Samstagsessay:Die Gedopten

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Chinas Konzerne gehen mit viel Geld auf Einkaufstour. Es ist ein ungleicher Kampf. Wenn sich Europa nicht wappnet, sind die besten Produkte bald in fremder Hand.

Von Christoph Giesen

Was musste sich Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel in den vergangenen Tagen nicht alles anhören: Er solle sich unterstehen, einzugreifen, Deutschland habe von der Globalisierung profitiert wie kaum ein anderes Land, da müsse man sich nun einmal an die Regeln einer offenen Volkswirtschaft halten, wetterten die Marktliberalen. Und führten natürlich ihr Lieblingsbeispiel an: Im Gegensatz zu Frankreich sei Deutschland auch deshalb wirtschaftlich erfolgreicher, weil sich die Politik eben nicht einmische.

Der Grund für die Aufregung: Die jüngste Serie von chinesischen Übernahmen in Europa. Der Reifenhersteller Pirelli ist schon chinesisch, der Schweizer Agrarkonzern Syngenta dürfte es bald sein und nun schickt sich der chinesische Haushaltsgerätehersteller Midea an, den Augsburger Roboterproduzenten Kuka zu übernehmen. 115 Euro pro Aktie bietet Midea. 4,6 Milliarden Euro wäre Kuka demnach wert - ein sehr hohes Angebot.

In der Bundesregierung regte sich dagegen Widerstand, Kuka gilt schließlich als Vorreiterunternehmen der Industrie 4.0 und diese ist für die deutsche Wirtschaft enorm wichtig. Auf keinen Fall möchte man bei der zweiten Welle der Digitalisierung den Anschluss verpassen wie etwa beim Internet, dessen Gründungsboom weitestgehend im Silicon Valley stattgefunden hat. Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel und sein Staatssekretär telefonierten deswegen in den vergangenen Wochen die europäische Industrie ab, um ein Gegenangebot für Kuka zu organisieren. Siemens, die Autoindustrie, alle sagten sie ab. Als dann Gabriels Anrufe ruchbar wurden, brach ein Sturm der Entrüstung los.

Nur wenige wagen es offen, Gabriel zu unterstützen. Andreas Ritzenhoff gehört dazu. Der Marburger Unternehmer stellt LED-Lampen her. Seine Firma Carus hat er durchoptimiert. Die Fertigung ist hochautomatisiert, die Personalkosten machen gerade einmal sieben Prozent des Produkts aus, mehr geht nicht. "Trotzdem werden wir mit chinesischen Dumpingpreisen zum Teil bis zu 70 Prozent unterboten, ohne staatliche Subventionen geht das nicht", sagt er. "China hat eine staatlich gelenkte Wirtschaftspolitik, und keine Marktwirtschaft. Es ist Aufgabe der Politik, hier für ausgewogene Verhältnisse zu sorgen!" Recht hat er.

Sieht aus wie ein freies Spiel der Kräfte. Aber im Hintergrund kontrolliert Peking

Es mag stimmen, dass Gabriels Versuch, einen anderen Investor zu finden, ein wenig plump wirkt und im Falle von Kuka wahrscheinlich zu spät kommt, der Umgang mit chinesischen Offerten muss dennoch endlich einmal diskutiert werden.

Richtig ist, dass chinesische Konzerne bei Übernahmen in Europa nach den westlichen Regeln spielen. Sie geben ein Angebot ab und echtes Geld fließt. Das war es aber auch schon. Wäre es ein sportlicher Wettkampf müsste man von Doping sprechen - Staatsdoping, systematisch wie einst bei den Sportlern des Ostblocks. Kein börsennotiertes Unternehmen hierzulande könnte ein Angebot wie Midea für Kuka vorlegen, ohne Klagen von Aktionären fürchten zu müssen. Gut 17 Mal der Vorsteuergewinn ist Kuka den Chinesen wert. Dasselbe Dilemma ergibt sich bei der Finanzierung.

Privatwirtschaftliche Unternehmen in China mögen auf den ersten Blick wenig mit dem Staat zu tun haben, viele sind schließlich an der Börse notiert. Dennoch ist die Interaktion mit den Behörden enorm. Viele Firmenchefs sitzen in Gremien der Kommunistischen Partei, und wenn es um Kredite geht, entscheiden Chinas Staatsbanken über Wohl und Wehe. Und spätestens die Chefs dieser Institute sind ganz nah an der Macht.

Auf den Schreibtischen der Banken-Bosse stehen spezielle Telefone, die "roten Maschinen" werden sie in China genannt. Der Parteichef hat einen solchen Apparat, genauso sämtliche Minister, die Chefredakteure der auflagenstärksten Zeitungen und eben die Vorstandsvorsitzenden der wichtigsten Staatskonzerne. Etwa 300 Anschlüsse hat das exklusivste Netzwerk des Landes. Übertragt man das einmal auf Deutschland, wären Siemens-Obmann Joe Kaeser und Daimler-Boss Dieter Zetsche Staatsmanager im Rang von Vize-Ministern und hätten zu springen, wenn Minister Gabriel die entsprechenden vierstelligen Nummern auf seinem roten Telefon wählt.

Illustration: Stefan Dimitrov (Foto: Stefan Dimitrov)

Einer der Gründe für die aggressive Einkaufstour ist die eigene wirtschaftliche Schwäche. Das vom Export getriebene Wachstumsmodell Chinas ist an seine Grenzen gestoßen. Mit 6,7 Prozent wächst die Wirtschaft vor allem nur noch deshalb, weil die Regierung die Staatsausgaben massiv erhöht hat. Die Sorge der Führung in Peking: Ein abflachendes Wachstum könnte zu Massenentlassungen führen. Der Pakt zwischen Partei und Bevölkerung, Wachstum statt Mitbestimmung, wäre dann aufgekündigt. Um das zu vermeiden, muss Chinas Wirtschaft innovativer und grüner werden. Notfalls durch Zukäufe.

Doch warum bietet ausgerechnet ein Unternehmen, das bislang Mikrowellen, Herde und Kühlschränke für den chinesischen Massenmarkt fertigte, für einen Roboterhersteller, der vor allem die Autoindustrie beliefert?

Seit etwa einem Jahr propagiert die Kommunistische Partei ihre sogenannte "Made in China 2025"-Strategie. Es ist das chinesische Pendant zur deutschen Industrie 4.0, also die Digitalisierung der Produktion. Für viele chinesische Unternehmen ist diese Strategie ein staatlicher Einkaufszettel. Denn: Chinesische Unternehmen, die bei der angestrebten industriellen Digitalisierung vorne liegen, dürften sich großzügige staatliche Subventionen und Aufträge erhoffen. Sollte Kuka also an Midea gehen, ist eine enge Kooperation mit Chinas Behörden unausweichlich.

Welche Möglichkeiten bleiben, um auf die Einkaufstour zu reagieren? Die deutschen Werkzeuge, sie sind stumpf. Das Außenhandelswirtschaftsgesetz mag bei Rüstungsunternehmen oder Energiekonzernen greifen, aber bei einer Roboterfirma wird es eng. Auch das Kartellrecht ist chinesischen Übernahmen nicht gewachsen. Bis vor wenigen Jahren verfolgten Chinas Firmen in Europa vor allem eine Nischenstrategie, die großen chinesischen Übernahmen fanden in den vergangenen Jahren eher unbeachtet im Bergbau und der Ölförderung in Afrika und Südamerika statt. Auch in Deutschland blieben die Deals lange Zeit unter dem Radar, ein Mittelständler hier, ein anderer dort.

Doch schaut man sich die Käufe der vergangenen Jahre einmal an, fallen Muster auf. Etliche Werkzeugmaschinenhersteller wurden gekauft. Auch der Markt für Betonpumpen ist inzwischen fest in chinesischer Hand. Anfang 2012 kaufte der chinesische Konzern Sany den deutschen Hersteller Putzmeister für 360 Millionen Euro. Wenig später ging auch der Konkurrent Schwing an ein Unternehmen aus der Volksrepublik. Kein Wolkenkratzer auf der Welt kann inzwischen ohne Hilfe aus China gebaut werden. Mehr und mehr Branchen werden dazukommen. Durchmonopolisiert und chinesisch kontrolliert.

Die Firmen vom Alten Kontinent fühlen sich benachteiligt

Das europäische Kartellrecht urteilt nicht nach Herkunftsländern, sondern gibt vor, die Marktanteile von Unternehmen zu bewerten und notfalls einzuschreiten. Doch wie sollen die Kartellwächter vorgehen, wenn wie im Fall von Kuka nicht ein Wettbewerber ein Angebot vorlegt, sondern ein branchenfremdes Unternehmen, dass Haushaltsgeräte fertigt und eben keine Roboter? Mit diesem simplen Trick lassen sich sämtliche Hürden umgehen, eine Novelle muss her!

Während in Deutschland darüber diskutiert wird, chinesische Unternehmen gleich zu behandeln, sieht die Realität in der Volksrepublik anders aus. Mehr als jedes zweite Unternehmen aus Europa fühlt sich einer aktuellen Befragung der Europäischen Handelskammer im Vergleich zu chinesischen Wettbewerbern benachteiligt. Beispiele dafür gibt es etliche.

Die Banken. China ist seit 2001 Mitglied der Welthandelsorganisation (WHO), die Volksrepublik verpflichtet sich also, ausländischen Unternehmen dieselben Marktzugänge zu gewähren wie einheimischen Firmen. Kurz vor dem WHO-Beitritt erließ die Regierung in Peking ein Gesetz, das es Banken gestattet, pro Jahr lediglich zwei weitere Städte mit neuen Filialen zu erschließen. Käme man also heute in einer Vorstandssitzung in Frankfurt oder London auf die Idee, den chinesischen Markt zu erobern, müsste man etwa 80 Jahre einplanen, um überhaupt in jeder Millionenstadt Chinas eine Filiale zu unterhalten. Natürlich gelten diese Regeln auch für die Staatsbanken, jedoch haben diese längst ein dichtes Netz und machen das Geschäft.

Ähnlich sieht es inzwischen in der Medizintechnik aus. Chinesische Krankenhäuser kaufen ihre Gerätezunehmend bei lokalen Anbietern ein. Die Ausschreibungen dazu sind oft so verfasst, dass Wettbewerber wie Siemens, General Electric und Philips keine Chance haben, ihre Computertomografen und MRT-Scanner loszuwerden, und das, obwohl die chinesische Anlagen technisch noch deutlich schwächer sind. In vielen Fällen stammen die Produkte nicht einmal von den Unternehmen selbst: Die Grundlagenforschung, die Konzerne Milliarden kostet, wird gerne an Universitäten ausgelagert. Die Ergebnisse gibt es dann für lau.

Zunehmend drängen chinesische Hersteller auch auf die internationalen Märkte, zum Beispiel bei U-Bahn-Projekten oder Hochgeschwindigkeitszügen. Im Unterschied zu den etablierten Herstellern, treten im Ausland oft chinesische Konsortien auf. Flankenschutz gibt es von der Politik. Aber nicht nur das. Statt einfach nur Züge zu liefern, offerieren die Konsortien ein Gesamtpaket. Die Gleise, die Bahnhöfe, die Signaltechnik, dazu eine Horde Wanderarbeiter, die den Bau kostengünstig und in Rekordzeit übernimmt. Finanziert wird das ganze dann von einer chinesischen Staatsbank.

Die Konkurrenz aus dem Westen hat dann eigentlich nur eine Chance gegen die Gedopten: die besseren Produkte. Doch wenn die Technologieführer systematisch aufgekauft werden, sind die entscheidenden Produkte auch bald chinesisch. Und dieser Prozess hat schon begonnen.

© SZ vom 11.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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