Altruismus oder Egoismus?:Spende für mich

Vor allem in der Adventszeit geben viele Deutsche Geld an Hilfsorganisationen. Sie wollen damit helfen - auch sich selbst.

Von Pia Ratzesberger

Als der König von Mali sich mit großem Gefolge auf den Weg nach Mekka machte, war das für viele Zeitgenossen eine Wohltat. Denn Mansa Musa gab auf seiner Reise zum Geburtsort des Propheten reichlich von seinem Reichtum an die Bevölkerung am Wegesrand. Allein in Medina soll er 20 000 Goldstücke gelassen haben, in Mekka noch einmal so viel. In manchen Regionen soll der Herrscher sogar verantwortlich für eine Inflation gewesen sein, weil er so viel Gold unter das Volk brachte. Heute sind es Bürger-Milliardäre wie Warren Buffett, Bill Gates oder Mark Zuckerberg, die auf sich aufmerksam machen, indem sie sich zum Beispiel dazu verpflichten, bis zu ihrem Tod 99 Prozent ihres Vermögens für karitative Zwecke auszugeben.

Die Deutschen, ob arm oder reich, teilen ihr Erspartes besonders gern, erst recht in der Weihnachtszeit. Im November und Dezember nehmen Hilfsorganisationen das meiste Geld ein, insgesamt haben die Bundesbürger im vergangenen Jahr 6,4 Milliarden Euro gespendet, so das Deutsche Zentralinstitut für soziale Fragen. Eine ziemlich große Summe, ungefähr so groß wie der jährliche Etat des Bundesinnenministeriums.

Das eigene Vermögen mindern, ohne etwas zurückzubekommen: Das wäre das Grauen eines jeden Homo oeconomicus, eines streng auf Nutzenmaximierung konzentrierten Wesens. Das aber ist, wenigstens in seiner Reinform, eben doch nur eine Kunstfigur. Stattdessen kennt man seit der Antike die Philanthropie, die allgemeine Menschenliebe. Auch der englische Philosoph Francis Bacon unterstellte im 17. Jahrhundert jedem Menschen eine generelle Neigung zur Güte, seit Jahrtausenden teilen Menschen ihr Geld freiwillig mit anderen.

Emotion siegt über Information. Und Egoismus über Altruismus

Ganz verschwunden allerdings ist der Gedanke des Homo oeconomicus, des Wirtschaftsmenschen, dabei nicht: Die Spenden für die anderen nämlich sind immer auch eine Wohltat für einen selbst. Wenn man schon nicht finanziell profitiert, dann wenigstens emotional. Auffällig ist: Menschen spenden nicht unbedingt für das, was wichtig ist. Sondern für das, was sie selbst als wichtig empfinden. Deshalb fließt viel Geld in Projekte, die eigentlich gar nicht sinnvoll sind, das Potenzial von Millionen Spenden bleibt ungenutzt.

Würden die Menschen rational über ihre Zuwendungen entscheiden, müssten sie zum Beispiel recht kontinuierlich spenden. Doch vor allem bei Naturkatastrophen geht plötzlich viel Geld auf den Konten der Hilfsorganisationen ein. Ob der Tsunami an der Küste Thailands 2004 oder das Erdbeben in Haiti 2010: Wenn Nachrichtensendungen eindrucksvolle Bilder zeigen, von Wellen, die ganze Landstriche unter sich begraben oder tropischen Wirbelstürmen, die nichts hinterlassen als Verwüstung, spendet es sich leicht.

Menschen mögen zweckgebundene Spenden

Erst recht gilt das, wenn die Katastrophe möglichst nahe des eigenen Wohnsitzes wütet, wie etwa beim Hochwasser an der Elbe vor dreizehn Jahren. Es hätte schließlich beinahe einen selbst getroffen: Diese Erkenntnis wiegt einmal schwerer als das Leid der anderen. Ob das Geld tatsächlich gebraucht wird oder ob vielleicht ohnehin schon genügend Spenden eingegangen sind, ist dann zweitrangig.

Obwohl es sie in ihrer täglichen Arbeit oft einschränkt, ja sogar behindert, bieten die meisten Hilfsorganisationen zweckgebundene Spenden an. Die Menschen mögen das, es ist für sie gleichzeitig der Beleg der Seriosität der Hilfsorganisation. Gewünscht ist die Gewissheit, mit der eigenen Überweisung einen kleinen Beitrag geleistet zu haben, gegen ein sehr konkretes Elend. Dabei wäre es für die Hilfsorganisation eigentlich sinnvoller, das Geld womöglich dann doch nicht dem vorgesehenen Zweck zuzuführen (weil vielleicht schon ausreichend Geld vorhanden ist), sondern zu helfen, ein neues Problem zu lösen.

Ein warmes Glühen, das die Menschen beim Spenden verspüren

In diesen Wochen spenden die Deutschen Unmengen an Kleidern und hohe Summen für die mehr als eine Million Flüchtlinge, die dieses Jahr nach Deutschland gekommen sind - Obdachlosenhilfen oder Seniorenvereine dagegen klagen, dass sie plötzlich kaum mehr Zuwendungen erhalten. Die Probleme der Menschen auf der Platte oder in den Heimen werden verdrängt, obwohl sie nicht weniger bedürftig sind als andere. Aber die Flüchtlinge sind in allen Medien und damit im Bewusstsein der Spender.

Geldgeber, die nicht nach den realen Bedürfnissen entscheiden, sondern im Zweifelsfall das bevorzugen, was ihnen am meisten Wohlbefinden verschafft: Dafür hat der Wissenschaftler James Andreoni Ende der 80er-Jahre den Begriff des "warm glow effect" geprägt - ein warmes Glühen, das die Menschen beim Spenden verspüren. Am einen Tag lösen Gaben für Flüchtlinge dieses Gefühl aus, weil sie in der Turnhalle im Stadtviertel eingezogen sind. Am anderen Tag ist es das Geld für die Tafel, weil man erfahren hat, dass sich manche Rentner keine warmen Mahlzeiten mehr leisten können.

Peter Daniell Porsche, Urenkel des Unternehmensgründers Ferdinand Porsche und bekannter Salzburger Mäzen, sagte einmal in einem Interview: "Ich spende, wenn Sie so wollen, auch aus Egoismus - weil ich mich so am wohlsten fühle."

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Illustration: Lisa Bucher

Ein Foto bringt mehr Spenden ein, wenn daneben keine Statistik steht

Konsequenterweise setzt die Werbung vieler Hilfsorganisationen auf Emotion. Vereine drucken seit Jahrzehnten abgemagerte Kinder mit flehendem Blick und bettelnden Händen auf ihre Plakate - fragt man Passanten, antworten die meisten, dass sie dieser Bilder überdrüssig sind. Studien aber haben ergeben, dass die Menschen dann am meisten Geld geben, wenn das Foto ihnen sagt: "Du kannst genau diesem Mädchen ein besseres Leben verschaffen." Man hat geholfen - ohne nähere Umstände zu kennen, ohne zu wissen, ob genau dieses Mädchen überhaupt Hilfe braucht.

Der Psychologieprofessor Paul Slovic von der University of Oregon fand in einem Versuch heraus, dass Menschen im Schnitt doppelt so viel spenden, wenn sie nur ein Foto eines hungernden Mädchens sehen. Bekommen sie dazu erklärende Statistiken vorgelegt, die zum Beispiel zeigen, wie viele Kinder insgesamt in Afrika an Hunger leiden, sinkt die Spendenbereitschaft. Emotion siegt über Information. Und Egoismus über Altruismus.

Öffentliche Spendenbereitschaft soll Großzügigkeit beweisen

Wer spenden möchte, für den ist es heute zwar so einfach wie nie zuvor, sein Geld in die ganze Welt zu transferieren - selbst der Zeiteinsatz hat sich auf ein Minimum reduziert. Mithilfe von Dutzenden Apps wie etwa "Share the Meal" der Vereinten Nationen ist innerhalb von Minuten eine Mahlzeit für ein hungerndes Kind finanziert. Ebenso schnell aber ist das edle Verhalten an den gesamten Bekanntenkreis herangetragen, in sozialen Netzwerken geteilt.

Während die Profilfotos die eigene Attraktivität demonstrieren sollen, die geschriebenen Beiträge den Intellekt, soll die öffentlich zur Schau gestellte Spendenbereitschaft einen anderen Vorzug beweisen: die Großzügigkeit. Womöglich währt diese nur so lange, wie andere etwas davon mitbekommen. Der Ökonom John List von der University of Chicago etwa hat vor einigen Jahren in einem Versuch gezeigt, dass Menschen eher spenden, wenn sie beobachtet werden. Können sie sich jedoch unbemerkt aus der Verantwortung stehlen, dann machen sie das auch.

Soll man ein ertrinkendes Kind retten? Oder doch lieber die teuren Schuhe?

Mit Selbstlosigkeit hat das nicht viel zu tun. Dabei argumentieren Altruisten, dass man doch genau deshalb spende - und fordern das auch ein. Der australische Philosoph Peter Singer bietet dafür das Beispiel des "Drowning Child" an, des ertrinkenden Kindes: Dieses ist in einen Teich gestürzt, Hilfe nicht in Sicht. Ein Passant kommt des Weges, er muss abwägen: Das Kind zu retten heißt, die eigenen, neu gekauften Schuhe zu ruinieren. Schuhe oder Kind?

Singers Studenten fällt die Antwort regelmäßig leicht. Aber was, fragt dann der Philosoph, unterscheidet das konkrete Kind im Teich von all den anderen Menschen auf der Welt, deren Leben man mit ebenso geringem Aufwand retten könnte? Muss man nicht ebenso, wie man am Teich bereit war die Schuhe zu ruinieren, auch Einkommen abgeben, bis an die finanzielle Schmerzgrenze? Also spenden, spenden, spenden - und dafür auf die angenehmen, aber teuren Dinge des Alltags verzichten: Restaurants, Bars, Kino? Das tut dann doch kaum jemand.

Am besten spendet man für das, was anderen die größte Verbesserung bringt

Nun mag man argumentieren, dass es letztendlich gleichgültig sei, warum gespendet wird, ob aus Moral oder aus Egoismus. Aber wer nur abgibt, um sich selbst besser zu fühlen, um womöglich ein wenig bei Kollegen und Freunden glänzen zu können, dem ist es im Zweifelsfall nicht allzu wichtig, ob seine Spende wirklich sinnvoll ist, solange er dabei ein gutes Gefühl verspürt.

Abhilfe schaffen kann da der sogenannte effektive Altruismus. Anhänger dieser Bewegung beklagen, dass zu viel Geld in unnütze Maßnahmen fließe, die den Betroffenen letztendlich nicht helfe, vor allem nicht auf lange Zeit gesehen. Viel Einsatz, aber keine Verbesserung der Lage, heißt das - und das nur, weil die Leute spenden, ohne nachzudenken, ohne sich zu informieren.

Auch effektive Spender streben nach Anerkennung

Das Gegenmittel lautet deshalb: Man muss so genau wie möglich überprüfen, ob die eigene Gabe wirklich etwas bewirken kann, bevor man spendet. An der Spitze der Bewegung steht ein junger Philosophie-Professor der Universität Oxford, William MacAskill. In seinem Buch "Doing Good Better" propagiert er, ausschließlich in solche Projekte zu investieren, deren Erfolg statistisch belegbar ist, bei dem geringe Kosten einen großen Nutzen bringen.

Allerdings sind auch diese vermeintlich vorbildlichen Spender nicht frei von dem Streben nach Anerkennung. Zwischen manchen von ihnen ist ein kruder Wettkampf um die effektivsten Spenden entstanden. Sie bewerten sich mit Punkten, messen anhand der Summen und Verwendungszwecke, wer theoretisch wie viele Leben gerettet hat - wie schön fürs eigene Selbstwertgefühl, wenn man im Ranking vorne liegt. Eine lässliche Form der Eitelkeit, die aber nicht die Sorgfalt bei der Auswahl der Spendenprojekte dominieren darf.

Denn eigentlich ist der Ansatz der effektiven Altruisten gut: Spenden für das, was für die anderen die größte Verbesserung bringt. Und nicht für einen selbst.

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