Samstagsessay:Benzinrepublik Deutschland

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Illustration: Sara Scholz (Foto: Illustration: Sara Scholz)

Die großen Autohersteller haben nur geringe Chancen, in der Mobilität von morgen führend zu sein. Während Start-ups sich voll aufs E-Auto konzentrieren, hängen hierzulande Hunderttausende Jobs am Verbrenner.

Von Karl-Heinz Büschemann

Jetzt machen sie wieder Versprechungen. Die deutschen Automanager stellen sich dem Eindruck entgegen, die Schlafmützen der Nation zu sein. Sie erklären in diesen Wochen in einem Ankündigungswettstreit, wie sie die Kurve kriegen und die Zukunft des Autos gestalten wollen. Sie nehmen Anlauf zur großen Aufholjagd.

Die ewigen Rivalen Daimler und BMW wollen beim autonomen Fahren ihre Konkurrenz vergessen und zusammenarbeiten. Daimler plant, dem kometenhaft aufsteigenden US-Unternehmen Tesla einen eigenen E-Sportwagen entgegenzusetzen, und BMW will bis 2021 ein autonomes Fahrzeug auf der Straße haben. Volkswagen kündigt an, bis 2023 rund 30 Milliarden Euro in die moderne E-Mobilität zu investieren. Der Traditionskonzern der Ingenieure beruft stolz einen eigenen Vorstand für Digitales.

Es hat sich herumgesprochen, dass die Autoindustrie vor einem Umbruch steht. Weniger klar ist, ob VW, Daimler und BMW sowie ihre Zulieferer, die gemeinsam einen Großteil zum Exportvolumen und zum Wohlstand der Deutschen beitragen, auch noch ein Wörtchen mitreden können, wenn sich die Autowelt vom Verbrennungsmotor zunehmend verabschiedet und das Stromauto so richtig Fahrt aufnimmt.

Die Zukunft der deutschen Autokonzerne ist unsicher. Zu groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie das Rennen um die Mobilität der Zukunft verlieren werden. Die Deutschen müssen sich also Sorgen machen. Wenn es dem Zellkern des Wohlstands schlecht geht, hat das Folgen für die gesamte Volkswirtschaft. Nicht umsonst machen sich Gewerkschafter laut Sorgen um die Arbeitsplätze in der PS-Branche. Selbst der seit knapp einem Jahr amtierende VW-Chef Herbert Diess glaubt, dass die deutschen Hersteller höchstens eine Chance von 50 Prozent haben, in der künftigen Digitalmobilität vorn zu liegen, weil die Zahl der Konkurrenten wächst: "Mit dem Einzug von Software, Apps und speziellen Diensten im Auto, ist es jetzt möglich geworden, dass auch Anbieter aus anderen Branchen in die Automobilfertigung hineindrängen."

Kürzlich rüttelte die Financial Times die Autobranche wach: Die Zeitung schrieb, das Auto von morgen werde kein konventionelles Fahrzeug mehr sein, sondern ein iPhone auf Rädern. Es sei noch unklar, wer es bauen werde. Der Markt sei aber ziemlich sicher: "Es werden nicht die Deutschen sein." Das sind bittere Erkenntnisse für eine Branche, die in diesem Land knapp eine Million Arbeitsplätze stellt, die zwei Drittel ihres Umsatzes im Ausland erzielt und für etwa ein Fünftel des Weltautomarktes verantwortlich zeichnet.

Die unsichere Zukunft der Erfolgsbranche ist für Mitarbeiter, Gewerkschafter und Politiker ein Albtraum. Auch in Berlin wächst die Nervosität. Immer neue Ideen werden verkündet, wie die Politik der Schlüsselindustrie helfen müsste. Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) verlässt inzwischen sogar den - in seinem Ministerium bislang heiligen - Pfad der Markt-Tugend und plant staatlich verordnete Hilfe: Er will der Branche eine Batteriefabrik finanzieren. Bloß nicht den Absturz der Stolzindustrie riskieren, so lautet in etwa die Berliner Handlungsmaxime, weil schon in den nächsten 15 Jahren mehr als 100 000 Jobs verschwunden sein könnten, sollte der erwartete Siegeszug des E-Autos kommen.

Vom Staat geschützte Industrien werden allzu oft bequem

Die Erfahrung zeigt jedoch, dass vom Staat geschützte Industrien bequem werden und dem Wettbewerb erst recht nicht mehr gewachsen sind. So erhöhen die Politiker das Risiko einer Branche, der sie zur Hilfe eilen wollen.

Ein Blick in die Geschichte gibt Anlass zu Pessimismus. Unzählige Unternehmen, die sich für unersetzlich hielten, stürzten ab, weil sich eine neue Technologie etablierte und die alten Branchenvertreter mitleidlos aus dem Markt warf. Vor mehr als hundert Jahren waren es die Kutschenbauer, die Probleme bekamen. Grund waren die neuen Motorwagen eines gewissen Carl Benz. Und auch in anderen Fällen hatte der technologische Fortschritt kein Mitleid mit großen Namen und ließ Weltkonzerne verschwinden. Der Foto-Riese Kodak verschlief den Übergang zur digitalen Fotografie und ging pleite. Vor einem Jahrzehnt kam Nokia, der finnische Weltmarktführer für Handys unter die Räder, weil Apple das Smartphone erfand. Und erst kürzlich musste der US-Handelskonzern Sears wegen der zunehmenden Online-Konkurrenz Insolvenz anmelden; eine über 100 Jahre alte Ikone der US-Wirtschaft.

Für die abgestürzten Unternehmen und ihre Mitarbeiter ist das ein Drama. Für die Volkswirtschaft nicht unbedingt. Wo eine Technologie verschwindet, nimmt eine neue ihren Platz ein. Die Wirtschaft wird durcheinandergewirbelt. Das Wachstum geht weiter. Die Frage ist allerdings, ob der Ersatz für deutsche Autoarbeitsplätze bei heimischen Batterie- oder Softwarefirmen entstehen wird, oder ob die Jobs abwandern nach China oder Amerika, wo man in der Entwicklung viel weiter ist.

Werden die Autohersteller nun also zwangsweise zum Opfer neuer Technologien? Nein, sagen erwartungsgemäß die Manager. Aber auch Nikolaus Lang von der Beratungsgesellschaft Boston Consulting Group ist nicht dieser Meinung. Es habe sich bei den Unternehmen zuletzt vieles zum Positiven verändert. Die Entwicklung des autonomen Fahrens sei sehr teuer. Und: "Das Geld dafür haben nur die großen Autohersteller."

Trotzdem werden sie es schwer haben. Der Harvard-Betriebswirtschaftler Clayton M. Christensen hat bereits vor zwei Jahrzehnten untersucht, warum erfolgreiche Unternehmen durch technologische Brüche selbst zu Bruch gehen. Seine erstaunliche Erklärung: Sie fliegen vom Markt, weil sie nach dem Lehrbuch handeln. Weil sie anscheinend alles richtig machen. "Diese Unternehmen waren so gut geführt, wie sie von Managern nur geführt werden können."

Und das soll ein Fehler sein? Christensen belegt, dass "in allen Fällen richtiges und gutes Management zum Scheitern führte". Gerade weil sich die Firmen kundenorientiert gezeigt hätten, weil sie aggressiv in neue Technologien investierten, hätten sie "ihre führende Position" verloren. Seine Empfehlung klingt ungewöhnlich: Hört nicht auf eure Kunden, die immer bessere Produkte wollen. Probiert mehr herum. Leider kann Christensen nur im Nachhinein erklären, warum erfolgreiche Firmen an der Zukunft zerschellen. Ein Rezept, wie Abstürze, etwa von Daimler oder VW, zu verhindern seien, liefert seine Forschung nicht. Nur ein allgemeines: Nicht alles auf eine Karte setzen, mehr Risiken wagen, dem Scheitern mehr Raum geben. Der Harvard-Guru identifiziert den bestehenden Erfolg als Hauptrisiko: "Für die Führungskräfte ist es ungemein schwierig, disruptive Innovationsprojekte zu verfolgen, so lange es finanziell attraktive Alternativen gibt."

Dieses Problem kennt auch der Siemens-Innovationsexperte Ulrich Wöhrl. Er soll dem Münchner Konzern in dessen Forschungszentrum den Weg zu Innovationen weisen, mit denen er künftig seine Geschäfte machen kann. Und was ist das Problem? Es ist die Gegenwart: "Unser Thema ist: Wie bekommen wir tradierte Erfolgsmuster aus den Köpfen heraus?"

Genau das ist das Dilemma der Autokonzerne: Sie verdienen ihr Geld mit Diesel- und Ottomotoren, warum also sollten sie dieses Geschäft für überholt erklären? Das wäre sogar ein Fehler. Die vermeintlichen Antriebe der Vergangenheit werden noch lange gebraucht, um ländliche Regionen der Welt zu motorisieren, in denen heute noch Fahrrad oder Eselskarren dominieren und in denen es kaum Stromnetze oder digitale Infrastruktur gibt.

Elektroautos entwickeln? "Das kann praktisch jeder", sagt ein Ex-BMW-Vorstand

Derlei Rücksicht müssen Neulinge wie Tesla nicht nehmen. Sie stecken sämtliches Geld in den Stromautomarkt. Die deutschen Autokonzerne haben dagegen eine Vergangenheit (und Gegenwart), an der allein bei VW weltweit etwa 600 000 Jobs hängen. Während die deutsche Autoindustrie verkündet, sie stecke Milliarden ins Auto der Zukunft, investiert sie immer noch das Doppelte in Verbrennungsmotoren. Auch die gewaltige Summe von 28 Milliarden Euro, die VW für den beschämenden Dieselskandal aufwenden musste, fehlt für Neuentwicklungen.

Inzwischen wimmelt die globale Mobilitätsindustrie vor Neugründungen, die sich an den Personentransport von morgen heranmachen. Es ist offenbar so einfach, ein E-Auto zu bauen, dass sich Anton Piëch, Sohn des VW-Patriarchen Ferdinand Piëch, zutraut, einen eigenen Sportwagenstromer auf den Markt zu bringen - ganz ohne die Unterstützung des reichen Wolfsburger Erfahrungsschatzes.

Auch Stefan Krause, einst Mitglied im Vorstand von BMW, hat in Los Angeles eine eigene Autofirma mit aufgebaut. Die Neugründung, die rund 200 Mitarbeiter hat, will das erste Auto 2021 auf die Straße bringen. E-Autos zu bauen, sei viel einfacher als herkömmliche Fahrzeuge, sagt Krause: "Das kann praktisch jeder." Etablierte Konzerne hätten dagegen Schwierigkeiten. Sie hätten keine Geduld und seien nicht bereit, die oft langen Verlustzeiten für Neuentwicklungen hinzunehmen. Wäre der US-Hersteller Tesla, der 14 Jahre lang beinahe nur Geld verbrannt hat, eine Tochterfirma von Daimler oder BMW gewesen, hätten die Chefs dem Treiben schnell ein Ende gesetzt, behauptet er. So aber erzeugte Elon Musk, der Tesla-Chef, über den sich deutsche Automanager lange lustig machten, eine Begeisterung für das neue automobile Denken im Internetzeitalter, dass seine Firma an der Börse heute mit knapp 50 Milliarden Dollar bewertet wird, fast so hoch wie BMW.

Die etablierten Konzerne spüren das Kommen schlechter Zeiten bereits an den Börsen. In den vergangenen fünf Jahren haben die Aktien von Daimler etwa 25 Prozent verloren, Volkswagen hat knapp 19 Prozent eingebüßt, BMW etwa elf Prozent. Der Dax hat seit 2014 dagegen um 23 Prozent zugelegt. Diese Verluste sind nicht allein mit drohenden Zöllen oder der Dieselkrise zu erklären, sie haben damit zu tun, dass die Zukunft der einst stolzen deutschen Autoindustrie unsicher geworden ist und damit die schöne Gewissheit der Deutschen, Wohlstands- und Exportweltmeister bleiben zu können.

© SZ vom 09.03.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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