Klimaschutz:Die SPD ist zu langsam für die Zukunft

Braunkohlekraftwerk Niederaußem

Braunkohlekraftwerk Niederaußem: Die SPD hält an Jobs von gestern fest.

(Foto: dpa)

Sie galt mal als Partei des Fortschritts. Doch die Debatte um die Kohle zeigt, wie weit der SPD die Zukunft bereits enteilt ist. Der Sozialdemokratie fehlt der Mut für das Morgen.

Essay von Michael Bauchmüller

Ein SPD-Parteitag ist nicht komplett ohne gemeinsamen Gesang. "Wann wir schreiten Seit' an Seit'" heißt die Hymne der Sozialdemokraten, der schallende Abschluss jedes Parteitags. Es ist ein wichtiges Lied für die Partei, es beschwört Gemeinschaftsgeist und Fortschritt. Der Refrain heißt: "Mit uns zieht die neue Zeit."

Lange stimmte das. Doch die neue Zeit zieht weg - und zurück bleibt die SPD.

Die neue Zeit zieht schnell, keine Frage. Die Öffnung von Märkten, verlängerte Werkbänke und Globalisierung haben die Welt schneller verändert, als irgendjemand das ahnen konnte. Was die Digitalisierung an Auswirkungen auf Arbeit, Arbeitnehmer und Arbeitszeit hat, lässt sich noch gar nicht absehen - da kommt schon die künstliche Intelligenz um die Ecke. Wer kann da schon noch Schritt halten? Die SPD allerdings tut sich schon schwer mit technologischem Wandel, wenn er längst im Gange ist.

Nirgends wird das so deutlich wie beim Umgang mit der Kohle und dem Klimaschutz. Die gesellschaftliche Frage ist alles andere als trivial, es geht um Transformation, um einen Umbau der Wirtschaft. Bei der Stromerzeugung hat dieser Umbau schon lange begonnen, auch angestoßen von Teilen der SPD. Die Förderung erneuerbarer Energien hatte die Partei selbst entscheidend mit angeschoben, in Zeiten der rot-grünen Regierungskoalition. Nur war damals noch nicht klar, wie schnell mit dem Aufwuchs des einen die Existenz des anderen in Frage gestellt würde. Wenn heute die Kohle massiv in Bedrängnis kommt, dann auch wegen des Erfolgs der grünen Alternativen.

Und was macht die SPD? Sie kämpft um die Kohle, in Abgrenzung zu den Grünen. Das Spitzenpersonal hat das zuletzt wiederholt deutlich gemacht. "Wir sind immer auf Seiten der Arbeitnehmer", bekräftigte SPD-Chefin Andrea Nahles jüngst in einem Spiegel-Interview. "Für eine Blutgrätsche gegen die Braunkohle steht die SPD nicht zur Verfügung." Klimaschutz sei der Partei schon wichtig, aber ... Nahles steht damit ganz in der Linie ihres Vorvorgängers Sigmar Gabriel. "Auch wir haben uns als Sozialdemokraten und Progressive oft wohlgefühlt in postmodernen liberalen Debatten", schrieb der vor nicht allzu langer Zeit in einem Aufsatz. "Umwelt- und Klimaschutz waren uns manchmal wichtiger als Industriearbeitsplätze."

Wie beides zusammengehen kann, Seit' an Seit', darüber schrieb er nicht.

Die Tradition der Sozialdemokraten ist eine andere. Als die SPD 1989 nach jahrelanger Vorarbeit ein neues Grundsatzprogramm vorlegte, da fanden sich darin seitenlange Passagen zur "ökologischen Erneuerung", zum "ökologisch und sozial verantwortlichen Wachstum". Die Botschaften dieses Berliner Programms sind heute so richtig wie damals. "Gesamtwirtschaftlich ist nichts vernünftig, was ökologisch unvernünftig ist", steht da zu lesen. "Ökologie ist kein Zusatz zur Ökonomie. Sie wird zur Basis verantwortlichen Handelns."

Drei Thesen

1989: Im damals neuen Grundsatzprogramm ging es umfassend um Ökonomie und Ökologie

2009: 20 Jahre später wurde das Programm schwammig

2018: Jetzt muss die Partei zu einem klaren Profil zurückfinden

Dreißig Jahre später haben sich die Sozialdemokraten davon weit entfernt. Bereits 2009 haben sie ein neues Grundsatzpapier verfasst, das Hamburger Programm. Von Ökologie ist darin kaum mehr die Rede, dafür viel von der schwammigen Nachhaltigkeit. "Unser Verständnis von Fortschritt im 21. Jahrhundert verlangt die Verbindung von sozialer, ökonomischer und ökologischer Verantwortung", steht darin.

Wer möchte da schon nein sagen?

Doch die Formulierung kaschiert die Zielkonflikte, mit denen die SPD nun zu kämpfen hat. Denn was der Umwelt dient, kann durchaus Unternehmen schaden. Was der Wirtschaft hilft, muss nicht sozial sein. Mehr noch: Was aus nationaler Sicht "sozial" ist, kann international zu massiven Ungerechtigkeiten führen, etwa durch einen beschleunigten Klimawandel. Was betriebswirtschaftlich Sinn macht, kann gesamtwirtschaftlich schaden. In ihrem Berliner Programm hatten die Sozialdemokraten das noch erkannt. Im Hamburger nicht mehr. Was ist geschehen?

Es liegt im Wesen des technischen Fortschritts, dass er Sache der Avantgarde, der Jungen ist. Ganze Elterngenerationen lassen sich von ihren Nachkommen die neueste Technik erklären. Wer in jungen Jahren an der Spitze des Fortschritts stand, kann ihm in späteren dennoch hinterherhängen. Im Falle der Sozialdemokraten (Durchschnittsalter: knapp 60) spielt da noch eine gewisse Nostalgie mit. Es ist noch gar nicht lange her, da trug die SPD-Hymne der Knappenchor aus dem Ruhrgebiet vor. Und danach das Steigerlied.

Die strauchelnde Partei klammert sich an ihre Wurzeln

So klammert sich eine strauchelnde SPD an ihre Wurzeln - und auch an die Gewerkschaften. Auch sie standen lange für Fortschritt, vor allem in sozialer und emanzipatorischer Hinsicht. Im Dreiklang von Ökologie, Ökonomie und Sozialem aber stehen sie in den seltensten Fällen auf der Seite der Ökologie. Für die Beschäftigten zählt die wirtschaftliche Lage ihres Betriebes; und die Dividende, die sie in Tarifverhandlungen in Form von Lohnsteigerungen oder Arbeitszeitverkürzungen abwirft. Jede Transformation, jeder Strukturwandel aber bedeutet für Gewerkschaften Einbußen: Sie lässt die Mitgliederzahlen schrumpfen.

Im Falle von Kohlestrom-Ausstieg und der Bergbaugewerkschaft IG BCE bedeutet das: Was an Energie-Kollegen in Kraftwerken und Tagebauen verloren geht, wird ihnen aus Wind- und Solarparks nicht wieder zuwachsen; selbst wenn dort viel mehr neue Jobs entstehen, als in der alten Industrie wegfallen. So werden Gewerkschaften und betroffene Unternehmen zu natürlichen Verbündeten im Kampf um das Bestehende.

Nur für Umwelt und Fortschritt bleibt da kein Platz mehr.

Genau darin liegt die Gefahr für die Sozialdemokraten. Sie machen Angebote für das Gestern und die Gegenwart, aber nicht für die Zukunft. Das würde verlangen, dass sie den grünen Umbau der Wirtschaft entschlossen anpacken, statt die graue Vergangenheit möglichst lange hinauszuzögern. Und das auch um des eigenen Überlebens willen: Denn die Transformation, sei es die digitale oder die ökologische, wird im Zweifel nicht auf die Sozialdemokraten warten.

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Illustration: Sead Mujic

Die nächste große Baustelle bahnt sich schon an, diesmal mit der Zukunft der Automobilindustrie. Alternative, aber auch saubere Antriebsformen werden zunehmend das Geschäftsmodell der deutschen Industrie aushöhlen. Und wo steht dann die SPD? Klare Sache, bei Industrie und Beschäftigten. Das Neue, das entsteht jenseits der Partei des Fortschritts.

Es gibt in Partei und Fraktion Leute, die das sehen: die Umweltpolitiker. "Aus der grünen Frage ist längst eine rote geworden", sagt Svenja Schulze, die Bundesumweltministerin. Es gehe nun vor allem darum, die sozialen Folgen "ökologisch notwendiger Strukturwandelprozesse" zu gestalten. Recht hat sie. Allerdings müssen viele ihrer Parteifreunde die ökologischen Notwendigkeiten erst anerkennen.

Es braucht gar keine "Blutgrätsche", ein klarer Kurs würde schon reichen

Hans-Jochen Vogel und Erhard Eppler, nicht mehr die Jüngsten unter den Köpfen der Partei, widmeten der Frage jüngst einen Beitrag in der SPD-Zeitung Vorwärts. "Es muss Kernpunkte geben, die unser Profil deutlich erkennen lassen", mahnten sie - und führten die drei wichtigsten auf. An Nummer eins: die "drohende Zerstörung der Natur". Zentrale Aufgabe der Sozialdemokratie ist es "soziale und ökologische Gerechtigkeit miteinander zu verbinden", forderten Vogel und Eppler. "Notwendig ist ein neues Fortschrittsverständnis, das nicht auf eine technisch-ökonomischen Linearität aufbaut, sondern auf der Leitidee der Nachhaltigkeit." Der Beitrag erschien wenige Tage, bevor Andrea Nahles die "Blutgrätsche gegen die Braunkohle" ausschloss.

Dabei braucht es gar keine "Blutgrätsche", ein klarer Kurs würde schon reichen. In Zeiten von Klimakrise und Digitalisierung, von globaler Vernetzung und weltweitem Innovationswettbewerb stehen die Sozialdemokraten vor einer Grundsatzfrage: Sie müssen ihr Verhältnis zum Fortschritt klären. Fortschritt kann nicht darin liegen, noch ein paar Jahrzehnte länger Braunkohle in Kraftwerken und Öl in Verbrennungsmotoren zu verbrennen - nicht, wenn gleichzeitig die Vernünftigen der Erde eine Abkehr von fossilen Rohstoffen verfolgen. Fortschritt bedeutet Offenheit für Wandel, ohne jedem Trend hinterherzulaufen. Jeder Wandel wird Verlierer haben. Fortschritt bedeutet nicht, sie im Stich zu lassen.

Die SPD, die in Nordrhein-Westfalen an der Seite von Kohlekumpels und Industriegewerkschaften kämpft, hat im Bund dafür immerhin das Ziel eines Klimaschutz-Gesetzes ins Auge gefasst. Nur bleibt eben unklar, welches der Anliegen für sie schwerer wiegt. In der praktischen Politik der SPD ist von Ökologie nicht viel zu sehen.

Dabei brauchen sie einander. Die SPD braucht die Ökologie für ihr politisches Profil, um nicht vollends im Schatten der Grünen zu landen. Allein mit Industriearbeitern (die längst nicht mehr zwingend SPD wählen) wird sie nie mehr eine Wahl gewinnen. Und die Ökologie braucht die SPD - samt ihrer Fähigkeit, auch im Wandel sozialen Ausgleich herzustellen.

Die Bedrohung des Planeten ist größer als die für Jobs von gestern. Die Tradition der Sozialdemokratie ist zu groß, um ausgerechnet daran zu scheitern.

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