Internet:Die Digitalisierung ist der größte Gleichmacher unserer Zeit

CeBIT

Das Internet hat bereits einen gewaltigen Beitrag zur Gleichheit geleistet.

(Foto: Peter Steffen/dpa)

Mehr Chancen, bessere Jobs, faire Bezahlung und größere Gesundheit. Die Digitalisierung kann unser Leben und Arbeiten dauerhaft zum Besseren verändern. Doch dafür müssen wir die Veränderung annehmen.

Von Guido Bohsem

Als Apple am 29. Juni 2007 das iPhone präsentierte, war das ein Aufbruch in eine neue Zeit. Die Digitalisierung hatte ihren bislang sichtbarsten Ausdruck gefunden. Das Gerät machte einen neuen Zugang zu den Informationen der Welt möglich, die nun an jedem Ort verfügbar waren (mit Ausnahme der Bahnstrecke von Hamburg nach Berlin vielleicht). Das Smartphone steht wie kaum ein anderes Instrument für die Vernetzung der Menschen untereinander, und es steht für die Vernetzung der Maschinen. Es war die erste globale Manifestation des Internet of Everything. Galt das Smartphone anfangs als Luxus, gibt es inzwischen Geräte, die weniger als 85 Euro kosten und jede Menge leisten. Aus dem Spielzeug einer digitalen Elite ist ein Produkt geworden, das jeder nutzen kann.

Die Verfügbarkeit des Smartphones ist beispielhaft für einen zentralen Effekt, den die Digitalisierung auf die Gesellschaft hat. Sie macht sie gleicher, auch gerechter. Die Digitalisierung ist der größte Gleichmacher unserer Zeit. Sie revolutioniert Produktionsprozesse, sie automatisiert Abläufe und macht alle freier.

Geht es um Gleichheit, richtet sich das Augenmerk vor allem auf die großen Unterschiede beim Einkommen und beim Vermögen. Doch dabei wird oft vergessen, dass zum Thema Gleichheit auch die sogenannte Teilhabe gehört. Gleichheit definiert sich eben nicht nur im Unterschied von Arm und Reich, sondern auch über den Zugang zu Bildung, Information, kulturellen Leistungen, ja, sogar über die Möglichkeit Konsumgüter zu erhalten. Gleichheit hat mit gleichen Chancen zu tun. Die Chance auf den guten oder besseren Job, die Möglichkeit, seine Arbeit mit der Familie zu verbinden, die Gelegenheit, sein begrenztes Umfeld zu weiten und neue Wege zu entdecken und zu gehen.

Das Internet hilft auch dabei, die Chancen von Frauen im Arbeitsleben zu verbessern

Das Internet hat bereits einen gewaltigen Beitrag zur Gleichheit geleistet. Einst war der große Brockhaus der teure Stolz im Bücherschrank eines jeden bildungsbürgerlichen Haushalts. Heute stellt das Internet das Wissen der Welt kostenlos zur Verfügung. Der Brockhaus passt in die Hosentasche. Es gibt ihn inzwischen nämlich auch als App.

Wer möchte, kann sich über das Internet für wenig Geld in die Vorlesungen der besten Universitäten der Welt einschreiben. Man kann umsonst Konzerte hören, an Theaterabenden teilhaben, Filme schauen, Nachrichten lesen. Ja, sogar Amazon hat zu mehr Gleichheit beigetragen. Wer in den 90er-Jahren auf dem Land lebte, musste noch lange Wege in die nächste Stadt auf sich nehmen, um seltene oder ungewöhnliche Dinge kaufen zu können. Heute ist auch das exotischste Produkt in ungeheurer Vielfalt leicht zu erstehen. Es ist nur noch einen Click entfernt.

Dieser Trend zu mehr Gleichheit wird sich fortsetzen, je mehr die Digitalisierung voranschreitet und je mehr die Menschen lernen, das Internet nicht nur für lustige Filmchen, den Austausch von Belanglosigkeiten oder den Konsum von Pornografie zu nutzen. Zentral wird sein, dass die Digitalisierung unsere Arbeitswelt entscheidend verbessern und für mehr Gerechtigkeit sorgen wird.

Trotz der Aussicht auf eine bessere Welt sind die Menschen nicht zuversichtlich

Ein paar Beispiele: Schon in den vergangenen Jahrzehnten ist die Zahl der Menschen, die im Job zu Tode kommen, deutlich gesunken. Das hat auch damit zu tun, dass Maschinen die wirklich gefährlichen Arbeiten übernehmen. Sie werden das in Zukunft noch viel häufiger tun, weil die Fortschritte in der Entwicklung von leistungsfähigen Robotern und Sensoren sie noch besser dazu in die Lage versetzen werden. Die neue Technik wird somit eine Ungleichheit der Arbeitswelt beseitigen, die in sicherere und gefährliche Jobs geteilt war.

Die Digitalisierung wird die Gleichheit von Frau und Mann fördern. Eine immer intensivere Zusammenarbeit von Mensch und Maschine ermöglicht es zudem Frauen, in Arbeitswelten vorzudringen, die derzeit zumeist nur Männern offenstehen - einfach, weil sie physisch zu anstrengend sind. Je enger Menschen mit Maschinen zusammenarbeiten können, desto weniger Kraft braucht der Mensch und desto geringer ist der Unterschied, ob ein Mann oder eine Frau den Job erledigt.

Auch für die Familie werden sich die neuen technologischen Möglichkeiten segensreich auswirken. Die Digitalisierung führt schon jetzt dazu, dass sich Tätigkeiten zu Hause erledigen lassen, für die früher die Fahrt ins Büro notwendig war. Das lässt mehr Raum für die Betreuung der Kinder. Dabei geht es nicht nur um ein Mehr an Heimarbeit. Nein, interessant dürften vor allem die Mischformen werden - weil es leichter möglich ist, Arbeitszeit flexibel über den Tag zu verteilen. Beim Technologieführer Bosch kann man jetzt früher Schluss machen, um sich bis 20 Uhr um die Kinder zu kümmern und dann die Zeit am Abend nachholen.

Formale Bildung ist für die Arbeitnehmer der Digitalbranche unwichtiger denn je. Die Unterschiede zwischen Menschen mit und ohne Abschluss verschwinden. So muss ein Programmierer bei Paypal im Südwesten Berlins keinen Abschluss mehr vorweisen. Es zählen nur noch zwei Qualifikationen: Er muss Englisch sprechen und im Vorstellungsgespräch demonstrieren, dass er ein Programm-Problem möglichst technisch elegant lösen kann.

Aber auch das tägliche Leben wird durch die Digitalisierung fairer und gerechter. Sie wird zum Beispiel im Gesundheitswesen dazu führen, dass Patienten besser behandelt werden - egal, welchen gesellschaftlichen Status sie haben. Gibt es erst einmal die elektronische Patientenakte, auf der alle Unterlagen des Patienten gesammelt sind, wird der Unterschied zwischen Patienten mit guten und nicht so guten Kenntnissen von medizinischen Abläufen eingeebnet. Wer sich auskennt, lehnt schon jetzt das doppelte und dreifache Röntgenbild ab und verweist auf ältere Aufnahmen. Mit der Patientenakte wird das unnötig, weil der Arzt das notwendige Bild sofort vor sich hat. Schon heute gibt es zudem Krankenhäuser, die Röntgenbilder und Aufnahmen aus dem CT nicht mehr nur von den eigenen Ärzten begutachten lassen. Sie schicken die problematischen Fälle zu den Besten ihres Fachs. Gut behandelt wird nicht mehr nur der, der zufällig in der Nähe des Spezialisten wohnt. Der Spezialist ist auch für Menschen in ländlichen Regionen verfügbar.

Die Liste ließe sich weiter fortsetzen. Die Aussichten sind großartig. Trotz der Aussicht auf eine bessere Welt sind die Menschen nicht zuversichtlich, sondern sorgen sich. 70 Prozent der Europäer glauben, dass Roboter ihnen die Arbeit wegnähmen. 40 Prozent der Deutschen meinen pauschal, dass die Digitalisierung sich negativ auswirken werde.

Das Problem des digitalen Wandels ist seine Geschwindigkeit

Nun verbanden sich neue Erfindungen und technischer Wandel zu allen Zeiten mit Sorgen oder Ängsten. Jedoch waren sie meistens unberechtigt. Auf dieses Muster jedenfalls ist Harvard-Professor Calestous Juma gestoßen, der sich für sein jüngstes Buch 600 Jahre Technologiegeschichte angesehen hat. Doch ist die Angst vor dem Neuen nur ein Teil seiner Analyse. Laut Juma ist die Angst nur deshalb aufgekommen, weil es stets eine einflussreiche Gruppe gab, die Nachteile durch die Entwicklung zu befürchten hatte und deshalb die Ängste förderte.

So wehrte sich das Osmanische Reich gegen den Buchdruck, zunächst um die Arbeit der hochgeschätzten Kalligrafen zu schützen und später - unter dem Eindruck des päpstlichen Machtverlusts - um ihre auch in der Religion fußende Macht zu erhalten. In England beförderte Charles II. das Gerücht, dass Kaffee die Fruchtbarkeit von Frauen gefährde. Seine wahre Absicht war es aber, ein kürzlich aufgeblühtes Kolonial-Geschäft nicht zu gefährden. Aus diesem Grund sind die Briten immer noch eine Nation der Teetrinker.

Die Skeptiker sehen in Computern und Robotern vor allem Jobkiller

Die politischen und wirtschaftlichen Interessen der Digitalisierungs-Skeptiker liegen auf der Hand. So ist zum Beispiel das schwindende Vertrauen in politische und gesellschaftliche Instanzen auch eine Folge der Gleichmacherei des Internets. Wenn seriöse Studien gleichrangig neben verschwörerischem Blödsinn stehen, sieht manch einer nicht mehr, was nun richtig oder falsch ist.

Verbreitet ist vor allem die Furcht, die Roboter würden den Menschen die Arbeit wegnehmen, dass die Maschinen Job-Killer werden. Sie wird beflügelt durch eine einflussreiche Studie der Oxford-Wissenschaftler Carl Frey und Michael Osborne aus dem Jahr 2013. Darin postulieren die Wissenschaftler, dass die Digitalisierung 47 Prozent der Jobs überflüssig machen werde. Inzwischen wurde ihre These von zahlreichen anderen Untersuchungen infrage gestellt, die in der Regel sogar mehr Jobs durch die Digitalisierung erwarten.

Die Kritiker der Jobkiller-These verweisen auf die Wirtschaftsgeschichte. So sagt der Kölner Ökonom Steffen Roth, "die Angst, dass uns die Beschäftigung ausgeht, ist empirisch völlig unbegründet". Im Gegenteil, in der Vergangenheit sei es bislang immer so gewesen, dass eintönige und gefährliche Arbeit durch angenehmere und sicherere Jobs abgelöst worden sei.

Das Problem des digitalen Wandels ist nicht der Wandel an sich. Es ist seine Geschwindigkeit. Ändert sich die Berufswelt langsam, kommt es auch bei den Beschäftigten zu wenig Ausfällen. Die Frage wird sein, ob die Arbeitnehmer damit Schritt halten können. Denn so einfach ist es nicht, eine ganz neue Tätigkeit zu lernen und das schon gar nicht mehrmals im Berufsleben. Das geht nur mit grundlegender Bildung und stetiger Fortbildung im Sinn der Digitalisierung.

Es gibt noch einiges zu tun, damit der Gleichmacher Digitalisierung nicht zum Jobkiller wird. In vielen Ländern gehören Codieren und Programmieren bereits zur Grundschulbildung, etwa in Estland, Belgien oder Finnland. Der Umgang mit Algorithmen wird gelehrt. Die US-Universität Stanford erarbeitet derzeit zusammen mit Google ein Programm, das schon Kindergarten-Kindern spielerisch die Denkstrukturen des sogenannten Codings beibringt. Hierzulande hat das Schulsystem noch nicht auf den zukünftigen Bedarf reagiert. Das ist gefährlich, weil dieses digitale Grundwissen eine große Rolle in den neuen Jobs spielen wird. Wachsen die Kinder ohne auf, werden sie auch in der gleicheren, digitalen Welt benachteiligt.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: