Kaum ein anderes sozialpolitisches Thema nährt die Sorgen und Ängste der Menschen so sehr wie die Rente. Fast jeder dritte Arbeitnehmer glaubt, dass er nur noch eine Rente in der Höhe der Grundsicherung - also der Sozialhilfe im Alter - bekommt, so eine Umfrage aus dem Jahr 2015. Im vergangenen Jahr ging durch die Presse, dass man gar mit einer Altersarmut von 50 Prozent rechnen müsse. So etwas weckt Emotionen.
Dabei ist das deutsche Rentensystem eigentlich eine trockene Materie. Es ist stark regelgebunden und die Faktoren, welche die langfristige Entwicklung bestimmen, ändern sich in der Regel nur langsam und stetig. Die zukünftige Rente lässt sich also recht gut prognostizieren. Von den Erwerbstätigen, die 2015 nur noch eine Rente in Höhe der Grundsicherung erwarteten, hatte bereits die Hälfte einen Rentenanspruch, der deutlich darüber lag - nur wusste sie es nicht. Und die Prognose einer Altersarmut von 50 Prozent lag an grundlegenden Fehlannahmen. Nach der Berichtigung dieser Fehler fiel die Prognose auf etwa fünf Prozent. Kann man also die Aufregung beim Reizthema Rente wissenschaftlich basiert und nüchtern-analytisch dämpfen? Versuchen wir es.
Die gesetzliche Rente wird im Umlageverfahren erwirtschaftet, das heißt, die Jüngeren zahlen Beiträge ein, die sofort wieder an die Älteren ausgezahlt werden. Abgesehen von einer relativ geringen Reserve von höchstens 1,5 Monatsausgaben ist die Vorstellung einer Rentenkasse, die gut gefüllt sein muss, also abwegig. Die Ausgaben sind immer gleich den Einnahmen. Das ist der erste wichtige Mechanismus des deutschen gesetzlichen Rentensystems. Und ein problematischer: Denn wenn es immer mehr ältere und immer weniger jüngere Menschen gibt, dann steigen die Ausgaben bei abnehmenden Einnahmen.
Wer im Erwerbsleben wenig verdient, wird später auch wenig Rente bekommen
Der zweite wichtige Mechanismus besteht darin, wie Einnahmen und Ausgaben sich auf die einzelnen Menschen aufteilen. Hier gilt in Deutschland, dass die Beiträge bis zu einer Obergrenze (der sogenannten Beitragsbemessungsgrenze) strikt proportional zum Arbeitseinkommen und die ausgezahlten Renten wiederum strikt proportional zu den im Leben eingezahlten Beiträgen sind. Auch dieser zweite fundamentale Mechanismus des deutschen Rentensystems ist nicht unproblematisch, denn wer im Erwerbsleben wenig verdient, wird auch im Alter wenig Rente bekommen. Damit müssen wir also gleich zwei große Fässer aufmachen: die drohende Altersarmut und ebenso den demografischen Wandel. Wenden wir uns zunächst Letzterem zu.
Aus mehreren Gründen gibt es in der Altersstruktur in Deutschland starke Veränderungen: Erstens wurden in den 1960er-Jahren deutlich mehr Menschen pro Jahr geboren als in der Zeit davor und danach. Mit den Menschen der Babyboom-Generation, altert der Durchschnitt der deutschen Bevölkerung mit. Zweitens leben wir dank besserer Gesundheit immer länger. 1960 betrug die Lebenserwartung 69 Jahre, 50 Jahre später 80 Jahre. Die dritte Ursache ist die seit den 1970er-Jahren niedrige Geburtenrate. Dadurch fehlt uns im Vergleich zur vorhergehenden Generation ungefähr ein Drittel junger Menschen zur Rentenfinanzierung.
Zwei Punkte sind beachtenswert. Zum einen lässt sich recht sicher vorhersagen, wie viele junge Menschen in den kommenden 25 bis 30 Jahren unsere Rente finanzieren werden, denn sie sind bereits geboren. Auch ist nichts trivialer, als das zukünftige Alter eines gegebenen Jahrgangs zu prognostizieren. Die demografische Entwicklung bis 2045 beruht daher weitgehend auf Fakten, an denen sich nichts mehr ändern lässt. Zum anderen wird auch der jüngste Ansturm junger Flüchtlinge das Geburtendefizit nur geringfügig verringern, weil selbst diese großen Migrantenströme im Vergleich zum Fehlen eines Drittels der jüngeren Generation klein sind.
Wie kann man die Belastung der gesetzlichen Rentenversicherung durch die Bevölkerungsalterung auffangen? Weil die Herausforderung so groß ist, braucht man ein Paket mehrerer Maßnahmen, die sich an den einzelnen Ursachen orientieren.
Die schnelle Abfolge von Babyboom zu Pillenknick ist historisch vorgegeben - daran kann man nichts mehr ändern. Wir müssen die Konsequenzen tragen und zugleich dafür sorgen, dass diese keinen allzu großen Schaden anrichten. Das geschieht durch den 2005 eingeführten Nachhaltigkeitsfaktor, der die demografische Last gleichmäßig zwischen der älteren und der jüngeren Generation aufteilt, indem um etwa den gleichen Prozentsatz der Beitragssatz steigt und das Rentenniveau sinkt. Es war klug, dies regelgebunden zu machen und damit den wechselnden Launen und wahlbedingten Panikattacken der Politiker zu entziehen.
Der Nachhaltigkeitsfaktor hat das ganze System allerdings intransparenter gemacht. Während wohl jeder versteht, was steigende Beitragssätze bedeuten, herrscht großes Unwissen darüber, was es heißt, wenn das Rentenniveau sinkt. Dies liegt am missverständlichen Ausdruck "Rentenniveau", der eben gerade kein Niveau definiert, sondern eine Quote - nämlich die durchschnittliche Rente im Verhältnis zum durchschnittlichen Arbeitseinkommen.
Der Nachhaltigkeitsfaktor wird das Rentenniveau bis 2045 um etwa einen halben Prozentpunkt pro Jahr senken. Die Renten steigen also um einen halben Prozentpunkt weniger als die Löhne. Da die Löhne aber im langfristigen Durchschnitt um etwa 1,5 Prozent pro Jahr kaufkraftbereinigt ansteigen, bleibt immer noch ein ganzes Prozent Kaufkraftsteigerung pro Jahr für die Rente übrig. Ein Teil des demografischen Wandels lässt sich also aus dem Wachstum finanzieren, während die Substanz der Rente nicht angegriffen werden muss, sondern im Gegenteil weiterhin mit ungefähr einem Prozent pro Jahr wachsen kann. Die durchschnittliche Inflation eingerechnet, werden die Renten also nicht mehr um drei Prozent, aber immer noch in jedem durchschnittlichen Jahr um 2,5 Prozent ansteigen. Eine allgemeine Erhöhung des Rentenniveaus, wie von einigen gefordert, ist also unangebracht.
An der zweiten Ursache will man nichts ändern. Es ist ja ein großes Geschenk, wenn wir länger gesund sind und länger leben. Bisher schlug sich die längere Lebenszeit fast ausschließlich in einer längeren Rentenbezugszeit nieder, und zwar in einer erheblich längeren: Seit 1957 hat sich die Dauer der Rente von neun Jahren auf mittlerweile 20 Jahre mehr als verdoppelt. Sie würde bei einem unveränderten Renteneintrittsalter bis zum Jahr 2045 um weitere sieben Jahre ansteigen. Stabil ist die umlagefinanzierte Rente aber nur, wenn die Proportionen zwischen Lebensarbeitszeit und Rentenbezugszeit unverändert bleiben.
Einen ersten Schritt dazu soll die allmähliche Erhöhung des Renteneintrittsalters auf 67 Jahre leisten, die noch 13 Jahre andauert. Beachtenswert ist, dass diese Erhöhung um ein Jahr geringer ist als die prognostizierte Erhöhung der Lebenserwartung. Die Rente mit 67 bedeutet daher auch eine um ein Jahr verlängerte Rentenbezugszeit. Hinter der Zwei-zu-eins-Aufteilung - zwei Jahre Verschiebung des Rentenalters, ein Jahr zusätzlicher Rentenbezug - steckt die Weisheit, die Proportionen des Lebens zu wahren. Gegenwärtig besteht ein Durchschnittsleben aus etwa 40 Jahren Arbeit und 20 Jahren Rentenbezug. Genauso muss ein zusätzliches Jahr Rente durch zwei Jahre Arbeit finanziert werden.
Die wenigen Kinder müssen umso innovativer und produktiver sein
Diese Proportionen gilt es auch nach dem Jahr 2030 zu wahren - am besten nach einer festen Regel. Die passende nüchtern-analytische Maßnahme ist es, nach 2030 eine dynamische Zwei-zu-eins-Regel einzuführen. Drei Jahre Zuwachs der Lebenserwartung hieße also zwei Jahre länger arbeiten und ein Jahr länger Rente beziehen. Unmittelbarer Handlungsbedarf besteht zwar noch nicht, aber Änderungen im Rentenrecht müssen den Menschen frühzeitig mitgeteilt werden, damit sie sich in ihrer Lebensplanung darauf einstellen können.
Um die dritte Ursache des demografischen Wandels, die niedrige Geburtenrate, an der Wurzel zu packen, hat sich der Staat bemüht, mit vielfältigen Maßnahmen Familien zu fördern - allerdings bisher ohne nachhaltige Wirkung. Umso wichtiger ist es, in die Qualität der Bildung zu investieren, damit die wenigen Kinder umso innovativer und produktiver sein können. Hier liegen wir in Deutschland, wie die diversen Bildungstests zeigen, international nur im Mittelmaß, haben also dringend Nachholbedarf.
Das zweite große Fass der Rentendebatte ist die drohende Altersarmut. Derzeit liegt der Anteil der über 65-Jährigen, die Grundsicherung im Alter beziehen, bei etwa drei Prozent. Jeder einzelne Mensch davon ist zu viel, sicher. Aber der Anteil ist deutlich niedriger als in der Gesamtbevölkerung (etwa neun Prozent) oder gar bei Alleinerziehenden (fast 25 Prozent).
Die grassierende Angst breiter Schichten vor Altersarmut ist absurd. Geringverdiener muss man aber im Blick haben. Sie sind durch eine längere Lebensarbeitszeit doppelt von Altersarmut bedroht. Menschen, die im Erwerbsleben wenig verdienen, haben oft auch körperlich anstrengendere Berufe, die ihre Gesundheit belasten. Viele von ihnen werden nicht bis zu einem immer höheren Alter arbeiten können. Daher verlangt eine dynamische Anpassung des Rentenalters an die durchschnittliche Lebenserwartung klare Ausnahmen für diejenigen, deren Erwerbsfähigkeit gesundheitlich gemindert ist. Die derzeitige Erwerbsminderungsrente fällt recht knapp aus. Auch Langzeitarbeitslose fallen momentan aus der Rentenversicherung heraus und sind daher altersarmutsgefährdet. Eine dritte Gruppe Altersarmutsgefährdeter sind die Kleinstselbstständigen, die keine soziale Absicherung haben und daher nach einer gewissen Karenzzeit in das soziale Netz eingebunden werden sollten.
Also: Ursachen und Probleme in der Rente können auseinanderdividiert und einzeln analysiert werden. Rente geht wissenschaftlich fundiert - sogar in Wahlkampfzeiten.
Professor Dr. Axel Börsch-Supan ist Direktor am Max-Planck-Institut für Sozialrecht und Sozialpolitik in München.