die Stärkung der politischen Legitimation für die griechische Regierung setzen. Jedweden Versuchen, mit historischen Bezügen und überhöhter Kritik ein anderes Europa zu schaffen, kann mit Verweis auf die gewaltige Solidarleistung der europäischen Partner und den gewandelten politischen Willen der Griechen entgegen getreten werden.

Der Gastbeitrag auf Englisch
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