Protektionismus:Abschied von der Welt-Wirtschaft

Hamburger Hafen

Containerverladung in Hamburg

(Foto: Axel Heimken/dpa)

Die Ära der Globalisierung neigt sich dem Ende zu. Trotz aller Kritik hat sie den Wohlstand in einem bisher nie gekannten Maße gemehrt. Nun droht ganzen Weltregionen eine Abwärtsspirale.

Von Jan Willmroth

Es sind die ersten Anzeichen für das Ende eines glorreichen Zeitalters, das Menschen bis Mitte 40 nicht anders kennengelernt haben und dessen Vorzüge vielen von ihnen als selbstverständlich gelten. Eines Zeitalters, in dem internationale Warenströme und globale Wertschöpfungsketten den Wohlstand in einem bis dahin nie gekannten Maße gemehrt haben. Eines Zeitalters, in dem die Fürsprecher des Freihandels die Regeln bestimmten, viele Schlagbäume verschwanden und man mit immer größerer Leichtigkeit um die Welt reisen konnte.

Diese epochale Entwicklung namens Globalisierung hat nun ihren Höhepunkt überschritten, jetzt flacht sie ab - und es könnte eine Ära beginnen, in der wir genau die gegenteilige Entwicklung erleben werden: weniger Offenheit, weniger Warenhandel, weniger Austausch zwischen Ländern, Nationen, Menschen - und am Ende auch weniger Wohlstand. Die Gefahr ist groß, dies bald als brutale Gewissheit formulieren zu müssen.

Die Symptome dafür tragen schon Markennamen. Harley-Davidson ist ein solcher Markenname, ein Symbol für jenen Teil des amerikanischen Traums, in dem endlos wirkende Highways vorkommen und die Grenzenlosigkeit des Landes der Gründerväter. Die EU hat die Motorradfirma mit Vergeltungszöllen belegt, und diese gelten auch nach dem Treffen von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker und US-Präsident Donald Trump weiter. Denn im Wesentlichen haben die beiden nur vereinbart, miteinander sprechen zu wollen und ein paar vage Absichten formuliert; der Handelskrieg ist nur vertagt, nicht beendet. Harley-Davidson hatte bereits zuvor auf die Folgen der Politik des unberechenbaren Präsidenten reagiert: Motorräder für europäische Kunden sollen künftig außerhalb der USA gebaut werden. Auch in der Bilanz des Unternehmens hinterlässt der Handelsstreit Spuren, der Gewinn ist zuletzt deutlich gesunken.

Und Harley-Davidson ist nicht allein. Der Flugzeugbauer Airbus stellt wegen des Brexit seine Investitionen in Großbritannien infrage. Bombardier, franko-kanadischer Hersteller von Zügen und Flugzeugen, will vor US-Zöllen aus Kanada mit einem Teil seiner Produktion in den Süden der USA flüchten. Weltweit arbeiten Konzerne an Plänen für den Ernstfall, in dem Protektionismus zu einem der beherrschenden politischen Konzepte wird.

Vordergründig sind das einzelne Nachrichten über strategische Entscheidungen einzelner Firmen, die sich nach bestem Wissen auf veränderte Vorzeichen im Welthandel einstellen und ihre Wertschöpfungsketten anpassen; sie handeln als rationale Agenten im ökonomischen System globalisierter Märkte. Losgelöst vom einzelnen Unternehmen steht die Summe dieser Entscheidungen für einen Umbruch, der mindestens problematisch ist, womöglich aber auch katastrophal werden wird - weil eine Entwicklung zu ende geht, die die Welt von Grund auf verändert hat.

Die stumpfe Gewalt eines Baseballschlägers trifft auf die Komplexität der Warenströme

Dieser Entwicklung hatte der deutsch-amerikanische Harvard-Professor Theodore Levitt 1983 im Harvard Business Review einen Namen gegeben: Globalisierung; sein Essay machte den Begriff im ökonomischen Sinne populär. Die immer stärkere Vernetzung des Welthandels hat seither multinational agierende Unternehmen in globale Konzerne verwandelt, die ihre Produkte standardisieren, um sie weltweit anzubieten. China öffnete sich allmählich, Südkorea wurde zur Industrienation, viele Entwicklungsländer verwandelten sich in sogenannte emerging markets, in aufstrebende Märkte. Geschützt von gemeinsamen Regeln und angetrieben von sinkenden Zöllen vervielfachte sich das Volumen des Welthandels und wuchs im Vierteljahrhundert nach Levitts Essay im Schnitt um sechs Prozent pro Jahr - es entstand eine echte Welt-Wirtschaft.

Die Gefahr, dass die Globalisierung in ihrer bisherigen Form nun enden könnte, ist eng verknüpft mit der Präsidentschaft von Donald Trump, in dessen Abschottungspolitik die stumpfe Gewalt eines Baseballschlägers auf die jahrzehntelang gewachsene Komplexität globaler Warenströme trifft. Der mögliche Schaden seiner Politik ist gigantisch, aber nicht präzise berechenbar. Der Fortgang des sich abzeichnenden Handelskriegs wird wesentlich davon bestimmt, welche "Deals" dieser Präsident aushandelt und wie der Rest der Welt auf diese reagiert.

Drei Thesen

Die Symptome: Es gibt erste Anzeichen für eine De-Globalisierung.

Die Anamnese: Spätestens seit der Krise wuchs die protektionistische Gefahr.

Die Prognose: Ein katastrophaler Umbruch: Es geht nicht nur um Handel, sondern um die Zukunft internationaler Kooperation.

Ein Reaktionsprinzip ist mit der Präsidentschaft Trumps verlässlich geworden. Wann immer die US-Administration mit neuen protektionistischen Maßnahmen droht, melden sich die Advokaten offener Märkte, es melden sich Unternehmensvertreter, Politiker, Lobbyverbände und Ökonomen, die vor den Folgen eines eskalierenden Handelskriegs warnen. Mitunter wird das sehr metaphorisch: "Sie können sich vorstellen, wenn wir einen Schnupfen bekommen im deutsch-amerikanischen oder im europäisch-amerikanischen Verhältnis, dann bekommen viele um uns herum eine Lungenentzündung. Deshalb ist es eine hochriskante Sache", sagte vor wenigen Tagen Bundeswirtschaftminister Peter Altmaier.

Der wichtigste Wendepunkt kam vor zehn Jahren: die Finanzkrise

Erstaunlich daran ist, dass sich solche Sätze erst häufen, seitdem die protektionistische Gefahr mit Trump einen Hauptdarsteller gefunden hat. Tatsächlich aber wurde die Globalisierung viel früher ausgebremst - und zwar spätestens mit dem Beitritt Chinas zur Welthandelsorganisation im Jahr 2001. Die Volksrepublik erweckte seither immer wieder den Eindruck, sie stünde für den Freihandel, tatsächlich aber verfolgte die kommunistische Regierung einen eigenen Plan: Sie nutzte eine billige Währung, erschwerte Ausländern den Marktzutritt und sperrte selektiv Importe aus. Diese doppelbödige Strategie wurde vielen Politikern zum Vorbild.

Der wichtigste Wendepunkt kam vor zehn Jahren, als die Finanzkrise eine weltweite Rezession auslöste; ausgerechnet globalisierte Finanzmärkte versetzten der Globalisierung den schwersten Schlag. Damals waren es an sich unverdächtige Maßnahmen, mit denen Nationen versuchten, die Folgen der Krise abzumildern: die Abwrackprämie als Subvention für die heimische Autoindustrie; Sondersteuern auf Agrareinfuhren; Zölle auf Stahlerzeugnisse, mit teils dreistelligen Prozentzahlen. Nationale Industriepolitik ist seither wieder en vogue, die Zahl der weltweiten Handelsschranken stieg deutlich an, und gerade die EU, deren Vertreter sich als Vorkämpfer offener Weltmärkte präsentieren, hat sich als Zollmeister hervorgetan und nicht zuletzt mit ihren bilateralen Handelsabkommen zur Fragmentierung der Weltwirtschaft beigetragen.

Schotten Staaten sich ab, setzen sie den globalen Fortschritt aufs Spiel

Zwar entstand nach der Finanzkrise ein verzögerter Aufschwung der Weltkonjunktur, der aktuell noch zu beobachten ist. Der war aber nicht mehr so sehr von einem Anstieg des Exportvolumens genährt wie früher. Gleichzeitig blieb der protektionistische Gegenwind nicht auf den Handel beschränkt. Der Zollstreit ist vielmehr nur eine von mehreren Ausprägungen eines Zeitgeistes, der Abschottung befürwortet und sich vom Verlust an Vertrauen in politische Institutionen geprägt ist. Weitere Ausprägungen sind zu beobachten: Extreme Nationalisten gewinnen an Einfluss (Deutschland) oder sind an der Macht (Italien, USA), die Briten verlassen die EU, die internationale Zusammenarbeit - etwa beim Klimaschutz oder in der Nato - steht in Zweifel.

Die Anamnese des Rückzugs ins Nationale ist unvollständig, ohne den Blick auf weitere Ursachen zu schärfen. Phänomene wie Trump und Brexit lassen sich ohne die Verlierer der Globalisierung nicht erklären, so man sie denn so nennen will. Für die unteren Mittelschichten in den Industrieländern, so weiß man heute, hat sich dass Wohlstandsversprechen der globalen Vernetzung am wenigsten eingelöst. Während auf internationaler Ebene die Ungleichheit sank und Hunderte Millionen Menschen in Entwicklungs- und Schwellenländern der Armut entkamen, wuchs die Ungleichheit von Einkommen und Vermögen in den alten Industrieländern seit den Achtzigerjahren. Die Erzählung vom Welthandel zum Wohle aller klingt in den Ohren eines entlassenen Fabrikarbeiters wie Hohn, während die Reichsten der Erde am meisten profitiert haben und die Möglichkeiten der Globalisierung scham- und rücksichtlos auszunutzen wissen.

Und doch wird zu häufig übersehen, was das Prinzip des Welthandels auch für die vermeintlich Abgehängten möglich machte. Von den ersten, langsamen Rechnern in Büros und Arbeitszimmern bis zu Hochleistungscomputern in der Hosentasche dauerte es nur etwas mehr als 30 Jahre, jene Zeit der beschleunigten Globalisierung. Der Fortschritt der vergangenen Jahrzehnte, so zeigt allein dieses Beispiel als eines von Tausenden, wäre ohne die immer komplexeren Warenströme nicht möglich gewesen. Schotten sich Staaten ab, um nationalistische Sehnsüchte zu bedienen, setzen sie den globalen Fortschritt aufs Spiel. Die wirtschaftlichen Folgen des neuen Protektionismus werden erst mit der Zeit sichtbar werden, der Schaden entsteht langsam, von der Bilanz eines Motorradherstellers bis hin zu ganzen Weltregionen droht eine Abwärtsspirale.

Eine neue Große Depression, wie sie die Welt bereits einmal - nach dem Finanzcrash des Jahrs 1929 und dem daraufhin folgenden Protektionismus - erlebt hat, hätte Folgen, die weit über einen wirtschaftlichen Abschwung hinausgehen. Eine Welt, in der Kooperation nicht mehr das Leitprinzip ist, kann mit Krisen schlechter umgehen, auch mit kleineren. Mit der Welthandelsordnung steht mehr als nur der Wohlstand der Nationen (frei nach Adam Smith) auf dem Spiel, es geht um nicht weniger als die politischen Institutionen der freiheitlichen Demokratien, um den Grundkonsens der friedenssichernden wirtschaftlichen Zusammenarbeit.

Noch ist nicht ausgemacht, dass Trump und seine Mitstreiter die Welthandelsorganisation beerdigen werden, vielleicht geschieht noch ein Wunder und es gelingt tatsächlich eine Reform, die eine Handelsordnung für ein neues Jahrhundert des Fortschritts begründet. Aber nicht von ungefähr hat sich der Begriff Handelskrieg etabliert für das, was der Welt möglicherweise bevorsteht. Handelsschranken können Waffen sein, und wer diese einsetzt, wird sich auch anderer Methoden bedienen, sobald es ernst wird.

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