Währungsunion:Bekennen wir uns endlich zum Euro!

Euro-Skulptur am Flughafen Frankfurt demontiert

Der Euro liegt am Boden. Es fehlt noch die eine große Zukunftsvision, um ihn wieder aufzurichten.

(Foto: dpa)

Nach sieben Jahren Schuldenkrise hat sich wenig verändert in der Währungsunion: Der Euro ist instabil, der Zank groß. Wir müssen da raus - und zwar gemeinsam.

Von Catherine Hoffmann

Mark Twain gab ein schönes Beispiel dafür ab, dass manch einer noch quicklebendig ist, selbst wenn Zeitungen schon Nachrufe über ihn verfassen. "Die Nachricht von meinem Tod ist stark übertrieben", erklärte er Journalisten, die wegen seines angeblichen Ablebens angereist waren. Ähnliches ließe sich über den Euro sagen, dessen Ende schon oft heraufbeschworen worden ist, den es zum Glück aber noch immer gibt. Der Euro lebt, wirtschaftlich läuft es in der Währungsunion nach vielen schwierigen Jahren wieder besser, politisch aber steht die Gemeinschaft so wackelig da wie selten zuvor.

"Die Währungsunion befindet sich in einem besorgniserregenden Zustand", sagt Jörg Haas, Wissenschaftler am Jacques Delors Institut in Berlin. Das ist die schlechte Nachricht. Die gute: Man braucht keine Vereinigten Staaten von Europa, um erfolgreich eine gemeinsame Geldpolitik zu betreiben. Aber man braucht genug politische Integration und genug Solidarität, um die bestehenden Probleme zu lösen. Und natürlich mutige Politiker.

Zu den Problemen gehört, dass der Euro - entgegen allen Versprechen - nicht dazu geführt hat, dass sich die Lebensverhältnisse in Europa einander angleichen, im Gegenteil. Die Maastricht-Regeln sind gescheitert, weil die einzelnen Euro-Länder ihre Haushalts- und Wirtschaftspolitik eben nicht an den Anforderungen der gemeinsamen Währungsunion ausrichten, sondern am nationalen politischen Kalkül. Was hat man nicht alles ausprobiert - Europäisches Semester, Sixpack, Twopack. Nichts hat funktioniert. Strukturreformen sind zu oft ausgeblieben, Investitionen auch. Die Folge: Das Wachstum ist trotz der jüngsten Erholung zu niedrig, die Schulden sind zu hoch. Dagegen kann auch die Niedrigzinspolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) nicht viel ausrichten.

Etliche Euro-Mitglieder haben noch immer nicht das Ende der ökonomischen Durststrecke erreicht, die mit der drohenden Pleite Griechenlands vor sieben Jahren begann. Mancherorts liegt die Arbeitslosenquote heute noch bei 20 Prozent, unter Jugendlichen ist sie doppelt so hoch. Vor allem in den Volkswirtschaften, die von den Turbulenzen schwer getroffen wurden, verbessern sich die Lebensumstände der Menschen nur langsam. Neben Griechenland gilt dies besonders für Italien, Portugal und Spanien. Wie groß der Frust vieler Wähler ist, zeigen die schrumpfende Zustimmung für etablierte Parteien in allen vier Staaten und der große Zuspruch für Populisten von links oder rechts.

Die Europäer müssen sich endlich daranmachen, den Euro vor den Populisten zu bewahren und einige Konstruktionsfehler der Währungsunion zu beheben, unter denen sie seit ihren Anfängen leidet. Doch die Männer und Frauen, die politisch für Europa verantwortlich sind, trauen sich nicht. Sie halten sich allein schon deshalb für Pragmatiker, weil sie ohne Zukunftsvisionen die Euro-Krise managen, die sie selbst so pragmatisch produziert haben. Die Gründerväter des Vereinten Europas hatten auf Basis historischer Erfahrungen noch weit in die Zukunft vorausgedacht. Das wird heute oft als "Spinnerei" abgetan.

Doch was ist so spinnert daran, für die Euro-Zone einen Finanzminister mit eigenem Investitionsbudget und demokratischer Legitimation zu fordern, wie es der neue französische Präsident Emmanuel Macron tut? Was ist verkehrt daran, eine Zentralbank zu schaffen, die als "lender of last resort" wirksam gegen Schocks vorgehen kann und eine Zuflucht bietet für notleidende Banken und Staaten? Doch dazu müsste man ihr Euro-Anleihen an die Hand geben, noch so eine verrückte Idee. Derzeit können sich die europäischen Politiker noch nicht einmal darauf verständigen, die Bankenunion zu vollenden, weil Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble stellvertretend für viele Deutsche eine gemeinsame Einlagensicherung für Bankguthaben scheut.

Kehrtmachen ist keine Option

Ein solidarisches Europa darf keine Utopie bleiben. Allein schon, weil sich der Weg zurück zu einer Zeit vor der Währungsunion verbietet: Auflösen ist keine Option. Aus dem Euro auszusteigen und nationale Währungen wieder einzuführen, ist viel teurer als gemeinhin angenommen. Darauf macht der US-Ökonom Barry Eichengreen aufmerksam. Kurzfristige Kapitalverkehrskontrollen würden keineswegs ausreichen, um die Flucht des Geldes aus dem Süden in den Norden zu bremsen. Neue Drachmen, Lire, Pesos und Escudos würden massiv abwerten, was wiederum die D-Mark enorm verteuern würde und die deutsche Exportwirtschaft ruinieren dürfte. Nicht zuletzt blieben die Südländer auf einer gewaltigen Rechnung an die EZB sitzen. Eine Rechnung, die EZB-Chef Mario Draghi Ländern präsentieren würde, die sich vom Euro lossagen. Italien zum Beispiel müsste mehr als 400 Milliarden Euro zurückzahlen, das wären für jeden Italiener, egal ob Mann, Frau oder Kind rund 6600 Euro. Wie gesagt: keine Option.

Wie also die Währungsunion fit für die Zukunft machen?

Was also muss geschehen, damit die Währungsunion für die Zukunft gerüstet ist? Am einfachsten lassen sich die Probleme im Finanzsektor lösen. "Eine Währungsunion braucht eine funktionierende Bankenunion, sonst kann sie nicht stabil sein", sagt Guntram Wolff, Direktor des Thinktanks Bruegel in Brüssel. Das heißt: Europäische Kreditinstitute müssen einer gemeinsamen Regulierung und Überwachung unterliegen. Und für den Ernstfall gibt es eine zentrale Institution zur Abwicklung von Banken, die über genügend Geld verfügt.

Einige Schritte in diese Richtung wurden bereits unternommen. Zum Beispiel beaufsichtigt die EZB nun die größten Finanzhäuser Europas. Außerdem haften im Falle einer Bankenpleite künftig nicht mehr die Steuerzahler, sondern zuerst die Anteilseigner und Gläubiger der Bank. Ein wichtiger Schritt fehlt aber noch: Eine europäische Einlagensicherung, die Sparguthaben bis zu 100 000 Euro schützt. Dadurch sinkt in einer Krise der Anreiz für Sparer zur Kapitalflucht. Zudem sollte es den Geldinstituten erschwert werden, Staatsanleihen einzelner Eurostaaten zu besitzen. Damit sich eine Schuldenkrise in einem Land nicht wieder zu einer europaweiten Bankenkrise auswächst. Doch die Bankenunion allein kann das Überleben des Euro nicht sichern.

Eine gemeinsame Währung verlangt auch eine gemeinsame Finanzpolitik. Die Forderung ist heikel, weil viele in der Währungsunion nur eine bessere Wirtschaftsgemeinschaft sehen - zum Vorteil der nationalen Wirtschafts- und Handelsbilanzen. Eine gemeinsame Fiskalpolitik betrachten die Skeptiker misstrauisch, sie befürchten Entmündigung und sehen die nationaler Souveränität bedroht. Dabei wird übersehen, dass eine Währungsunion bei allen Vorteilen, die sie ihren Mitgliedern bietet, auch einen entscheidenden Nachteil hat: Die Mitgliedsstaaten können nicht einfach ihren Wechselkurs abwerten oder neues Geld in Umlauf bringen, um ihre Wirtschaft zu beleben.

Deshalb können schon kleine Krisen zu einer großen Gefahr für die Stabilität werden. Und deshalb reicht es auch nicht, wenn jedes Euroland einfach nur seine "Hausaufgaben" macht und spart. "Wenn alle Euro-Mitglieder zur gleichen Zeit sparen, dann spart auch die Euro-Zone insgesamt - und das ist sinnlos", sagt der Ökonom Jan Priewe, der sich in einem neuen Arbeitspapier mit der Architektur der Währungsunion beschäftigt.

Europa braucht Wachstum mehr als alles andere. Nur wenn das Wirtschaftswachstum größer ist als die Zinsen auf öffentliche Schulden, sinkt der Schuldenstand. Nur so kann der Euro sein Wohlstandsversprechen für alle erfüllen. Nötig ist dazu ein finanzieller Ausgleich zwischen starken und schwachen Ländern, eine Umverteilung oder - schöner gesagt: Solidarität.

Die Euro-Politik muss raus aus den Hinterzimmern

Emmanuel Macron plädiert deshalb dafür, dass die Eurozone einen eigenen Haushalt samt Finanzminister bekommt. Jedes Mitglied würde in das gemeinsame Budget einzahlen, die reichen mehr, die armen weniger. So gäbe es Geld für Investitionen, zum Beispiel in überregionale Verkehrs- und Kommunikationsnetzwerke oder für Flüchtlingshilfe. Und es gäbe Geld für eine antizyklische Fiskalpolitik, die Ländern in schwierigen Zeiten hilft. Was es dazu auch braucht, ist eine starke demokratische Kontrolle. Die Euro-Politik muss raus aus den Hinterzimmern. Ein Parlament der 19 Euro-Staaten, dessen Mitglieder sich aus dem Europaparlament und/oder Abgesandten der nationalen Parlamente zusammensetzt, könnte diese Aufgabe zum Beispiel übernehmen.

Ein logischer nächster Schritt wären dann gemeinsame Anleihen. Es müssen ja keine Eurobonds sein, die vorsehen, dass alle Euro-Staaten gemeinsam für die Schulden aller haften. Dieses Instrument würde die disziplinierende Wirkung der Märkte für die Haushaltspolitik der einzelnen Ländern völlig außer Kraft setzen.

Sinnvoller wären "Europäische Sicherheitsbonds", wie sie Forscher um den Ökonomen Markus Brunnermeier vorgeschlagen haben. Diese Wertpapiere sollen Anlegern einen sicheren Hafen bieten und die Verbindung zwischen Banken und Staaten lockern. Eine europäische Schuldenverwaltung würde den Euro-Ländern ihre Staatsanleihen bis zu einer bestimmten Grenze abkaufen. Zur Finanzierung würde sie zwei verschiedene Arten von Anleihen herausgeben: Einerseits supersichere Senior-Anleihen, die auch den Staatsbankrott eines Euro-Mitglieds wie Italien aushalten und ein ideales Anlageinstrument für Banken und Versicherungen wären. Andererseits gäbe es riskante, aber hochverzinste Junior-Bonds, die Spielball für Spekulanten wären. Anders als bei den umstrittenen Euro-Bonds müsste jedes Land immer noch hundert Prozent seiner neuen Schulden zu Marktzinsen aufnehmen, so- dass die Regierungen auch einen Anreiz haben, sparsam zu haushalten.

Damit ein solcher Neustart gelingen kann, sollte man - last but not least - zuvor überschuldeten Ländern wie Griechenland einen Schuldenschnitt ermöglichen und die europäischen Banken mit dem nötigen Kapital versorgen. So könnte die Zukunft der Währungsunion aussehen, wenn in Europa nicht nur Pragmatiker oder Populisten regieren.

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