Am Anfang war eine Art kollektive Gehirnwäsche. Keine 20 Jahre ist es her, da beschworen Ökonomen, Rentenexperten, Lobbyisten der Finanzindustrie und Politiker ein neues Mantra: Die gesetzliche Rente, hieß es damals, sei eine "tickende Zeitbombe". Geld in die Rentenkasse einzuzahlen, das sofort wieder an die Rentner ausgezahlt wird, entspreche "dem Vorsorgeprinzip primitiver Gesellschaften, die über keinen leistungsfähigen Kapitalmarkt verfügen", so der Wissenschaftliche Beirat des Bundeswirtschaftsministeriums. Die Bürger müssten mehr privat vorsorgen. Alles andere sei "alternativlos".
Es war die Zeit, als die ARD den Börsenbericht vor der Tagesschau einführte, der Schauspieler Manfred Krug für die Telekom-Aktie im Fernsehen warb und Internetfirmen, die sich später als Luftnummern entpuppten, an der Börse Milliarden wert waren. Carsten Maschmeyer, Chef des wegen seiner Verkaufsmethoden berühmt-berüchtigten Finanzvertriebs AWD, konnte die Riester-Rente mit einer Ölquelle vergleichen: "Sie ist angebohrt, sie ist riesig groß, und sie wird sprudeln." Auf die gesetzliche Rentenversicherung gab in Deutschland kaum noch einer einen Pfifferling.
Kein Auslaufmodell
Die Saat des Zweifels war damit gesät. Die Botschaft, man dürfe nicht auf die gesetzliche Rente vertrauen, entwickelte sich zur selbsterfüllenden Prophezeiung, wurde doch in mehr oder weniger seriösen Umfragen kolportiert, das Vertrauen der Bürger in die Rentenversicherung sinke. Fortan galt die Rente als unsicher. Der frühere Bundesarbeitsminister Norbert Blüm, der einst Plakate klebend die frohe Botschaft "Die Rente ist sicher" verkündete, avancierte zur Witzfigur in Talkshows. Journalisten schrieben, dass die Rente allenfalls reiche, um "Klassenausflüge und Kegelabende" zu finanzieren. Und nun verstieg sich Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer sogar zu der These, die Senkung des Rentenniveaus treibe "etwa die Hälfte der Bevölkerung" in die Sozialhilfe.
Ist die Rentenversicherung also Mist? Bekommen die Jüngeren, die einzahlen, irgendwann sowieso nichts mehr heraus?
Es gibt Gründe, auf die Rentenversicherung draufzuhauen: Aber sie ist kein Auslaufmodell und viel besser als ihr Ruf.
Man muss dem quirligen Herrn Blüm schon mal in einem Punkt Recht geben: Die Rente ist insofern sicher, als aus der Rentenkasse jeden Monat stets zuverlässig das Geld überwiesen wird - ohne, dass irgendeiner sagen kann, vom nächsten Mal an gibt es zum Beispiel 50 Euro weniger. Die Rentenversicherung hat mehr als 125 Jahre überlebt. Darunter zwei Weltkriege, eine Hyperinflation, die deutsche Einheit, die New-Economy-Blase und die Finanz- und Eurokrise. An den Aktienmärkten können sich Billionen Euro in Luft auflösen und Zertifikate der US-Pleitebank Lehman über Nacht wertlos werden, die Rente kommt trotzdem pünktlich.