Internationaler Handel:Erst kommen Zölle, dann folgt der Krieg

USA - Pekannüsse

Der Farmer Buck Paulk schaut auf Pekannüsse im Lager seiner Farm in Ray City. China ist ein wichtiger Abnehmer. Aber seit dem Handelskonflikt zwischen den USA und China macht sich Paulk Sorgen.

(Foto: dpa)

US-Präsident Trump ist dabei, das internationale Wirtschaftssystem zu unterminieren. Aber fehlender Handel gefährdet nicht nur Wohlstand, sondern auch den Frieden. Bleibt zu hoffen, dass Globalisierungsgegner aus der Geschichte lernen.

Von Nikolaus Piper

Horace J. Fletcher ist ein Großmaul und außerdem der größte Käsefabrikant der Vereinigten Staaten. Aber das reicht ihm nicht. Er möchte Monopolist werden, weshalb er den Präsidenten dazu überredet, 50 Prozent Zoll auf sämtliche Käseimporte zu erheben. Das wiederum bringt den USA die geharnischte Protestnote eines fernen Landes namens Schweiz ein. Horace Fletcher verlangt, dass man diesen unverschämten Schweizern den Krieg erklärt, den er, Fletcher, auch bereit wäre zu finanzieren.

So beginnt eine bitterböse Satire, die der amerikanische Bühnenautor George Kaufman vor mehr als 90 Jahren geschrieben hat. George und Ira Gershwin machten daraus ein Musical, das 1927 unter dem Titel "Strike Up the Band" mit mäßigem Erfolg am Broadway aufgeführt wurde. Heute ist es, bis auf einige Songs ("This Is Such a Lovely War"), fast vergessen. Dabei wäre "Strike Up the Band" das ideale Stück für die Ära Trump. Die Fabel zeigt meisterhaft, wie sich Einzelinteressen, Großmannssucht, Unwissen und Unverschämtheit zu einem aggressiven Protektionismus verbinden können. Dieser Protektionismus ist heute sehr modern geworden und gefährdet akut das globale Handelssystem.

Dieses System, mit dem der gegenwärtige amerikanische Präsident spielt, ist nicht gottgegeben, sondern das Ergebnis kluger politischer Entscheidungen in der Vergangenheit. Es ist nach dem Zweiten Weltkrieg als Friedensprojekt entstanden und sicherte der Welt - auch dem größeren Teil der früher so genannten Dritten Welt - ein beispielloses Wachstum des Wohlstands. Man muss seine Geschichte kennen, um zu ahnen, was gegenwärtig alles auf dem Spiel steht.

Erst kam der Zoll, dann kam der Krieg

Handel gibt es seit Menschengedenken. Für fast alle Menschen auf der Welt ist er eine Frage des Überlebens, kein Land kann über längere Zeit autark leben. Aber Handel war nicht immer eine friedliche Angelegenheit, besonders dann, wenn sich Wirtschafts- und Machtinteressen miteinander verbanden. König Ludwig XIV ließ seine Soldaten 1667 in die Niederlande einmarschieren, nachdem die Holländer französische Zölle mit eigenen vergolten hatten. Die amerikanische Unabhängigkeitsbewegung begann 1773 mit der "Boston Tea Party", bei der als Indianer verkleidete Siedler 342 Kisten Tee ins Meer warfen, um gegen Zölle der britischen Kolonialmacht zu protestieren.

Aus Boston führte der Weg direkt in den Unabhängigkeitskrieg. Zölle waren - im Vergleich zu Steuern - leicht zu erheben und daher eine beliebte Einnahmequelle und eine Waffe. Sie sollten dafür sorgen, dass ein Land mehr aus- als einführt, also einen Leistungsbilanzüberschuss erwirtschaftet. Da es aber zwingend auch Länder mit einem Defizit geben muss (der Leistungsbilanzsaldo der Welt ist immer null), wird Handel zum Nullsummenspiel, bei dem der Gewinn der einen der Verlust der anderen ist - genau so wie Donald Trump sich das heute vorstellt. Der Gedanke ist auch deutschen Stammtischen ("Wir sind Exportweltmeister!") nicht fremd.

Dass das Streben nach Überschüssen falsch ist, machten die Klassiker der Nationalökonomie klar, Adam Smith und vor allem David Ricardo, der 1817 die moderne Außenwirtschaftstheorie begründete: Handel ist kein Nullsummenspiel, sondern schafft Wohlstand, weil sich alle auf das spezialisieren können, was sie am besten beherrschen. Die Theorie passte zur ersten großen Globalisierungswelle im 19. Jahrhundert. "Die Bourgeoisie hat durch ihre Exploitation des Weltmarktes die Produktion und Konsumtion aller Länder kosmopolitisch gestaltet", schrieben Karl Marx und Friedrich Engels 1848 im "Kommunistischen Manifest".

Diese Globalisierung schaffte zwar Wohlstand, sie machte aber auch Angst, und sie half den Armen nicht. So entstanden einerseits eine linke Arbeiterbewegung, andererseits eine militante, nationalistische, antiliberale und meist auch antisemitische Rechte, die den Schutz der heimischen Wirtschaft vor ausländischer Konkurrenz verlangte. Was Rechte und Linke vor dem Ersten Weltkrieg dachten, wurde nach dem Krieg bittere Wirklichkeit. Russland schied unter den Bolschewiki aus der arbeitsteiligen Weltwirtschaft aus, im Rest der Welt wurde der Handel durch Zölle mehr und mehr abgewürgt. Tiefpunkt war der 17. Juni 1930, an dem in den Vereinigten Staaten - gegen den verzweifelten Protest der wichtigsten Ökonomen des Landes - der Smoot-Hawley-Tarif in Kraft trat, der die Zölle für mehr als 900 Einzelprodukte zum Teil dramatisch erhöhte. Das war ziemlich genau drei Jahre, nachdem Gershwins "Strike Up the Band" auf die Bühne gekommen war. Mitten in der Weltwirtschaftskrise beschleunigte dies den Absturz in die Katastrophe.

Handeltreibenden Nationen sollten gemeinsam Verantwortung tragen

Die Wende trat mit dem Zweiten Weltkrieg ein. Kluge Menschen in Amerika und England erkannten, dass fehlender Handel nicht nur den Wohlstand, sondern auch den Frieden gefährdet. Bereits 1941 begannen in London und Washington erste Überlegungen für eine Nachkriegsordnung. Der damals schon berühmte Ökonom John Maynard Keynes spielte dabei eine entscheidende Rolle. Seine Idee war: Alle Nationen schließen sich nach dem Krieg zu einer "Internationalen Clearing Union" zusammen, in der sie ihren Handel über eine Kunstwährung "Bancor" abrechnen. Die Union hätte den Vorteil, dass Länder auch dann handeln können, wenn ihre Währungen im Ausland nicht verwendet werden können. Zu Keynes' Clearing-Union ist es nie gekommen. Der amerikanische Finanzstaatssekretär Harry D. White wollte den umgekehrten Weg gehen und sicherstellen, dass alle Währungen auch in der Krise untereinander tauschbar ("konvertibel") bleiben, so dass die Länder aus eigener Kraft handeln können. Auf der Wirtschafts- und Währungskonferenz der Vereinten Nationen in Bretton Woods (New Hampshire) setzte er 1944 sein Modell einer Versicherung gegen Zahlungsbilanzkrisen vor. Es bekam den Namen Internationaler Währungsfonds (IWF).

Keynes und White waren sich allerdings darin einig, dass die handeltreibenden Nationen gemeinsam Verantwortung tragen sollten. Deshalb wollten sie eine weitere Organisation gründen, um verbindliche Regeln für den internationalen Warenaustausch festzulegen und zu überwachen. Am 30. Oktober 1947 unterzeichneten daher 23 Gründerstaaten in Genf das Allgemeine Zoll- und Handelsabkommen (Gatt). Zum Beginn vereinbarten die Mitglieder Zollsenkungen von 35 Prozent. Die New York Times schrieb euphorisch, das Gatt sei die Verwirklichung eines Traumes: "Dass eine Gruppe gleichgesinnter demokratischer Nationen bewusst den historischen Trend zur Strangulierung des Welthandels umkehren kann." Das Gatt wurde, genauso wie UN, IWF und Weltbank, zu einem der Pfeiler der Nachkriegsordnung. Die Bundesrepublik Deutschland trat dem Abkommen bereits 1951 bei.

Drei Thesen

Die These: Wohlstand ohne Welthandel ist nicht möglich.

Der Verdacht: Nicht nur Trump hat das nicht verstanden.

Die Hoffnung: Globalisierungsgegner von rechts und links lernen aus der Geschichte.

Geplant war allerdings noch viel mehr. Im März 1948 hatte eine Konferenz in Havanna die Gründung einer Internationalen Handelsorganisation (ITO) zum Ziel. Sie sollte nicht nur Zölle abbauen, sondern sich auch gegen Subventionen und unfaire Geschäftspraktiken engagieren. Doch die ITO scheiterte 1950 am Widerstand im US-Senat. Dort wehrten sich die Senatoren gegen die befürchteten Eingriffe in die inneren Angelegenheiten der USA. Erst 1994, nach dem Ende des Kommunismus, sollte das Projekt in veränderter Form und mit neuem Namen ("Welthandelsorganisation, WTO") verwirklicht werden.

Die WTO findet ihre Gegner auf der Rechten wie auf der Linken

Aber trotz der gescheiterten ITO erreichte das Gatt genau das, was sich die Times erhofft hatte: Von 1948 bis 1995, als die WTO ihre Arbeit aufnahm, wuchs der Welthandel um das Hundertfache. Jetzt zeigte sich, wie klug die 1947 vereinbarten Prinzipien des Gatt waren: Erstens müssen alle Handelspartner gleich behandelt werden ("Meistbegünstigungsklausel"). Zweitens muss eine Ware aus dem Ausland, wenn sie die Grenze überschritten hat, wie eine inländische behandelt werden ("Inländerbehandlung"). Drittens dürfen Zölle nur gesenkt, nicht erhöht werden. Und viertens sind Quoten für Importe verboten. Insgesamt acht Liberalisierungsrunden sorgten dafür, dass es heute nur noch geringe Zollschranken gibt (eine wichtige Ausnahme ist die Landwirtschaft).

Die Entwicklung kippte paradoxerweise kurz nach dem Ende des Kalten Krieges, als Russland, seine früheren Satelliten und vor allem die Volksrepublik China als Mitspieler auf dem Weltmarkt auftraten. Einerseits wurde 1994 das Versprechen von Havanna eingelöst und die Welthandelsorganisation gegründet. Sie verfügt, ein Novum, über ein System von Schiedsgerichten, die Handelsstreitigkeiten schlichten. Am 11. Dezember 2001 wurde China Mitglied der WTO und genießt alle Vorzüge dieser Mitgliedschaft. Es hält in der WTO aber bis heute den Status eines Entwicklungslandes und praktiziert mit dieser Begründung einen protektionistischen Schutz der eigenen Industrie, der für die zweitgrößte Volkswirtschaft der Erde längst nicht mehr akzeptabel ist. Die Vorwürfe Trumps gegen China, die hinter dem jetzt begonnen Handelskrieg stehen, sind in diesem Punkt ein Stück weit berechtigt. Auch deshalb hatte die WTO auch schon vor Trump viel von ihrer Autorität eingebüßt.

Es sieht aus, als wiederhole sich die Geschichte. Wie im 19. Jahrhundert hat der grenzenlose Handel eine militante Antiglobalisierungsbewegung hervorgerufen. Zunächst kam der Protest nur von links. Als am 30. November 1999 in Seattle die Wirtschaftsminister der WTO-Staaten beraten wollten, legten gut organisierte Randalierer zwei Tage lang die Innenstadt lahm. Die "Schlacht von Seattle" wird auch heute noch in der Szene als Erfolg gefeiert. Inzwischen haben sich auch die Rechtspopulisten des Themas angenommen. Das "alte Modell der Globalisierung" habe ausgedient, sagte Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán dem chinesischen Fernsehen. Und Trump ist dabei, die WTO vollends zu demontieren. Die USA haben seit Trumps Amtsantritt keine einzige Richterstelle bei der Organisation neu besetzt. Dadurch werden die Schiedsgerichte in absehbarer Zeit nicht mehr arbeitsfähig sein.

Die Welt ist dabei, in die Welt von Horace J. Fletcher zurückzukehren.

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